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habe ihm gesagt, Sie wären ein Verwandter meiner Mutter und aus Genlis gekommen. Er ist auch aus der Freigrafschaft, ist aber nie über Dôle hinaus ins Burgundische gekommen. Sagen Sie ihm, was Sie wollen! Sie brauchen keine Angst zu haben …«

      Noch überlegte Julian, aber sie redete rasch weiter. Ihr Geschäft brachte es mit sich, daß sie jederzeit eine Menge Lügen zur Hand hatte.

      »Er hat Sie allerdings angesehen, aber nur im Augenblick, als er mich fragte, wer Sie seien. Er ist gegen jedermann flegelhaft. Er hat Sie nicht beleidigen wollen.«

      Julian verfolgte den angeblichen Schwager mit seinem Blicke. Er sah, wie er sich eine Nummer zur Poule am hintern Billard kaufte, und vernahm, wie er in herausforderndem Tone rief: »Auf zum Kampf!«

      Sofort wollte Julian an Amanda vorbei nach dem Billard stürzen. – Da faßte sie ihn am Ärmel: »Bitte, erst zahlen!«

      »So! So!« dachte Julian bei sich. »Sie hat Angst, ich könne durchbrennen.«

      Amanda war ebenso erregt wie er und hochrot geworden. Indem sie ihm, so langsam sie nur konnte, Kleingeld herausgab, flüsterte sie ihm zu: »Verlassen Sie augenblicklich das Café – oder ich will nichts mehr von Ihnen wissen. Ich habe Sie sehr gern.«

      In der Tat ging Julian, wenn auch zögernd. »Wäre es nicht meine Pflicht«, fragte er sich, »diesen frechen Lümmel zu stellen und ihm ordentlich die Meinung zu sagen?«

      Er wußte sich selber keinen Bescheid zu geben. Unschlüssig blieb er noch eine ganze Stunde auf der Straße vor dem Café stehen und paßte auf, ob der Mensch nicht herauskäme. Aber er kam nicht, und so ging Julian schließlich.

      Er war erst wenige Stunden in Besançon, und schon war er nicht mit sich zufrieden. Der alte Stabsarzt hatte ihm seinerzeit trotz seiner Gicht etwas Fechtunterricht erteilt. Was er da gelernt hatte, das war die ganze Kunst, die ihm bei einem Ehrenhandel zu Gebote gestanden hätte. Das wäre ihm indessen völlig gleichgültig gewesen, wenn er nur gewußt hätte, wie man jemanden zu einer Forderung nötigt, ohne ihm gerade eine Ohrfeige zu verabreichen. Wenn es bloß zu einer Prügelei gekommen wäre, hätte ihn sein Rivale, ein Riesenkerl, einfach verhauen und auf der Straße liegenlassen.

      Da fiel ihm das Seminar ein.

      »Für einen armen Schlucker meines Schlages, ohne Gönner und ohne Geld, ist das Seminar ein Gefängnis. Ich muß meine Zivilkleider in irgendeinem Gasthof lassen, wo ich mich umziehe. Wenn ich einmal ausgehen darf, auf ein paar Stunden, könnte ich Fräulein Amanda in Zivil besuchen.«

      Das war gut und schön; nur wagte sich Julian in keinen Gasthof hinein, obwohl er an mehreren vorüberkam. Schließlich ging er am Hôtel des Ambassadeurs vorbei. Da begegneten seine spähenden Blicke denen der Wirtin, die am Tore stand, einer behäbigen, noch ziemlich jungen Frau. Aus ihrem frischen Gesicht strahlte Glück und Frohsinn.

      Er ging auf sie zu und trug ihr sein Begehren vor.

      »Sehr gern«, sagte sie, »mein lieber kleiner Abbé, sehr gern hebe ich Ihnen Ihre Zivilkleider auf. Ich werde sie sogar öfters ausklopfen lassen. Im Sommer ist es nicht ratsam, einen Tuchanzug einfach hängen zu lassen.«

      Sie nahm einen Schlüssel vom Brett und führte Julian selbst in ein Zimmer. Dann riet sie ihm, ein Verzeichnis aller der Sachen anzufertigen, die er dalassen wolle.

      »Bei Gott! So sehen Sie wirklich nett aus!« sagte sie zu Julian, als er nach einer kleinen Weile im schwarzen Rock in die Küche herunterkam. »Jetzt will ich Ihnen etwas Ordentliches zu essen vorsetzen.«

      Und leise fuhr sie fort: »Was andre mit einem Taler bezahlen, soll Sie nur zehn Groschen kosten! Ich möchte Sie nicht Ihrer Ersparnisse berauben.«

      »Ich besitze zweihundert Franken«, entgegnete Julian.

      »Allmächtiger!« erwiderte die Dicke ängstlich. »Sagen Sie das nicht so laut! Hier in Besançon gibt es sehr viel Gauner. Man maust Ihnen Ihr Geld im Handumdrehen. Meiden Sie vor allem die Kaffeehäuser! Dort wimmelt es von Spitzbuben.«

      »Das will ich glauben!« meinte Julian mit einem Male nachdenklich.

