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war also nicht zu sehen. Trotzdem erkannte Carsten zwei Gestalten die sich in der Ecke drängten. Es waren ein Mann und eine Frau…, eine Frau, die ihm bekannt vorkam.

      »Lassen Sie mich los!« rief Elke Kerner in diesem Moment.

      *

      Die junge Landschaftsarchitektin hatte lange überlegt, ob sie zum Tanz gehen sollte. Bis zum frühen Nachmittag war sie mit der Arbeit an dem Gutachten beschäftigt. Dann hatte sie sich ein wenig ausgeruht und war früh zum Abendessen gegangen. Schließlich entschied sie sich und bat um einen Platz im Saal. Sie wurde an einen Tisch gesetzt, an dem ein paar Leute in ihrem Alter saßen, und freundlich aufgenommen. Schon nach kurzer Zeit wr sie in Gespräche verwickelt und wurde des öfteren zum Tanzen aufgefordert.

      Ihre gute Laune änderte sich auch nicht, als Martin Fornbacher hereinkam und sich zu ihnen setzte. Elke erkannte den jungen Mann, der ihr am Tag ihrer Ankunft so bewundernd hinterher gepfiffen hatte.

      »Möchten S’ tanzen?« fragte Martin auch gleich, nachdem sie kaum fünf Minuten gesessen hatte.

      Elke nickte und ließ sich von ihm auf die Tanzfläche führen. Martin griff fest zu, die junge Frau versuchte, etwas auf Distanz zu gehen. Der Bursche wirbelte sie zum Takt einer Polka herum, riß sie wieder in seine Arme und jauchzte dazu aus vollem Herzen. Sogar Elke ließ sich von seiner guten Laune anstecken.

      »Komm, Madel, jetzt geh’n wir an die Bar«, rief Martin.

      Er bestellte zwei Gläser Sekt.

      »Prost, ich bin der Fornbacher-Martin.«

      Elke prostete ihm zu und nannte ihren Namen. Dann stürzten sie den Sekt hinunter. Er prickelte und erfrischte herrlich.

      »Und was ist mit dem Buß’l?« fragte Martin.

      Elke war verwirrt über diese Forderung.

      »Wie bitte?«

      »Na, wir haben doch g’rad Brüderschaft getrunken«, meinte Martin. »Dazu g’hört doch auch ein Buß’l!«

      Die junge Frau machte gute Miene zum bösen Spiel und drückte ihm einen Kuß auf die rechte Wange. Martin zog sie fester an sich.

      »Soll das schon alles sein?« fragte er enttäuscht.

      »War’s net genug?« antwortete sie scherzend.

      Offenbar hatte Martin schon getrunken, bevor er zum Tanzabend gekommen war. Man hatte es ihm nicht angemerkt, doch jetzt sah Elke in seine glasigen Augen.

      »Mir reicht‘s net. Noch lange net, Madel«, raunte er in ihr Ohr.

      »Hören S’ doch auf, Martin«, bat die junge Frau und wand sich aus seinen Armen.

      Sie ging an den Tisch zurück und nahm ihre Handtasche.

      »Ich glaub’, ich muß mich etwas erfrischen«, sagte sie zu dem Madel, neben dem sie gesessen hatte, und ging zur Saaltür.

      Sie hatte sie kaum geöffnet, als sich jemand an sie drängte und durch die Tür drückte.

      Martin Fornbacher!

      Er zog sie in eine kaum erhellte Ecke und versuchte, sie zu küssen. Elke wehrte sich gegen diese unerwünschte Liebesbezeugung. Sie wollte laut um Hilfe rufen, aber der Bursche hielt ihr den Mund zu. Es gelang ihr, seine Hand wegzudrücken.

      »Lassen Sie mich los!« sagte sie im barschen Ton.

      Sie war wirklich wütend auf den angetrunkenen Mann, der sich etwas herausnahm, wozu er absolut kein Recht hatte. Martin schien das alles noch als ein Riesenspaß zu sehen und versuchte wieder, seinen Mund auf ihre Lippen zu pressen. Da wurde er herumgerissen und sah einem zornbebenden Mann in die Augen.

      »Lassen Sie die Frau los!«

      fuhr Carsten Henning ihn an.

      Der Fornbacher-Martin schaute auf die geballte Faust und wurde augenblicklich nüchtern.

      »’s ist ja schon gut«, sagte er. »Es sollt’ ja nur a Gaudi sein.«

      »Machen Sie Ihre Späße woanders«, antwortete Carsten immer noch wütend. »Los, verschwinden Sie endlich!«

      Martin machte eilends, daß er davon kam, während Elke Kerner sich die zerzausten Haare richtete.

