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versetzte die Kinder in die höchste Freude.

      Am ersten Konfektionsgeschäft trennte sich Herr von Rênal von seiner Frau. Er hatte ein paar Besuche zu machen. Als er zurückkam, war er noch mürrischer als am Morgen. Jetzt war er überzeugt, daß sich die ganze Stadt mit ihm und Julian beschäftigte. Allerdings hatte ihn kein Mensch das Ehrenrührige des Klatsches merken lassen. Mit dem, was man sagte, wollte man lediglich herausbekommen, ob Julian mit sechshundert Franken bei ihm bleiben oder mit achthundert Franken zu Valenod gehen werde.

      Der Bürgermeister und der Armenamtsvorstand, ehedem Verbündete, waren mehr und mehr Rivalen geworden. Wenn sie sich gesellschaftlich begegneten, verhielt sich Valenod sehr zugeknöpft vor Herrn von Rênal. Das war nicht ungeschickt. In der Provinz gibt es überhaupt selten unbesonnene Menschen. Man erlebt wenig, aber um so gründlicher.

      Valenod war ein sogenannter Schwerenöter, etwas typisch Kleinstädtisches, im Grunde ein unverschämter Patron. Im Jahre 1815 emporgekommen, hatte er seine üblen Eigenschaften mehr und mehr entwickelt. Schon bildete er in Verrières sozusagen die Nebenregierung. Aber er war viel betriebsamer als Herr von Rênal, skrupellos, sich in alles mengend, immer auf den Beinen, redselig und schreibgewandt, dickfellig gegen Demütigungen, ohne persönliche Ansprüche. Schließlich hielt er es gar mit den Pfaffen, um seinem Vorgesetzten das Wasser abzugraben. Es war, gerade als ob Valenod zu den Krämern der Gegend gesagt hätte: Schickt mir eure beiden größten Schafsköpfe – zu den Juristen: Schickt mir eure zwei größten Ignoranten! – zu den Medizinern: Nennt mir eure zwei größten Scharlatane! – Und als er die Unfähigsten von jedem Metier zusammen hatte, hatte er zu ihnen gesagt: Herrschen wir miteinander!

      Herrn von Rênal war dieses Treiben stark zuwider. Zudem hatte die Amtsenthebung des alten Pfarrers Chélan Valenod in Abhängigkeit vom Großvikar von Frilair in Besançon gebracht, der ihm geheimnisvolle Aufträge zukommen ließ. Auf dem Gipfel dieser hinterrückigen Politik hatte er sich unterfangen, den anonymen Brief zu schreiben; und um seine Verlegenheit vollzumachen, äußerte Frau Valenod hartnäckig den Wunsch, Julian ins Haus zu nehmen.

      Dies und andres erfuhr Julian durch Frau von Rênal, die Valenods feindselige Politik ihrem Manne gegenüber sehr wohl durchschaute, während sie beide, Arm in Arm, von Laden zu Laden schlenderten. Schließlich endeten ihre Besorgungen auf der Stadtpromenade, wo sie ein paar Stunden genauso ungestört verbrachten wie in Vergy.

      Währenddem hatten Rênal und Valenod ein kleines Renkontre. Der Bürgermeister sagte Valenod ein paar Grobheiten, die dieser kaltblütig einsteckte. Insgeheim nahm er sich vor, nach Besançon oder nach Paris zu schreiben, um sich sein Armenamt zu erhalten. Eine entscheidende Szene mit seinem ehemaligen Schutzherrn dünkte ihm noch nicht an der Zeit zu sein. Vorläufig riskierte er nur ein paar kleine Unverschämtheiten.

      Im höchsten Unmut stellte sich Herr von Rênal bei den Seinen im verabredeten Gasthof ein. Im Gegensatz zu seiner Hundelaune waren seine Kinder noch nie so vergnügt und munter gewesen. Das erbitterte ihn vollends. Gleich beim Eintreten brummte er in einem Tone, der Eindruck machen sollte: »Ich sehe schon, ich bin meiner Familie lästig.«

      Als einzige Antwort nahm ihn seine Frau beiseite und erklärte ihm, Julian müsse entlassen werden. Die frohen Stunden, die sie eben verlebt, hatten ihr die Ruhe und Sicherheit wiedergegeben, die nötig waren, ihren seit vierzehn Tagen gefaßten Plan zur Verwirklichung zu bringen.

      Sofort nach Tisch fuhr die Familie Rênal nach Vergy zurück. Julian erhielt den Befehl, mitzukommen.

      Am Abend saß alles stumm und still am häuslichen Herde. Das Knistern der glimmenden Buchenhölzer im Kamin gab die einzige Unterhaltung. Durch diese trübselige Stimmung, wie sie in den einträchtiglichsten Familien vorkommt, jubelte plötzlich eins der Kinder: »Es klingelt! Es klingelt!«

      »Zum Donnerwetter! Gewiß irgendeine geschäftliche Schererei!« schimpfte Herr von Rênal.

      Der Diener trat ins Zimmer; hinter ihm ein auffällig schöner Mann mit mächtigem, schwarzem Backenbart.

