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zarter Duft erfüllte die Luft wie ein Versprechen des kommenden Frühlings. Im nahen Hyde-Park knospten die Bäume, das Gras hatte einen saftig grünen Ton angenommen und überall reckten frühe Tulpen, Hasenglöckchen und Narzissen ihre Köpfchen zum Licht. Das fröhliche Gezwitscher von Meise, Rotkehlchen und Amsel schien sich mit Heathers Spiel zu einem perfekten Bild des Frühlings zu verbinden.

      Das hübsche junge Mädchen mit den goldblonden Locken und den himmelblauen Augen war die einzige Tochter von Rose und George Somersby und sehr behütet aufgewachsen. Der angesehene Londoner Anwalt konnte Frau und Kind jenen Lebensstil bieten, der für die gehobenen bürgerlichen Klassen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts selbstverständlich schien. Die Welt war noch heil in jener Zeit, man wusste nichts von Weltkriegen und den damit verbundenen Entbehrungen. Das Vereinigte Königreich führte Kolonialkriege und seine Bürger daheim ein geordnetes Leben.

      Heather war musisch begabt. Ihr Talent hatte schon früh ein Musiklehrer entdeckt, ihre schöne Singstimme war daraufhin ausgebildet worden und sie hatte auf verschiedenen Instrumenten Unterricht genommen. Nun war sie zur jungen Dame herangewachsen, mit erstklassischer Ausbildung, perfektem Auftreten und einer gewissen Anzahl an Verehrern, die bereits ernsthafte Absichten an George Somersby herangetragen hatten. Allerdings dachte Heather noch nicht daran, zu heiraten. Im Herbst sollte sie als Debütantin offiziell in die Gesellschaft eingeführt werden. Man hatte Beziehungen zum Hof, sodass auch die Aussicht auf eine adlige Partie durchaus realistisch war. Das junge Mädchen träumte aber nicht davon, dass ein Prinz auf einem Schimmel um sie warb. Heathers ganzes Sinnen und Trachten war auf ihre Kunst gerichtet.

      Nun stimmte sie ein Wiegenlied von Schubert an und begleitete sich auf dem Flügel. Sie war trotz ihrer Jugend bereits eine ausgereifte Künstlerin und ging ganz auf in ihrer Musik. Zumal sie Grund hatte, sich zu freuen, denn bald würden ihre Eltern nach längerer Abwesenheit heimkehren.

      George Somersby gehörte einer größeren Sozietät an mit internationalen Beziehungen. Da er sich einen Namen als Strafverteidiger gemacht hatte, war er von einem namhaften Kollegen in New York zu einem spektakulären Indizienprozess hinzugezogen worden. Es ging um einen Raubmord in den ersten Kreisen, als Zeugen waren Kongressabgeordnete geladen, die gesamte amerikanische Presse saß im Gerichtssaal, die Öffentlichkeit verfolgte jeden Prozesstag mit Spannung.

      Rose hatte ihren Mann begleitet, um weitläufige Verwandte in den Staaten zu besuchen. Da Heather unter starker Seekrankheit litt, hatte sie darauf verzichtet, mit den Eltern zu reisen. Doch nun zeigte sich, dass vier Wochen eine lange Zeit waren, die das junge Mädchen nur zusammen mit dem Personal und der Gesellschafterin Miss Pringle verbracht hatte.

      Diese betrat nun das Musikzimmer. Sie war eine unscheinbare, schmale Person mit haselnussbraunem Haar und gutmütigen Augen. Die drückten ihr Temperament aus, denn sie war tatsächlich ein liebenswerter, bescheidener Mensch. Für Heather war die junge Gesellschafterin eher eine Freundin. Sie gab nicht allzu viel auf die Unterschiede zwischen Herrschaft und Personal, was ihre Mutter oft tadelte. Doch wenn Heather und Miss Pringle allein waren, nannten sie sich beim Vornamen und gingen tatsächlich wie Freundinnen miteinander um.

      Als die Gesellschafterin neben den Flügel trat, hatte Heather eben das Lied beendet und atmete tief aus. Dann lächelte sie und fragte: »Hat es Ihnen gefallen, Daisy? Ich glaube, an der Schlusssequenz muss ich noch ein wenig arbeiten, oder?«

      »Für mich klang es wundervoll«, versicherte Miss Pringle. »Sie haben eine außerordentlich schöne Stimme, Miss Heather.«

      »Danke für das Lob. Wollen wir nachher in den Park gehen? Das Wetter ist so herrlich, ich möchte an die frische Luft.«

      »Wenn Sie mögen, begleite ich Sie gern«, bot die junge Frau sogleich an. »Aber bis zur Ankunft ihrer Eltern ist noch einiges vorzubereiten. Die Köchin fragt nach dem Speisenplan und …«

