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eine Kaste Medizintechniker gezüchtet, die sie am Leben erhielten, damit sie wachsen und sich häuten konnte, bis sie zu eine der ältesten und größten Kreaturen des Planeten geworden war.

      In weniger als einem Jahrhundert nach dem Feuer hatten die Ameisen den Ursprung des menschlichen Sprechens in den Schallwellen erkannt, die aus entwickelten Organen in der Kehle drangen. Weitere zweihundert Jahre später hatten sie mehrere Sprachen lesen können. Da die Königin unfähig war, den Text auf den gestohlenen Papierfragmenten richtig zu sehen, hatte sie eine Unterart mit Geruchssensoren an den Füßen gezüchtet. Diese “Dolmetscher“ waren um die geschriebenen Worte marschiert, um den Verlauf der Tinte zu ermitteln.

      Nach Jahren des Studiums empfand die Königin die menschliche Sprache als eine primitive und sinnlose Form der Kommunikation, Lichtjahre hinter der unmittelbaren Klarheit und den subtilen Feinheiten ihrer Chemikalien. Menschensprache konnte alles und nichts zugleich bedeuten. Sie rätselte, wie eine Spezies mit einem solch erschreckend unzureichenden System erbauen, innovieren, Nachkommen zeugen und überleben konnte. Es war das Studieren der Sprache, das Hymenoptera erkennen ließ, wie leicht es sein würde, die Menschen gegeneinander aufzubringen. Der Homo sapiens hatte eine Schwäche, eine Art Leichtgläubigkeit für seine Sprache entwickelt. Während Kenntnis in der Königin mit beinahe gänzlicher Unfehlbarkeit in jenem Moment gespeichert wurde, in dem sie ein Fühlerpaar berührte, stritten die Menschen über Translationen, Urheberschaft, historischen Kontext, Symbolik und Bedeutung. Sie verließen sich auf die fehlerhaften Speicher von Erzählern, die einseitigen Interpretationen von Schreibern und die Launen ineffizienter Bürokraten, um gesammeltes Wissen weiterzugeben. Es hatte die Königin in gewisser Weise enttäuscht. Sie hatte gehofft, dass die Menschen sie überraschten und eine Kapazität zeigten, die sie erst noch ergründen musste, etwas, das sie zu würdigen Gegnern machte. Aber sie blieben bloß sprechende Affen, eine unglückliche Anomalie, die die Eleganz des Tierreichs befleckte und die gesamte Welt verschlechterte.

      Während ihrer Bemühungen, in die Psyche des Homo sapiens einzudringen, hatte sie ihren Töchtern befohlen, neue Mikroben und Viren zu züchten, mit schwankendem Erfolg. Die mit der Beulenpest infizierten Flöhe waren ein Geniestreich gewesen. Obwohl Hymenoptera zu dem Schluss gekommen war, dass eine Seuche niemals ausreichte, um die menschliche Bedrohung zu eliminieren, hatte sie viel von ihrer Manipulation der Säugetiere gelernt. Tatsächlich war das Übergeben der Erdoberfläche an die dort lebenden Kreaturen, die die Menschen seit Jahrhunderten ausbeuteten, zu einem unverzichtbaren Bestandteil ihrer Vision für die Erde geworden. Wenn die Zeit kam, würden die Tiere von den Fehlern der Menschen lernen und etwas Großartigeres werden. Dies würde Hymenopteras großes Experiment sein und beweisen, dass die Ameisen die wahren Götter dieses Planeten waren. Und vielleicht entwickelten die Tiere einige Qualitäten der Außenseiterin: Tapferkeit um ihrer selbst willen, Opferbereitschaft für das Wohl der Spezies, das Bewusstsein für ihren Platz im Universum, Demut im Angesicht der Realität, eine Ablehnung des Aberglaubens und eine furchtlose Akzeptanz der Wahrheit. Vielleicht. Unabhängig davon verdienten die Oberflächler eine Erlösung von der menschlichen Herrschaft und eine Chance auf Freiheit.

      Als die ersten Ameisenhügel hervorgebrochen waren, was die erste Phase des Krieges eingeläutet hatte, hatten die Menschen das Ereignis mit Belustigung statt Dringlichkeit beobachtet. Sie hatten keine Hymenoptera Unus, die sie in ein neues Schicksal führte. Stattdessen hatten sie unsystematisch reagiert. Sie hatten befallene Dörfer evakuiert und sich immer weiter zurückgezogen. Während sie Pestizide eingesetzt hatten, hatten sie über Umweltauswirkungen gestritten. Diese Besorgnis war der Königin absurd erschienen, da sie mehr als jede andere Spezies den Planeten verschmutzt hatten. Als die Pestizide gescheitert waren, hatten die Regierungen die Länder, die mittlerweile überrannt waren, unter Quarantäne gestellt. Einige Menschen waren töricht genug gewesen, um zu glauben, dass Zäune die Ameisen aufhalten könnten. In Wahrheit hatten sie dazu gedient, Flüchtlinge am Eindringen in reichere Länder zu hindern.

      Als sich die Insekten einfach unter den Barrieren durchgegraben hatten, hatten die Menschen eine Feuerschneise gezogen, um sie abzuhalten. Die lodernden Grenzen waren so lang gewesen, dass sie vom Weltall aus als glühend orange Bänder mit aufsteigenden Rauchsäulen gesehen werden konnten. Sie hatten sich für ihren Einfallsreichtum und die Solidarität beglückwünscht und waren entschlossen gewesen, die Lande so schnell wie möglich zurückzuerobern.