      »Herr Bürgermeister«, begann er, »ich bin Signor Geronimo. Herr Chevalier von Beauvaisis, Attaché an der Gesandtschaft zu Neapel, hat mir diesen Brief an Sie bei meiner Abreise nach Frankreich eingehändigt. Das ist neun Tage her, setzte er vergnügt hinzu und blickte Frau von Rênal an. »Herr von Beauvaisis, Ihr Herr Vetter, gnädige Frau, ein guter Freund von mir, hat mir erzählt, Sie sprächen Italienisch.«

      Der heitere Sinn des Neapolitaners machte aus dem tristen Abend den allervergnügtesten. Frau von Rênal lud ihn zum Abendessen ein und setzte das ganze Haus in Bewegung. Es war ihr eine erwünschte Gelegenheit, Julian aufzuheitern.

      Signor Geronimo war ein weltberühmter Sänger, ein Mann der besten Gesellschaft, dabei ein sehr lustiger Mensch. Er einte somit Dinge, die in Frankreich unvereinbar sind.

      Nach dem Abendessen sang er mit Frau von Rênal ein kleines Duettino. Sodann erzählte er reizende kleine Geschichten. Es schlug ein Uhr, als Julian die Kinder ermahnte, zu Bett zu gehen. Sie wollten durchaus nicht. »Nur noch eine Geschichte!« bat der Älteste.

      »Und zwar eine aus meinem Leben, Signorino«, sagte der Italiener und begann:

      »Vor acht Jahren war ich Schüler auf dem Conservatorio zu Neapel. War just so alt, wie du bist, nur hatte ich nicht die Ehre, der Sohn des hochwohllöblichen Bürgermeisters einer so hübschen Stadt wie Verrières zu sein.«

      Bei diesem Worte entfuhr Herrn von Rênal ein Seufzer, und ein vielsagender Blick irrte zu seiner Frau hinüber.

      »Signor Zingarelli«, fuhr der junge Sänger fort, und zwar mit einem karikierenden Akzent, bei dem die Kinder, alle drei, auflachten, »Signor Zingareli war ein riesig strenger Meister. Er war unter den Konservatoristen gar nicht beliebt, aber er hielt darauf, daß man sich immer so betrug, als habe man ihn gern. Ich ging aus, sooft ich nur konnte. Meistens wanderte ich nach dem kleinen Teatro di San Carlino, wo es eine Göttermusik zu hören gab. Aber o Himmel, das schwierigste bei der Sache war, das Eintrittsgeld zu erschwingen. Der Parkettplatz kostete vier Groschen. Eine kolossale Summe, nicht?«

      Er blinzelte die Kinder an, die laut lachten.

      »Signor Giovannone, der Herr Direktor von San Carlino, hörte mich eines schönen Tages singen. Ich war nun sechzehn Jahre alt. ›Du bist ein Goldkerl! ‹ erklärte er und fragte mich: ›Soll ich dich engagieren, Verehrtester? ‹ – ›Was wollen Sie mir zahlen? ‹ erwiderte ich ihm. – ›Vierzig Dukaten Monatsgage! ‹

      Meine Herren, vierzig Dukaten sind einhundertundsechzig Franken! Ich war im siebenten Himmel. ›Sagen Sie mir mal ‹ , entgegnete ich, ›wie komme ich aber von dem gestrengen Signor Zingarelli los? ‹ – › Lascia fare a me! ‹ Wißt ihr, was das heißt?«

      »Lassen Sie mich nur machen!« rief der älteste kleine Rênal.

      »Richtig, mein Junge! Des weiteren sagte mir Signor Giovannone: ›Caro, erst mal ein Verträgelchen! ‹ Ich unterschreibe das Ding und bekomme drei Dukaten Draufgeld. Noch nie in meinem ganzen Leben hatte ich so viel Mammon auf einem Haufen gesehen. Sodann instruierte er mich, wie ich mich verhalten sollte.

      Am andern Tage bitte ich um eine Audienz beim schrecklichen Signor Zingarelli. Sein uralter Leibkammerdiener läßt mich eintreten. ›Was willst du von mir, du Galgenstrick? ‹ brüllt mich der Meister an. – ›Maestro ‹, sag ich, ›ich bereue meine Sünden. Ich will nie wieder aus dem Conservatorio ausrücken, über das eiserne Staket weg. Ich will der Allerfleißigste werden. ‹ – ›Wenn ich nicht Angst hätte, den schönsten Baß, den ich je gehört, zu verderben, würde ich dich bei Wasser und Brot vierzehn Tage einsperren, du Schlingel. ‹ – ›Maestro ‹, sage ich wiederum, ›ich will das Musterbild der ganzen Schule werden. Credete a me! Nur um eine Gnade bitte ich ganz gehorsamst: wenn jemand kommt und mich haben will, damit ich draußen singe, – dann geben Sie mich um keinen Preis der Welt her! Ich bitte Sie flehentlichst: sagen Sie, Sie könnten nicht! ‹ – ›Wer zum Teufel sollte denn einen Taugenichts wie dich haben wollen? Übrigens entlasse ich dich noch lange nicht aus dem Conservatorio. Du willst dich wohl über mich lustig machen? Raus! ‹ Er will mir einen Tritt in den Allerwertesten verabreichen. ›Raus! ‹ wiederholt er. ›Oder ich sperr dich ein! ‹

      Eine

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