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Neugierig bin ich, wie lange Edzard sich von dem egoistischen Persönchen festhalten läßt. Nun, mag dem sein, wie es wolle, wir sind sie jedenfalls los.«

      »Was sind wir doch bloß für herzlose Menschen«, lachte Gräfin Linda. »Denn auch ich bin froh. Und wie steht es mit dir, Doro?«

      »Ich kann nicht sagen, daß ich Sitta nachtrauere«, gab sie offen zu. »Ich hatte immer so ein unbehagliches Gefühl bei ihrem hysterischen Benehmen. Dann glaubte ich nämlich mich selbst zu sehen, so wie ich war, bevor mich die Jo ummodelte. Ich muß ja ein unleidliches Scheusal gewesen sein.«

      »Da kann ich dir nicht widersprechen«, schmunzelte der Schwiegervater.

      »Du konntest mit den Launen und der Herrschsucht deine Umgebung schon in Atem halten. Und dabei warst du noch nicht einmal krank, sondern nur erbarmungsvoll vermickert. Wenn man dich jetzt so sieht, muß man an Wunder glauben. Nicht wahr, Linda?«

      »Kann man wohl sagen. Aber ganz so arg wie die Sitta war unsere Dörth denn doch nicht. Sie hatte ja auch ihre netten Touren – wenn auch nur selten«, schloß sie lachend, dem Schwiegertöchterlein, das dicht neben ihr saß, zärtlich über die Wange streichelnd. »Dafür hat sie sich aber auch in den vergangenen beiden Wochen ganz tadellos benommen.«

      »Ehrt mich zu hören«, schnitt Doro eine Grimasse. »Dann habe ich ja Aussicht, mir so peu à peu euer Wohlwollen zu erringen.«

      »Als ob du es nicht schon längst hättest, du dummes Ding«, brummte der Schwiegervater jetzt. »Aber du scheinst dir daraus ja nichts zu machen.«

      »Vielleicht –?« blitzte sie ihn an, und da mußte er wieder einmal feststellen, daß man dem kleinen Sprühteufelchen einfach nicht böse sein konnte.

      Und dann stand Edzard plötzlich vor ihnen, in aller Gelassenheit. Der Vater sprang auf, beklopfte ihm den Rücken und sagte freudestrahlend: »Da bist du ja, Junge! So schnell habe ich dich nicht zurückerwartet. Leg dich lang, siehst müde aus.«

      »Das bin ich auch tatsächlich.« Er ließ sich in den Liegestuhl fallen, während der Vater seinem Beispiel folgte. »Ich habe nämlich in den beiden Nächten, die ich fort war, kaum geschlafen.«

      »Stand es denn so schlecht um Sitta?«

      »Nicht schlechter als gewöhnlich, Muttchen. Aber du kennst ja ihre unselige Anhänglichkeit an mich.«

      »Das weiß Gott«, knurrte der Vater. »Und wie nahm sie deinen Abschied auf?«

      »Das weiß ich nicht. Als sie nach einer Spritze endlich schlief, fuhr ich einfach ab, ohne mich von Tante Fredas Gejammer zurückhalten zu lassen. Denn ich kann ja schließlich meine kostbare Zeit nicht bei so einem egoistischen Persönchen vertrödeln. Ja, wenn ich ihm noch helfen könnte, aber das steht leider nicht in meiner Macht.«

      »Hm, na ja. Und was sagte der Professor über die Patientin?«

      »Du kennst ja die Art dieser Kapazitäten, Vater. Zuerst fragt er, ob Sitta meine Braut wäre. Als ich das verneinte, schickte er mich kurzerhand nach Hause. In dem Sanatorium hätten nämlich nur Angehörige der Patienten etwas zu suchen.«

      »Ein kurz angebundener Herr«, meinte die Mutter. »Ach, Kinder, was bin ich doch froh, für meine Gemütlichkeit, die ich in den beiden Wochen mehr als einmal verwünschte, nicht härteres Lehrgeld zahlen zu müssen. Aber noch einmal passiert mir so eine Eselei nicht.«

      »Abwarten –«, schmunzelte der Gatte. »Wollen wir wetten, daß du beim nächsten Jammerbrief dein gutes Herz doch wieder durchgehen läßt?«

      »Lieber nicht«, wehrte sie lachend. »Ich trau mir nämlich selbst nicht so recht.«

      Während dieser Unterhaltung hatte Doro sich schweigend verhalten. Sie lag in beliebter Stellung da, langgestreckt, die Hände hinterm Kopf gefaltet, und schaute zum Himmel empor, der sich wie blauer Atlas über das Firmament spannte. Was sie dachte und empfand – nun das konnten die drei Menschen, deren Blicke immer wieder verstohlen zu ihr hingingen, wie gewöhnlich nicht ergründen.

