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die Ameise auf ihn herabgeschaut hatte. Ihre Fühler hatten zwei Armen geähnelt, die ihn zu greifen versuchten. Sie war übersät mit kleineren Ameisen gewesen. Ihre Bewegungen auf dem Exoskelett hatten fließendem Öl geglichen. Die Kreatur hatte ihn einen Moment geprüft, stillgehalten und war dann weitergegangen. Sebastian hatte mehrere solcher Begegnungen gehabt, bis er erkannt hatte, dass diese Monster keine Bedrohung darstellten. Sie waren hinter Menschen her, nicht hinter jenen wie ihn.

      Von seinem Aussichtspunkt auf dem Wolkenkratzer war er zu dem Schluss gelangt, dass es ein Fehler gewesen war, diesen Weg zu nehmen. Er hatte gedacht, einfach nach Westen gehen zu können. Eine Karte der Landschaft hatte allerdings ergeben, dass “Westen“ ein tausende Meilen weites Reich umfasste. Er hatte fast geweint, als er das gesehen hatte.

      Während er über seinen nächsten Schritt nachgedacht hatte, war ein neuer Kampf entlang der Flussufer ausgebrochen. Wochenlang hatte eine Artilleriedivision auf der anderen Seite kampiert und die Ameisenhügel beschossen. Zu diesem Zeitpunkt die Stadt zu verlassen, wäre nicht sicher gewesen, nicht mit so vielen Schrapnellen und Blindgängern überall. Er hatte bereits eine Ameise beim Untersuchen eines Wurfgeschosses beobachtet, das an einer Straßenecke direkt neben einem Hydranten gelandet war. Es war explodiert, hatte das Insekt verdampft und einen Wassergeysir hinterlassen.

      Eines Morgens hatte er aus dem Fenster geblickt und gesehen, dass die Ameisen das Ufer besetzten. Die gewaltigen Kreaturen hatten wie gewöhnliche Vertreter ihrer Art agiert, die ein Stück Land auskundschafteten. Es hatte keine Anzeichen von Menschen gegeben. Die Tiere mussten ihre Gegner in eine Falle gelockt und verschlungen haben, bevor sie hatten schreien können.

      Sebastian fragte sich, ob Sheba in dieselben Hindernisse gerannt war. Suchte sie auch nach ihm? Harrte sie ebenfalls auf einem hoch gelegenen Ort aus und hoffte darauf, dass er sie fand? War sie einsam? Hatte sie Angst? Während Sebastian an die schlimmen Dinge dachte, die ihr widerfahren sein könnten, erschien ihm der Tod als gnädiges Schicksal. Doch würde ihn nur fragen lassen, warum er lebte und nicht auch sie.

      Eine Woche später, als das Wetter kälter wurde und die Ameisen in ihre Hügel zurückkehrten, entschied Sebastian, dass es sicher genug war, um nach Westen aufzubrechen. Er würde in der Wildnis nach Sheba suchen, sie wahrscheinlich nie finden und dann irgendwo erfrieren.

      Er folgte dem Highway, bis er eine Auffahrt erreichte, die von einer heftigen Explosion abgerissen war. Metallstreben des Brückengerüstes ragten heraus wie gebrochene Knochen. Sebastian kletterte hinab und ließ sich die letzten paar Meter fallen. Kaum gelandet, erfüllte der Geruch eines Tieres seine Nase. Sein Schwanz stand aufrecht, seine Ohren schossen nach oben. Eine Brise nahm den Duft mit. Er wartete noch einen Moment, ehe er weiterging.

      »Sheba«, murmelte Sebastian in dem Versuch, das atemlose Flüstern zu imitieren, mit dem Janet das Wort ausgesprochen hatte. »Sheba!«, rief er schließlich. Das Echo kehrte zurück. Er schrie ihren Namen wieder und wieder. Es fühlte sich so gut an, ihn zu äußern, auch wenn ihn niemand hörte. Wusste sie denn überhaupt darauf zu antworten? Und woher sollte sie seinen Namen kennen?

      Er gelangte an einen breiten Krater. Jemand hatte zwei Metallträger darübergelegt und den Abstand so bemessen, dass ein Auto sie als Brücke nutzen konnte. Sebastian hängte das Gewehr um die Schulter und ging über den linken Träger.

      »Ich komme, Sheba.«

      Auf halbem Weg vernahm er wieder diesen Geruch. Er kam von Katzen, von zwei, nein drei. Jemand beobachtete ihn. Und jetzt stand er an einer Stelle, die sich für einen Hinterhalt anbot. Als er den Riemen des Gewehrs von seiner Schulter streifen wollte, kippte der Metallträger und schleifte über den Asphalt. Um nicht herunterzustürzen, sprang er auf den anderen Träger, doch auch dieser drehte sich, als er von einer starken Kraft angestoßen wurde. Sebastian verlor den Halt und rutschte ab. Nach dreieinhalb Metern landete er hart auf allen vieren.

