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nicht als Frau. Aber anscheinend ist es den Männern egal, wenn eine Frau stinkt und hässlich ist. Also kann ich mich ja auch waschen. Vielleicht hört dann das Jucken auf. Die Alte meinte, dass es aufhören wird.

      Ich ziehe das Kleid aus und gehe ins Wasser. Das Kleid nehme ich mit, es stinkt auch. Ihm ist das zwar egal, aber mir nicht. Ich tauche unter, dann schwimme ich am Ufer entlang hin und her. Schließlich gehe ich wieder aus dem Wasser raus und ziehe das nasse Kleid an. Fühlt sich unangenehm an, wie sonst nach einem Regen. Zum Glück regnet es nur in jeder fünften Num, aber dann durchgehend, im Hellen und im Dunkeln. In so einer Num vermeide ich das Rausgehen.

      Heute ist es jedenfalls schön warm und trocken.

      Ich fülle die beiden Kannen mit Wasser, die ich mitgebracht habe. Eine ist für Grauhaar. Die stelle ich im Hauseingang ab, bringe meine Kanne in mein Versteck, dann hole ich die zweite Kanne und gehe zu Grauhaar.

      Sie liegt neben dem Feuer auf dem Rücken. Mit offenen Augen. Ich stelle die Kanne hastig ab und laufe zu ihr.

      „Grauhaar!“

      Sie blickt mich an. „Da bist du ja. Kyo. Kyo ist ein schöner Name!“

      „Er gefällt mir auch“, erwidere ich und setze mich, erleichtert, dass sie nicht tot ist.

      „Wo warst du?“

      „Am Fluss. Gebadet. Und Wasser geholt. Und das habe ich dir doch gesagt, dass ich das machen will.“

      „Ach ja, stimmt. Habe es vergessen.“

      Ich mustere sie. Sie hat viel mehr Wein getrunken als ich und anscheinend geht es ihr immer noch gut. Ich hatte vorhin Kopfschmerzen, aber die sind inzwischen weg.

      „Ich glaube, ich bin betrunken“, sagt sie und grinst.

      „Betrunken?“

      „Vom Wein! Ich habe zu viel getrunken!“

      „Das nennt man betrunken? Wenn man sich gut fühlt?“

      Grauhaar lacht auf. „So nennst du es? Du hast recht, ich fühle mich auch gut! Richtig gut!“

      Das glaube ich ihr gerade nicht. Ihre Augen sagen etwas Anderes. Vielleicht glaubt man nur, dass man sich gut fühlt, wenn man betrunken ist. In Wirklichkeit ist das eine Lüge. Ich sollte keinen Wein mehr trinken.

      „Sie haben sie getötet“, sagt sie plötzlich. „Einfach so getötet!“ Sie stiert mich an.

      „Wer hat wen getötet?“ Ich blicke mich verwirrt um, denn wir sind allein, und mir ist vorhin, als ich kam, nichts Verdächtiges aufgefallen. Ich hätte es gesehen, wenn Leichen herumgelegen hätten. Wovon redet sie also?

      „Meine Familie. Sie haben meine Familie getötet. Meinen Mann. Meine Kinder. Alle haben sie getötet! Einfach abgeschlachtet haben sie sie!“

      „Wer?“

      „Die Soldaten. Ich glaube, es waren Soldaten. Nicht unsere. Die aus dem Nachbarland. Sie hätten gar nicht da sein dürfen. Waren sie aber.“ Grauhaar beugt sich vor und zeigt auf mich. „Grenzüberfall. Unsere Soldaten machen das, ihre Soldaten machen das. Dreckschweine!“

      „Aha“, erwidere ich. Ich weiß nicht, was ich sonst sagen soll. Ich habe keine Ahnung, wovon sie redet. Außer, dass jemand irgendwann ihre Familie getötet hat. Deswegen versteckt sie sich ja hier. Aber wo ist die Grenze?

      „Die Samenfrau hat gesagt, dass das passieren wird. Dass ich alleine überleben werde. Ich habe sie ausgelacht. Hach!“ Sie richtet sich auf. „Ich habe sie ausgelacht! Ich habe laut und schallend gelacht!“ Und sie macht es vor. Klingt nicht fröhlich. Dann beginnt sie plötzlich zu weinen.

      Was mache ich jetzt?

      Schließlich stehe ich auf, gehe um das Feuer herum und setze mich neben sie. Dann lege ich die Arme um sie. Sie drückt sich an mich und das nasse Gesicht in meine Halsbeuge. Sie stinkt, sie sollte auch mal im Fluss baden. Aber das werde ich ihr vielleicht später sagen, nicht jetzt.