      »Ach, nein, Daisy, nicht heute. Es sind ja noch ein paar Tage Zeit bis dahin. Mein Vater hat gestern gekabelt. Sie werden Ende der Woche mit der Titanic einlaufen.« Heather lächelte versonnen und ihre himmelblauen Augen funkelten. »Es muss herrlich sein, auf solch einem riesigen Schiff zu reisen. Ich wünschte, ich würde nicht unter dieser dummen Seekrankheit leiden, dann hätte ich sie begleiten können, etwas von der Welt sehen …«

      »Das werden Sie gewiss noch zur Genüge, Miss Heather. Sie sind ja noch so jung. Wenn Sie verheiratet sind, können Sie mit Ihrem Ehemann die ganze Welt bereisen.«

      Heather lachte. »Ja, vielleicht. Oder ich werde eine berühmte Sängerin und reise auf eigene Faust …« Sie lächelte verschmitzt, weil Miss Pringle erschrak. »Keine Sorge, noch ist nichts entschieden. Aber es würde mich doch reizen, auf eigenen Beinen zu stehen, an den großen Opernhäusern der Welt aufzutreten und ein Star zu sein.«

      »Was würde nur Ihre Frau Mama dazu sagen?«, wandte die Gesellschafterin verschämt ein.

      »Sie wäre bestimmt nicht entzückt.« Heather kicherte. »Ich muss auf jeden Fall meine offizielle Einführung in die Gesellschaft abwarten. Mama fiebert schon darauf. Ich soll nur mit den ersten Kavalieren des Landes tanzen und den besten Eindruck machen. Ich werde sie nicht enttäuschen, das habe ich mir fest vorgenommen. Auch wenn es für mich eigentlich gar nicht so wichtig ist.«

      »Sind Sie denn nicht gespannt auf all die vornehmen Gentlemen, die Sie dann kennen lernen werden?«

      Heather hob die Schultern. »Ein bisschen vielleicht. Aber ich bin, ehrlich gesagt, sehr viel gespannter, wenn ich ein neues Musikstück oder ein neues Lied lernen kann. Sie sehen, Daisy, ich bin eben Künstlerin mit Leib und Seele.« Und um diese Behauptung zu untermauern, spielte Heather sogleich ein langes, schwieriges Stück, das ihr so leicht von der Hand ging wie eine kleine Fingerübung. Die Gesellschafterin war beeindruckt. Gerne hätte Miss Pringle der jungen Miss noch stundenlang zugehört, doch daraus wurde leider nichts.

      Schon wenig später erschien der Butler und kündigte den Besuch von Mr. Harold Waterford-Langley an. Er war der Seniorpartner der Kanzlei, in der George Somersby arbeitete. Heather betrachtete die Visitenkarte, die der Butler ihr auf einem silbernen Tablett reichte, einen Moment lang unsicher. Etwas Kaltes schien sie unvermittelt anzuwehen und sie bat Miss Pringle, das Fenster zu schließen. Dann wies sie den Butler an, den Besucher ins Wohnzimmer zu führen.

      »Soll ich Sie begleiten?«, bot die Gesellschafterin an.

      Heather schüttelte den Kopf. »Nicht nötig, es dauert sicher nicht lange. Vermutlich irgendeine geschäftliche Sache. Ich werde Papa etwas ausrichten müssen, nehme ich an.«

      *

      Der Besucher war ein distinguierter Herr in den besten Jahren. Heather kannte ihn flüchtig von einigen Besuchen, die meist geschäftlicher Natur gewesen waren. Ihr Vater schätzte es gar nicht, wenn sie bei solchen Gelegenheiten auftauchte, weshalb sie dem Arbeitszimmer meist fern geblieben war. Mr. Waterford-Langley war aber zugleich eine Art Mentor und väterlicher Freund von George Somersby. Gab es im Haus ein Abendessen mit Gästen oder eine Gesellschaft, wurden er und seine Gattin stets eingeladen. So hatte er auch schon ein paar private Worte mit Heather gewechselt und war ihr nicht ganz fremd.

      Nun begrüßte er das junge Mädchen freundlich und entschuldigte sich zugleich für den unerwarteten Besuch.

      »Sie stören mich gar nicht«, versicherte Heather in ihrer natürlichen Art. »Ich bin ja schon seit Wochen recht allein und einsam und freue mich über jede Abwechslung. Kann ich Ihnen vielleicht etwas anbieten?«

      »Oh nein, ich werde mich nicht lange aufhalten.« Nun wurde der Besucher plötzlich ernst und reserviert. