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Doro sie nicht mehr vernahm. Bald danach trat die Zofe ein und kleidete ihre Herrin mit leichten, geschickten Händen an.

      Und dann erschien der junge Graf, um die Gattin nach unten zu tragen, während Tina schon vorauseilte, um auf der Terrasse ein bequemes Lager zu richten.

      »Mach dich nicht so steif«, sagte Edzard kurz, da Doro das Kreuz einbog, als er sie auf die Arme hob. »Leg die Arme ruhig um meinen Hals, damit vergibst du dir bestimmt nichts, du kleiner Trotzteufel, und ich kann dich so leichter tragen.«

      »Dann laß mich eben liegen.«

      »Ei, Doro, jetzt werde nicht ungezogen«, warnte er mit einem gefährlichen Aufblitzen in den Augen. »Ich laß mir wahrlich genug von dir bieten – viel mehr, als eines Mannes würdig ist. Nun, wird’s jetzt bald?«

      Da legte sie mit einem Ruck die Arme so fest um seinen Hals, daß er fürchten mußte, erwürgt zu werden. Er sollte sich nur nicht einbilden, daß sie sich von ihm kommandieren ließ.

      Ein gräßlicher Mensch – oder auch nicht –?

      Sich selbst wohl kaum bewußt, atmete sie den Duft ein, der seiner Person eigen. Ein eigenartiger Duft, so ein Gemisch von herbem Parfüm, von Harz, von Heu und Sattelzeug. Ein Duft, der sich verwirrend auf Herz und Atem legte. Schon wollte sie den Kopf fest an seine Schulter legen, als sie eine warnende Stimme zu vernehmen glaubte:

      »Hüte dein Herz.«

      Da zuckte sie zusammen. Und schon hörte sie die sonore Stimme dicht an ihrem Ohr: »Tu ich dir weh?«

      »Ein wenig schon. Aber es geht ja wohl nicht anders.«

      »Nein, es geht nicht anders«, wiederholte er so hart, daß sie ihn betroffen ansah. Kalt war sein Gesicht und blaß.

      Auch dann noch, als er ihr ein Glas Wein reichte, nachdem er sie auf den Liegestuhl gebettet hatte. Widerwillig trank sie und gab sich dann alle Mühe, bei der Besorgnis der Menschen, die sie umstanden, nicht abweisend zu werden. Sie erntete ohnehin schon Liebe genug, wo sie noch keine gesät hatte.

      Nur einer schloß sich davon aus. Der richtete sich nach dem Bibelwort: Auge um Auge, Zahn um Zahn.

      *

      Schon längst war der kleine Unfall Doros, der hauptsächlich von ihren Eltern so wichtig genommen wurde, behoben. Leichtfüßig wie zuvor schritt sie dahin, und hochmütiger denn je reckte und rümpfte sich das damals lädierte Näschen.

      Und es rümpfte sich ganz besonders, als die mondäne Dame sichtbar wurde, die es auf den jungen Grafen abgesehen hatte, wie man teils unwillig, teils amüsiert zur Kenntnis nahm. Woher sie kam, wußte kein Mensch zu sagen. Jedenfalls war sie plötzlich da und fragte das nicht wenig erstaunte ältere gräfliche Paar naiv, ob es sie denn gar nicht erkenne. Sie wäre doch Bella, Graf Bertrams Vetterkind.

      »Hm –«, brummte er, es klang schon mehr wie ein unwilliges Grunzen. »Wer garantiert mir dafür?«

      »Natürlich ich selbst, Onkelchen«, wollte die Mondäne sich jetzt halbtot lachen. »Du warst doch sogar Trauzeuge, als ich Kuno von Märbitz heiratete.«

      »Aha, jetzt tagt’s so langsam in meinem Hirn. In deinem auch, Linda?«

      »Schon längst«, kam es lachend zurück. »Wenn Bella sich auch in den vierzehn Jahren, da wir sie zuletzt sahen, verändert hat, zu erkennen ist sie trotzdem. Was führt dich zu uns, Bella?«

      »Ich brauche Erholung, liebes Tantchen.«

      Dabei ging ein Blick zu Edzard hin, der nur zu gut andeutete, wo sie diese »Erholung« zu finden hoffte. Und obgleich man den Grafen Sölgerthurn seit jeher Ritterlichkeit nachsagte, kam es bei ihnen immer noch darauf an, wo man diese für angebracht hielt – nämlich bei der »holden« Weiblichkeit – und nicht bei der »raffinierten«.

      Und daß diese Bella mit aller Raffinesse gewaschen war, dazu gehörte bestimmt nicht große Menschenkenntnis, um das zu ergründen. Daher sagte der Senior ganz unmotiviert: »Unser Sohn Edzard ist verheiratet.«

      »Das weiß ich doch, Onkel Bertram«, ließ Bellachen sich nicht verblüffen. »Und zwar mit der geborenen Sander, dieser verkümmerten Erbtochter.«

      »Nanu, mal langsam«, fuhr Edzard, der dem allen bisher mit stillem Ergötzen gefolgt war, ihr jetzt in die Parade. »Wenn du etwa hergekommen bist, um meine Frau zu beleidigen, dann mach gefälligst die Tür von draußen zu.«

      »Aber, Vetter Edzard, wo bleibt da die vielgepriesene Ritterlichkeit der Sölgerthurns?«

      »Immer da, wo sie angebracht ist«, unterbrach er sie gelassen. »Und nun mach uns hier keinen blauen Dunst vor, darauf fallen wir nicht herein. Wir wissen ganz genau, weshalb du hier bist, nämlich: Weil dein Mann, ein übler Ha­sardeur, sich vor einigen Wochen erschoß, als er vor lauter Schulden nicht mehr aus noch ein wußte.«

      »Woher weißt du das denn«, entfuhr es ihr ungewollt, und jetzt gab Graf Bertram Antwort: »Von Freda, die mit ihrer kranken Tochter Sitta zwei Wochen bei uns weilte. Es war ihr direkt eine Genugtuung, uns mitzuteilen, daß in der Verwandtschaft, die sich einst wegen ihrer Heirat von ihr lossagte, auch alles mehr Talmi ist als Gold.«

      »Onkel Bertram, du beleidigst mich!«

      »Dann geh weiteren Beleidigungen aus dem Wege, indem du schleunigst von hier fliehst«, gab er mit einer Härte zurück, die dieser Grandseigneur nur in den äußersten Fällen anwandte. Und siehe da, die eben noch auf so hohem Roß reitende Dame fiel kläglich mit einem Plumps herab.

      »Onkel Bertram«, flehte sie. »Wenn du mir die Tür weist, bleibt mir nichts anderes übrig, als mich umzubringen.«

      »Theater –«, knurrte der Mann verbissen. »Komm uns nicht mit deinen Mätzchen. Sag lieber frei heraus, daß du von unserer reichen Erbschaft erfahren hast und nun Geld von uns willst. Doch daraus wird nichts. Zwar haben wir eine offne Hand – aber nur da, wo es nottut.«

      Weiter konnte er nicht sprechen, weil Doro dazukam – lachend, strahlend wie ein Frühlingswunder. Sie trug den Reitdreß, der sie so fabelhaft kleidete. Die leuchtendblauen Augen schauten verwundert auf die aufgetakelte Dame – und dann rümpfte sich das feine Näschen, was die Ihren ungemein ergötzte.

      »Meine Frau –«, stellte Edzard in gewohnter Gelassenheit vor. Meine Frau – nicht mehr und nicht weniger.

      »Sie sind Doro Sander…?« fragte Bella fassungslos, und hochmütig kam es zurück:

      »Jetzt Gräfin Sölgerthurn. Tag, ihr Lieben! Gibt’s bald Kaffee?«

      Da lachte der Senior auf. Es war ein Lachen, das alles Dunkle, Zwielichtige verscheuchte. Und mit diesem Lachen fiel alle Hoffnung zusammen, mit der Bella hergekommen war. Wie etwas Grausiges starrte sie die bezaubernde junge Gräfin an, die sich in der Runde niederließ wie ein Mensch, der mit allem, was auf dem feudalen Rautenau lebte und webte, unlöslich fest verbunden war.

      Und sie hatte Geld, diese kindhafte Frau – viel Geld sogar, von ihrem Vater her. Und Geld hatten jetzt auch die Sölgerthurns durch die Erbschaft der Tante Eulalia.

      Und das viele Geld umgab diese hochmütige, feudale Grafenfamilie wie ein eiserner Panzer, der nichts an sie heran ließ.

      Plötzlich sah die mondäne Bella müde und alt aus – viel älter, als ihre vierunddreißig Jahre bedingten. Und da tat sie den gutherzigen Menschen leid.

      »Höre, Bella –«, begann der Senior, sich dabei räuspernd, als müßte er eine Rede halten. »Wir wissen, daß du arm und verlassen bist – denn deine Eltern sind tot – dein Mann ist tot. Ohne deiner Vergangenheit nachzuspüren, wollen wir dir Gastfreundschaft gewähren, bis du über dein weiteres Leben entschieden hast. Aber nur unter der Bedingung, daß du hier nicht unsern Frieden störst. Wir lieben Licht und Sonne, ohne die wir hier nicht leben, nicht atmen können. Ist dir klar, was ich damit meine?«

      »Ja, Onkel Bertram – ich danke dir.«

      »Na schön. Und nun wollen wir zusehen, daß unsere Dörth zu ihrem Kaffee kommt.«

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