      »Kommen Sie nur immer zu mir! Ich werde Ihnen einen guten Kaffee kochen. Vergessen Sie nicht, daß Sie hier stets eine Freundin und ein anständiges Mittagessen für einen Franken finden. Das lassen Sie sich hoffentlich gesagt sein. Jetzt setzen Sie sich zu Tisch. Ich werde Sie selbst bedienen.«

      »Ich werde nicht viel essen können«, entgegnete er. »Ich bin zu aufgeregt. Wenn ich Sie verlassen habe, trete ich in das Seminar ein.«

      Die brave Frau entließ ihn nicht, ohne ihm die Taschen mit allerlei Vorräten vollgestopft zu haben. Endlich machte er sich auf nach dem Schreckensort. Die Wirtin wies ihm vor dem Tore den Weg.

      25. Kapitel

      Schon von weitem erblickte Julian das vergoldete Eisenkreuz über dem Portal. Langsam schritt er darauf zu. Seine Beine versagten ihm geradezu den Dienst. »Hier stehe ich also vor der Hölle auf Erden, der ich nicht mehr entrinnen kann!« seufzte er.

      Nach langem Zögern entschloß er sich, an der Klingel zu ziehen. Der Klang der Glocke hallte unheimlich laut wie durch ein verlassenes Haus. Nach zehn Minuten erschien ein blasser schwarzgekleideter Mann und öffnete. Julian sah ihn an und schlug sofort die Augen nieder. Es war der Torwart. Er hatte ein sonderbares Gesicht. Seine vorgequollenen grünen Augen hatten längliche Pupillen wie die einer Katze, und die unbeweglichen Lider verrieten vollkommenen Mangel an Mitgefühl. Seine vorstehenden Zähne waren von dünnen gähnenden Lippen umrahmt. Auf einen jungen Menschen wirkt ein Verbrechergesicht nicht so schrecklich wie das eines völlig Gefühllosen. Mit dem einen raschen Blick in sein mageres frommes Gesicht hatte Julian erkannt, daß dieser Mann alles verachtete, was nichts mit dem Himmel zu tun hatte.

      Julian zwang sich, seine Augen wieder aufzuschlagen, und erklärte mit zitternder Stimme, vor Herzklopfen, daß er den Herrn Abbé Pirard, den Direktor des Seminars, zu sprechen wünsche. Ohne ein Wort zu erwidern, bedeutete der Schwarzröckige ihm zu folgen.

      Sie gingen eine breite Treppe hinauf; sie hatte ein Holzgeländer und ausgetretene Stufen, die auf der Innenseite so schief waren, daß es aussah, als wollten sie einstürzen. Oben öffnete der Pförtner eine kleine knarrende Tür, über der ein hohes, schwarz angestrichenes Kirchhofskreuz aus gewöhnlichem Holze angebracht war, und ließ Julian in ein niedriges dunkles Zimmer treten, an dessen weißgetünchten Wänden zwei große von der Zeit gedunkelte Gemälde hingen.

      Julian blieb allein. Sein Herz pochte heftig. Er war halbtot. Am liebsten hätte er geweint. Im ganzen Gebäude herrschte Totenstille.

      Nach einer Viertelstunde, die ihm so lang vorkam wie ein ganzer Tag, erschien der Pförtner finsteren Gesichts an der entgegengesetzten Seite des Gemaches wieder, auf der Schwelle einer Tür, und winkte ihm, ohne ihn eines Wortes zu würdigen.

      Julian trat in ein saalartiges, wiederum sehr düsteres Zimmer. Auch hier waren die Wände weiß getüncht. Im ersten Moment kam ihm der Raum unmöbliert vor. Aber im Weitergehen erblickte er in einer Ecke an der Tür eine Holzbettstelle, zwei Stühle mit Strohgeflecht und einen Lehnstuhl aus blankem Holz ohne Polsterung. Am andern Ende des Zimmers schimmerte ein kleines Fenster mit verwetterten Scheiben. Auf dem Fensterbrett standen ein paar vernachlässigte Blumenstöcke. Dort, an einem Tische, saß ein Mann in einem fadenscheinigen Priesterrocke. Offenbar mißgelaunt, hantierte er mit einem Stoß viereckiger Kärtchen. Auf jedes kritzelte er nacheinander ein paar Worte. Von der Anwesenheit der beiden Eintretenden nahm er keine Kenntnis.

      Unbeweglich verharrte Julian mitten im Zimmer auf dem Flecke, wo ihn der Pförtner stehengelassen hatte, ehe er wieder ging und die Tür hinter sich schloß. So verstrichen zehn Minuten. Der Mann in der schäbigen Soutane schrieb immer weiter. Julians Aufregung und Grauen wurden so stark, daß er nahe am Umsinken war; aber es war keineswegs der Eindruck des Häßlichen auf eine schönheitsliebende Seele.

      Jetzt hob der Schreibende den Kopf. Julian bemerkte es erst einen Augenblick später, und selbst nach dieser Wahrnehmung blieb er stumm und starr stehen, als hätte ihn der schreckliche Blick, der ihn getroffen, versteinert. Es schwamm ihm vor den Augen. Kaum erkannte er ein schmales Gesicht, das über und über mit roten Flecken bedeckt

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