      Sie ist wie ein Buch mit sieben Siegeln – dachte die Mutter bekümmert. Genauso wie Edzard. Die schwierigsten Charaktere, die mir je in meinem Leben vorgekommen sind.

      Und dabei ist die Dörth noch nicht einmal verschlossen. Sie gibt sich im Gegenteil frei und ungezwungen. Nur ins Herz hinein läßt sie sich nicht blicken. Wenn man da nur anzutippen wagt, verkriecht sie sich wie eine Schnecke in ihr Häuslein.

      Wie lange soll das noch so weitergehen? Die Ehe währte ja bald ein Jahr. Allerdings war Doro mit Unterbrechungen mindestens die Hälfte davon auf Reisen gewesen – und dennoch.

      Ach, es war schon ein Jammer!

      Jetzt seufzte sie schmerzlich auf, und der Gatte sah sie forschend an.

      »Wo flog denn dieser Seufzer hin? Darf dein Ehegespons es wissen?«

      »Ich möchte eine Hellseherin sein.«

      Auf diese Antwort war er denn doch nicht gefaßt. Machte ein so verdutztes Gesicht, das die andern amüsiert lachen ließ.

      »Nanu, was würdest du da erleuchten?« fragte der Sohn neckend.

      »Menschenherzen.«

      »Ei du, wünsche dir das nicht«, warnte der Gatte. »Da möchtest du ein schönes Kuddelmuddel zu sehen kriegen. Gib dich zufrieden, daß du unsere Herzen durchleuchten kannst, so bis in alle Ecken und Winkel hinein.«

      »Meinst du, daß ich dabei auch wirklich alle Winkel erfassen kann?«

      »Also Kinder, jetzt hört euch das bloß an! Unsere Mutti fängt an zu philosophieren. Das ist bestimmt ein Zeichen nahenden Alters.«

      »Dann kommt sie in die Jungmühle«, schlug Doro lachend vor. »Und damit sie dann nicht zu jung für Papa wird, muß dieser eben mit. Doch hoffentlich geratet ihr nicht in die falsche Mühle und kommt als Babys wieder heraus.«

      Doro schaute nachdenklich drein.

      Sie war einfach unwiderstehlich in ihrem Charme, wie sie so dasaß mit leuchtenden Augen und verträumtem Gesicht.

      Wie kann der Junge bei diesem bezaubernden Anblick bloß so gelassen bleiben – schoß es der Mutter durch den Sinn. Entweder hat er kein Herz – oder er versteht es eisern zu hüten.

      Am Nachmittag erschien dann Familie Sander unerwartet. Denn es herrschte jetzt ja wieder wie früher ein zwangloses Aus- und Eingehen zwischen Villa und Schloß.

      Doro, die aufsprang, um ihre Lieben zu begrüßen, verhaspelte sich im Liegestuhl und fiel buchstäblich auf die Nase. Doch bevor sich die andern noch von ihrem Schreck erholen konnten, war Edzard schon heran und hob die Gattin auf, ohne darauf zu achten, daß das strömende Blut seinen Anzug befleckte. Er trug Doro zum nächsten Diwan, setzte sich zu ihr, drückte mit der einen Hand ihren Kopf nach hinten und preßte mit der andern sein Taschentuch auf die verletzte Nase.

      »Rasch, Vater, hol blutstillende Watte, und ordne an, daß Balduin eine Schüssel mit kaltem Wasser und weiche Tücher bringt.«

      Der Mann eilte davon, und als Edzard sich bequemer setzen wollte, schrie Doro auf:

      »Au – mein Fuß!«

      »Ja, ist er denn auch verletzt?«

      »Wahrscheinlich. Denn er tut erbärmlich weh.«

      »Komm, Papa, löse mich hier ab, damit ich den Fuß untersuchen kann.«

      »Junge, laß mich zufrieden«, wehrte er, dem der Schreck gehörig in die Glieder gefahren war. »Mach du das, Ruth.«

      »Nein, ich habe Angst. Vielleicht ist das Nasenbein gebrochen.«

      »Dann komm du her, Jörn.«

      »Aber ich kann kein Blut sehen.«

      »Ihr seid mir ja schöne Helden«, wurde Edzard jetzt ärgerlich. Doch schon stand die Mutter da und löste ihn ab.

      »Welcher Fuß ist es, Doro?«

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