      »Herr Henning, Sie schickt der Himmel«, sagte sie. »Ich weiß nicht, wie ich mich hätte wehren können.«

      »Ist Ihnen etwas geschehen?« fragte er besorgt. »Sind Sie verletzt?«

      »Nein, nein«, versicherte sie. »Es war eigentlich mehr der Schreck, der mir ein wenig zusetzte.«

      Sie legte ihre Hand auf seinen Arm.

      »Jetzt waren Sie schon zweimal mein Retter«, sagte sie. »Ich weiß gar net, wie ich das wiedergutmachen kann.«

      »Das war doch selbstverständlich«, wehrte er ab.

      »Trotzdem danke ich Ihnen, und jetzt brauche ich etwas frische Luft. Haben Sie Lust, ein Stück mit mir zu gehen?«

      »Aber ja, oder glauben Sie, ich lasse Sie nach diesem Vorfall alleine, draußen in der Dunkelheit, laufen?«

      Elke hakte sich bei ihm ein, und sie gingen, wie ein vertrautes Paar durch das abendliche St. Johann.

      Dabei spürte jeder von ihnen, das eigene Herz vor Aufregung schneller schlagen.

      *

      Karl Moislinger wartete, bis die Glocken von St. Johann Mitternacht schlugen. Dann erhob er sich aus dem Bett und stellte sich auf. Es klappte ganz gut. Schon am Nachmittag war er mehrmals aufgestanden und hatte ein paar Schritte Laufen geübt. Die Wunde am Bein schmerzte kaum noch.

      Er schlüpfte in die neuen Sachen, die die Haushälterin ihm gebracht hatte. Der Anzug paßte tadellos. Schade, daß kein Spiegel in der Kammer war. Karl hätte sich zu gerne einmal darin bewundert. Seine persönlichen Gegenstände steckte er in die Innentaschen der Anzugsjacke, seine andere Habe befand sich immer noch in den beiden Plastiktüten, die neben dem Bett standen. Karl schnappte sie sich und öffnete vorsichtig die Tür. Lauschend spähte er hinaus. Draußen war alles ruhig. Auf dem Flur brannte ein kleines Lämpchen, dessen Schein bis zur Treppe reichte. Vorsichtig setzte der Mann einen Fuß vor den anderen. Der Boden knarrte ein wenig unter seinen Schritten. Als er an der Tür vorbeikam, hinter der Sophie Tappert schlief, knarrte es besonders laut.

      Karl Moislinger blieb stehen und hielt unwillkürlich die Luft an. Aus dem Zimmer der Haushälterin drangen leise Schnarchgeräsuche. Beruhigt atmete er weiter und setzte seinen Weg nach unten fort.

      Im Erdgeschoß mußte er sich erst einmal orientieren. Karl öffnete eine Tür. Das mußte das Pfarrbüro und Arbeitszimmer des Geistlichen sein. Leise zog er die Tür wieder ins Schloß. Gleich darauf fand er die Küche. Bestimmt würde er hier etwas auftun, das er für seinen weiteren Weg gebrauchen konnte. Licht zu machen, wagte er nicht, der Mondschein mußte ausreichen. Ohne gegen Tisch oder Stuhl zu stoßen, was verräterische Geräusche erzeugt hätte, tastete der Landstreicher sich bis an den Küchenschrank vor. Im unteren Teil fand er Töpfe und Pfannen. Oben rechts stand das Geschirr, in der Mitte befanden sich Vorräte, wie Zucker und Mehl. Enttäuscht schloß Karl Moislinger die Türen wieder. Blieb noch die linke Seite, wenn er dort auch nicht fand, was er suchte…

      In der linken Schrankseite fanden sich Kaffee, Kakao- und Puddingpulver, Schokoladentafeln und Gläser mit Backaromen. Der Mann durchstöberte weiter das Fach und schüttelte schließlich den Kopf.

      Unter einem Päckchen Vanillepudding lagen zusammengefaltete Hundertmarkscheine.

      »’s ist doch unglaublich, wie manche Leute mit ihrem Geld umgehen«, flüsterte Karl Moislinger im Selbstgespräch.

      Dieses Problem hatte er nicht – er besaß ja keines.

      Karl schloß den Schrank wieder und entdeckte endlich die Tür zur Speisekammer. Erleichtert atmete er auf. Hier fand er endlich, was er gesucht hatte. Sein wertvollster Besitz war ein Taschenmesser.

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