      Irgendwann wird sie ruhiger und atmet wieder gleichmäßig. Sie hebt den Kopf.

      „Entschuldige.“

      „Was?“

      „Dass ich dich vollgejammert habe. Es ist schon lange her.“

      „Warum weinst du dann?“

      „Weil ich mich erinnere. Und es wehtut.“

      Ich wende mich ab und starre ins Feuer.

      „Es tut mir leid, ich habe nicht daran gedacht. Du würdest dich ja gerne erinnern.“

      Ich nicke.

      „Ist da gar nichts? Nicht einmal Schmerz?“

      „Nein.“

      „Das ist traurig. Dann hast du ja gar nichts. Wirklich gar nichts. Das ist sehr traurig.“

      Und sie ist wirklich betrunken.

      Ich erhebe mich und sehe auf sie hinunter. „Ich komme wieder, wenn du nicht mehr betrunken bist.“

      Sie bleibt sitzen und stiert vor sich hin, während ich gehe. Ich verlasse das Haus. Mein Ziel ist die Stadt. Ich muss vorsichtig sein, die Menschen in der Stadt sind komisch. Sie tun so, als hätten sie Angst vor mir. Warum denn? Ich tue ihnen nichts, wenn sie mich in Ruhe lassen.

      Die Stadt ist auf der anderen Seite des Flusses und es gibt eine Brücke. Sie ist aus Stein, ich muss aufpassen, um nicht auszurutschen. Vor allem wenn es regnet, sind die Steine sehr glitschig.

      Ich brauche ein neues Kleid. Doch weit in die Stadt hinein will ich nicht gehen. Je mehr Menschen mich sehen, desto gefährlicher für mich. Vor allem, wenn sie merken, dass ich eine Frau bin.

      Nach der Brücke kommen erst einige Häuser in größeren Abständen. Eigentlich sind es mehrere Häuser, die zusammen gehören. Höfe, hat mir mal Grauhaar erklärt. In einem Gebäude wohnen die Menschen, in den anderen die Tiere. So ganz habe ich das nicht verstanden, doch es interessiert mich auch nicht wirklich.

      Der Weg führt in einiger Entfernung von den Höfen her. Bäume und Sträucher schützen mich davor, gesehen zu werden. Aber ich sehe die Höfe. Und ich sehe, dass auf einem Wäsche zum Trocknen hängt. Da sind auch Kleider dabei.

      Ich schleiche mich heran. Hohes Gras und Gebüsch dienen mir als Deckung. Zum Schluss kommt ein Stück, auf dem ich mich nicht verstecken kann. Das ist der gefährlichste Teil.

      Ich verharre hinter einem Strauch und lausche. Kindergeschrei ist zu hören, sonst nichts. Es ist ziemlich nah. Das gefällt mir nicht. Kinder haben meist bessere Augen und Ohren als die Erwachsenen.

      Ich kaue nachdenklich auf meiner Unterlippe herum. Ich könnte weitersuchen, auf einem anderen Hof. Das hieße, dass ich noch länger auf dieser Seite des Flusses bleibe. Auch das ist gefährlich, vielleicht sogar gefährlicher als Kinder, die irgendwo in der Nähe spielen.

      Ich mustere die Kleider, die aufgehängt sind. Der Wind spielt mit ihnen. Sie könnten mir passen. Und sie sind sauber und nicht zerrissen wie meins.

      Ich sollte es wagen.

      Die Kleider hängen an einem aufgespannten Seil. Ein Ende des Seils ist am Haus befestigt, das andere an einem Baum. In der Nähe des Baums flattert ein Kleid, das meinen Zwecken völlig genügen würde. Ich kann schnell hinrennen, es nehmen und wieder in mein Versteck zurückkehren.

      Ich lausche kurz auf das Geschrei, um sicherzugehen, dass die Kinder mich nicht bemerken können, dann setze ich meinen Plan um. Ich brauche nur wenige Augenblicke dafür. Gleich darauf hocke ich keuchend hinter dem Strauch und halte das erbeutete Kleid in den Händen.

      Nach kurzem Zögern ziehe ich das alte aus und das neue an. Das alte schiebe ich so unter das Gestrüpp, dass es kaum zu sehen ist, dann mache ich mich auf den Rückweg.

      Als die Brücke in Sichtweite kommt, beginne ich leise zu summen. Ich habe doppelt Glück gehabt. Ich musste gar nicht wirklich in die Stadt gehen und ich

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