      »Nein«, hörte er jemanden von oben sagen.

      Mit der Waffe in den Händen blickte er auf. Im Licht der aufgehenden Sonne sah er die Umrisse von fünf Katzen, die alle aufrecht standen und jeweils ein Gewehr hielten. Ihre ausgebildeten Zeigefinger klemmten mitsamt Krallen um die Abzugsbügel. Sie trugen Rucksäcke und Gürtel wie menschliche Soldaten. Einen Teil der Ausrüstung hatten sie sicher Toten entwendet.

      Sebastians Waffe wurde schwerer, aber er hob sie dennoch. Die anderen Katzen wiederum drückten ihre eigenen gegen die Schultern. Sie genossen den Vorteil. Erschwerend kam hinzu, dass er direkt in ihre Falle gelaufen war. Wahrscheinlich hatten sie ihn schon eine Weile ausspioniert. Sollten sie so hungrig sein wie er, würde er heute bestimmt ihr Abendessen werden.

      »Bist du sicher, dass du damit auf uns zielen willst?«, fragte eine von ihnen.

      »Seid ihr sicher, dass ihr euch mir in den Weg stellen wollt?«, entgegnete Sebastian.

      Sie lachten und ihre Gewehrmündungen wackelten. »Was glaubt er, wer er ist?«

      »Wir sind nicht hier, um dir wehzutun«, sagte eine große, schwarze Kätzin in ihrer Mitte.

      »Ich glaube dir nicht.«

      »Und das solltest du auch nicht. Aber wie wäre es, wenn du dein Gewehr runternimmst?«

      »Nein«, stellte er klar. »Ich bin auch nicht hier, um euch etwas anzutun, also lasst mich weiterziehen.«

      »Wir wollen uns zuerst mit dir unterhalten.«

      »Das habt ihr gerade getan.«

      »Wer ist Sheba?«

      »Meine Freundin.«

      Er hörte den zu ihrer Linken glucksen, einen Kater mit schwarzem Fell auf Rücken und Schultern sowie weißen Füßen, die an kleine Pantoffeln erinnerten. Sebastian konnte nicht sagen, ob seine Äußerung Abscheu oder Belustigung ausdrückte.

      Die disziplinierten Katzen blieben absolut still. Die Kätzin senkte als Erste ihre Waffe und bedeutete den anderen, das Gleiche zu tun.

      Sebastian zielte weiter auf ihren Kopf, genau zwischen ihre leuchtend grünen Augen.

      »Du willst die Gunst nicht erwidern?«, fragte sie.

      »Nein. Und jetzt tretet beiseite.«

      »Hast du wirklich keine Fragen an uns? Interessiert es dich nicht, zu hören …?«

      »Tretet … beiseite.«

      Der schwarz-weiße Kater lachte.

      »Na schön«, sagte sie. »Aber weißt du, was das hier ist?« Sie zog eine kleine Plastikbox aus ihrem Rucksack und hielt sie ausgestreckt.

      Er hätte sie in diesem Moment erschießen sollen. Bevor er eine Vermutung äußern konnte, zog sie mit dem Finger an der Box wie am Abzug einer Pistole. Zwei Kabel schossen heraus und hakten sich in sein Fell. Ein Schwall Elektrizität pulsierte durch ihn. Seine Muskeln verkrampften. Eine kreischende Explosion klingelte in Sebastians Ohren, so laut, dass er nicht sagen konnte, ob das Gewehr gerade geschossen hatte. Messer drehten sich in konzentrischen Kreisen, wo die Kabel in seine Haut gedrungen waren. Der Boden schien sich ihm entgegenzuheben.

      Dann folgten wie üblich barmherziger Schlaf und Vergessenheit.

      Als er aufwachte, brauchte Sebastian ein paar Sekunden, bis er realisierte, dass er an einen Telefonmast gebunden war. Eine straffe Nylonschnur fesselte seine Arme seitlich und seinen Schwanz an ein Kanalgitter, wohl damit er ihn nicht benutzte oder sich am Mast hochschob. Offensichtlich war er nicht die erste Katze, die diese fünf gefangen genommen hatten.

      Erst nach ein paar weiteren Momenten bemerkte er die Sonne untergehen. Folglich musste er fünf bis sechs Stunden bewusstlos gewesen sein. Möglicherweise wurde er unter Drogen gesetzt, da er trotz des langen Schlafes noch Erschöpfung verspürte. Falls sie ihn essen wollten, hoffte er, dass sie es bald hinter sich brächten. Die Schnüre waren eng.

      Auf der anderen Straßenseite stand ein Gebäude mit Zementsäulen und weißen Stufen. Ein Gericht? Ein Finanzinstitut? Er konnte es nicht sagen, weil die Fassade weggesprengt und die Treppe mit Schutt übersät war. Eine Gruppe Katzen stand auf dem

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