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      »Ich hatte vergessen.«

      »Aber ich nicht.«

      »Es ist Zeit, zu gehen«, sagte August. Sie zahlten, verließen das Lokal und fuhren ins Theater. Emerich betrachtete auf dem Wege bald den einen, bald den andern und ahnte, daß hier zwei Menschen in irgendeinem wichtigen Punkt nicht ganz gleicher Ansicht wären. So faßte er sich, als sie ausstiegen und die Treppe zum Logengang hinaufschritten, ein Herz und sagte: »Kinder, seid’s doch gescheit!…«

      August antwortete nichts. Fred aber drückte Emerich die Hand und sagte: »Ich werde versuchen.«

      Die Logentür wurde geöffnet und den drei Freunden klangen die ersten Akkorde der Ouvertüre lustig entgegen.

       Inhaltsverzeichnis

      Der erste Akt war zu Ende.

      Friedrich Roland saß in der Garderobe, allein. Er war mit einem phantastischen Kostüm angetan – schwarzrotsamtenes Wams und dunkelblaue Trikots – und trug eine Perücke von herrlichen, kastanienbraunen Locken, auf der ein Barett saß. Den Degen hatte er über die Knie gelegt und starrte in den Spiegel, aus dem ihm sein jugendlich rot geschminktes Gesicht mit dem falschen Schnurrbart entgegensah. So saß er beinahe regungslos schon seit Beginn des Stückes da. Jetzt hörte er durch die geschlossene Tür die Schritte und Stimmen der Choristen, die an ihm vorüber von der Bühne in den Ankleideraum eilten; dann wurde er wieder still. Roland war froh, daß er allein war; die neue Operette war ihm beinahe lieb, weil von den zwei Kollegen, mit denen er sonst die Garderobe zu teilen hatte, keiner beschäftigt war. Das waren nämlich Menschen, mit denen er sich nicht verstand; zufrieden Leute, die ihre geringe Kunst seit jeher als brave Handwerker betrieben hatten und nichts von ihr verlangten als ein bescheidenes Auslangen, das sie ihnen auch gewährte. Roland wußte wohl, daß er heute als ihresgleichen gelten mußte, aber er fühlte zugleich, daß er in Wahrheit durchaus nicht zu ihnen gehörte. Er hätte was ganz anderes werden können, wenn er Glück gehabt hätte. Daran dachte er jetzt, als er geschminkt vor dem Spiegel saß; wie er Stunde für Stunde daran dachte. Noch heute, nach zehnjährigem Engagement an diesem Theater, konnte er es nicht ohne ein dumpfes Gefühl des Grolles und der Scham betreten, und niemals hatte er das zu verbergen gewußt. So hatten seine Kollegen bald mit dem feinen Spürsinn niederer Menschen herausgefunden, wo er am empfindlichsten zu treffen war, und jede Äußerung seines Wesens: die Art, wie er leise und müde zu reden, wie er langsam und scheinbar stolz einherzuschreiten pflegte, ja selbst eine gewisse Gewohnheit, den Kopf nach der Seite zu wenden und dabei die Augen halb zu schließen, wurden als komische Zeichen seiner Unzufriedenheit gedeutet. Ob er einmal Talent gehabt, das wußte man nicht, auch war nie die Rede davon gewesen: die Rollen, in denen er seit Jahren auftrat, waren die von Pagen, Dienern, Knechten, Verschworenen, die ohne nähere Bezeichnung auf dem Zettel standen; ja meistens war er zweiter Knecht oder dritter Verschworener. Es war kein Grund anzunehmen, daß er mehr Anlaß hatte, sich zu beklagen, als einer von den anderen, die zu gleichen Rollen auserlesen waren wie er; sie sahen auf eine ähnliche Vergangenheit zurück wie Roland und hatten auf kleinen Bühnen vor Jahren erste Helden, Liebhaber oder Intriganten gespielt. Vielleicht auch war mancher unter ihnen, der sich mit schmerzlichen Empfindungen jener Zeit erinnerte; vielleicht wäre diese schmerzliche Erinnerung auch manchem anzumerken gewesen; aber alle Scherze, alle Bosheiten kamen an ihn herangeflogen, weil man sah, daß er am meisten darunter litt. Anfangs hatte er sich zu wehren gesucht; er versuchte Neckereien zu erwidern, aber er war zu ungeschickt gewesen; er wollte grob werden, aber er hatte nicht den rechten Mut dazu gefunden. So begann er, sich alles ruhig gefallen zu lassen, wurde verschlossen, und man hörte oft tagelang kein Wort aus seinem Munde. Auch das paßte so gut wie alles andere zu dem Bild, das nun einmal von ihm feststand; auch das war der komische Stolz des >verkannten Genies<. Sein Ruf war allmählich über den engen Kreis hinausgedrungen, in dem er wirkte; alle Welt, die in der Stadt sich für das Bühnenleben interessierte, kannte seinen Namen, um den so viele Scherze schwirrten; die Reporter in geistsprühenden Notizen, das Publikum in launigen Gesprächen bediente sich des Namens Roland, um den Typus des unbedeutenden, aber eingebildeten Mimen kurz zu bezeichnen. So war dieser Name in seiner Art populär geworden, und in einem anderen Sinne, als Roland früher einmal gehofft, schien seine Sehnsucht nach Ruhm in Erfüllung zu gehen. Nun war er soweit, daß er die Unbekannten beneidete. Alle die durften noch hoffen, daß ihr Schicksal eine erfreuliche Wendung nähme; sie konnten irgendeinmal aus ihrem Dunkel in eine würdige Beleuchtung heraustreten. Ihm war das für alle Zeit versagt. Vor zwei Jahren hatte er das letztemal gewagt, den Direktor um eine anständige Rolle zu bitten. Der hatte ihn lachend abgewiesen, und Roland hatte ihn verstanden. Dann dachte er noch einmal, ein letztes, daran, die Stadt zu verlassen, um wieder in die Provinz hinauszuwandern, wo er in den ersten zehn Jahren seiner Laufbahn umhergezogen; aber die Agenten erklärten alle, es sei zu spät, und die Erfahrungen, die er seinerzeit als Heldenspieler in kleinen böhmischen und mährischen Städtchen gesammelt, waren auch nicht ermutigend genug, um ihm die nötige Energie zu verleihen, es auf eigene Faust zu versuchen. So war es das