      Einige Wochen später hatte die Königin den Alphas befohlen anzugreifen. Zunächst waren sie angewiesen worden, nur Kinder zu erbeuten. Bilder abscheulicher Bestien, die schreiende Schüler aus Lehranstalten trugen, waren weltweit auf den Fernsehbildschirmen erschienen. Soldaten hatte ihre Posten verlassen und waren nach Hause gegangen, um ihre Familien zu beschützen. Niemand hatte eine rationale Erklärung für die Handlungen der Ameisen gefunden. Statt eine Gegenoffensive zu planen, hatten sich verwirrte Heerführer auf den Bau persönlicher Schutzbunker konzentriert. Wissenschaftler hatten über die Ursache eines solchen Verhaltens debattiert und Zivilisten hatten sich an ihre politischen Führer gewendet. Mehr als einmal hatten Aufrührer militärische Checkpoints überrannt und Senatoren, Gouverneure, Präsidenten und Diktatoren aus ihren Villen geschleift, um sie zu hängen oder Schlimmeres mit ihnen zu tun. Wie vorausgesehen, hatten sich religiöse Führer bei diesen Gräueltaten auf eine Strafe des Himmels geeinigt. Die Alphas wären Kreaturen aus der Hölle und den schlimmsten Albträumen für den Tag der Abrechnung entstiegen.

      Jene, die geblieben waren und gekämpft hatten, hatten einige der grausamsten Schlachten entfesselt, die der Planet je gesehen hatte. Während viele Spezies die Fähigkeit entwickelt hatten, in Schockstarre zu verfallen und unter schweren Traumata zu sterben, waren Menschen irgendwie in der Lage, sich dessen zu entheben und weiterzukämpfen, sogar mit abgeschlagenen Gliedmaßen und durchtrennten Arterien. Doch ihre Wut reichte nicht an den unsterblichen Hass der Königin heran, die sie für den Tod ihrer Mutter verantwortlich machte. Der Anblick tausender drei Meter hoher Insekten, die eine Festung stürmten und Soldaten zerrissen, war wieder und wieder im Fernsehen erschienen. Es spielte keine Rolle, wie gut ein Soldat zielte, wie viele Bomben er warf oder wie oft er Luftangriffe anforderte. Es waren stets weitere Ameisen auf dem Weg, und im Gegensatz zu Menschen, philosophierten die Alphas nicht über Verluste. Es gab keine erniedrigenden Einführungsrituale für neue Rekruten, keine fatalistischen Wetten, wer als Erstes starb, kein Masturbieren auf Fotos ihrer Liebsten zu Hause. Die Alphas waren unbarmherzig und entschlossen, während Menschen zweifelten und Angst hatten.

      Inmitten dieses Wahnsinns hatte die Königin die letzte Phase ihrer Übernahme initiiert: die Verwandlung der Oberflächen-Tiere. Unter ihrer Führung hatten die Chefwissenschaftler ein Hormon entwickelt, das abgeleitet war von den Chemikalien, die der Alpha-Zucht dienten und jenen, die Hymenoptera am Leben erhielten. Die Ameisen hatten das Mittel in die Wasserversorgung gespritzt. Das Hormon hatte auf Vögel, Reptilien, Amphibien und Säugetiere gewirkt. Unterdessen hatten sie ihre namenlose Insel im Atlantik erbaut, zusammen mit hunderten Erdtürmen auf jedem Kontinent, mit denen sie Signale sendeten, die nur die Tiere hörten und die ihre schnell wachsenden Gehirne aufnahmen. Die Frequenz enthielt unterschwellige Anleitungen, wie sie lesen, Werkzeug benutzen, kämpfen und Gesellschaften organisieren konnten. Es waren Grundkenntnisse, die sie brauchten.

      Die Veränderung hatte sich nach der ersten Dosis manifestiert. Die Tiere waren ich-bewusst geworden, was sie gezwungen hatte, ihren Beschränkungen zu entfliehen. Sie hatten die Welt hinter dem bloßen Überleben sehen können. Für manche war das ein schrecklicher Moment gewesen. Viele waren gestorben, weil sie aus dem Fenster gesprungen oder in den Verkehr gerannt waren, aber für die meisten hatte die Erfahrung Befreiung bedeutet, die der Entdeckung einer schwer fassbaren Formel glich.

      Innerhalb eines Tages hatten sich die physischen Weiterentwicklungen enorm gesteigert. Die Kehlköpfe hatten sich vergrößert und das Bilden von Wörtern ermöglicht. Bei jenen, die weder Hufe noch Flügel besaßen, waren die Vorderpfoten zu Händen mit opponierbaren Daumen gewachsen, und die Hinterläufe hatten die Fähigkeit erlangt, das Gewicht des Körpers zu tragen. Dabei hatten es wieder fehlerhafte Reaktionen bei bestimmten Tieren gegeben. Zu Beginn des Experiments war beispielsweise ein Rudel Wölfe so schockiert über ihre neuen Gliedmaßen gewesen, dass sie sie abgebissen hatten. Dieses Verhalten stellte eine Anomalie dar, die in die vorhergesagte Ausfallrate von vier bis neun Prozent fiel. Fortan hatten die Tiere tun können,

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