      beste, sich zu bescheiden, und wie andere stille Arbeiter sein Tagewerk zu verrichten, um doch zu leben. Er war sehr einsam geworden; weder mit den Großen noch mit den Kleinen mochte er zu tun haben. Früher war er regelmäßig nach dem Theater in ein Wirtshaus gekommen, wo eine harmlose Gesellschaft von Theaterbediensteten und kleinen Bürgern sich zusammenfand, die stolz waren, mit Leuten von der Bühne zu verkehren. Aber auch hier hatte es an Späßen nicht gefehlt, wenn Roland erschien; manches herzliche Wort, mit dem er begrüßt wurde, faßte er in wachsendem Mißtrauen als spöttisch gemeint auf, und so konnte es ihm auch dort schon lange nicht mehr behagen. Er ging jetzt nur mehr hin, wenn er vorher anderswo allein ein paar Glas Wein getrunken hatte; da wurde es ihm leichter, an die Freundlichkeit der Menschen zu glauben, und selbst kleine Bosheiten nahm er dann mit Gleichmut hin. Ja, er erlebte dann sogar Augenblicke, in denen seltsame Hoffnungen einer großartigen Wandlung in ihm emportauchten; er hielt Zufälle für möglich, die ihn mit einemmal an einen würdigeren Platz stellen konnten, und durfte allen Spott verachten, der ihn laut und leise umklang … Da ihm aber auch der Wein diese Stimmungen nur selten gab, ging er meist als ein tief Verletzter herum, dem nie Genugtuung werden konnte. Früher hatten kleine Abenteuer mit Frauen die letzten Jugendschimmer in sein Leben gebracht; aber seit ein paar Jahren war auch das vorbei, und zärtlichen und fragenden Blicken, die noch zuweilen auf ihm ruhen blieben, glaubte er nicht mehr. Seit ein paar Wochen geschah es manchmal, daß er auf dem kleinen Tisch in seiner Garderobe Veilchen fand; er forschte gar nicht, woher sie kamen; gewiß war es ein Scherz, wie man sie schon manchmal an ihm verübt hatte; ein Scherz, wie die süßen Briefchen, mit denen man ihn zu Stelldicheins gelockt, wo entweder niemand erschienen war oder der Souffleur oder gar ein paar Damen vom Chor, die sich köstlich über sein verdutztes Gesicht amüsiert hatten.

      Die Veilchen waren auch heute wieder da; er hatte sie gar nicht angerührt. Und wenn sie selbst ernst gemeint waren, was lag ihm daran? – Er war so schwer bedrückt, daß ihm keine Freude mehr werden konnte. Er spürte nichts mehr als seine Einsamkeit und seine Lächerlichkeit Manchmal fuhr ihm durch den Sinn: wie soll das enden? Und da kamen ihm sonderbare Einfälle, die er immer wieder von sich wies. Nur einmal hatte er eine Idee gehabt, die ihn längere Zeit festhielt: er wollte es nämlich in die Zeitung geben, wie ihn die Leute quälten, und einen Appell an das Publikum erlassen, der mit den Worten anfangen sollte: Ihr edlen Menschen! Er hatte ihn einmal zu schreiben angefangen, hier in der Garderobe, denn sein Tisch zu Hause wackelte immer – aber er wollte ihm nicht gelingen. Es kam ihm vor wie ein Bettelbrief. Und dann hätten sie doch gelacht. Etwas anderes war ihm später eingefallen. Er wollte einmal mit der Blandini, der Primadonna des Theaters, die zuweilen auf der Probe ein paar gute Worte mit ihm sprach, ernstlich reden; er wollte ihr vorstellen, daß er doch eigentlich gar nicht so komisch war, wie die Leute sich immer einbildeten, aber er wagte es nicht. Und dann war ihm einmal, als er vom Wirtshaus ein wenig betrunken in der Nacht nach Hause ging, etwas ganz Tolles in den Sinn gekommen: er wollte bei nächster Gelegenheit mitten auf der Szene auf die Knie fallen und geradezu zu beten anfangen:

      0 edle Menschen – und ihnen sein ganzes Leid klagen und sein Elend; und er

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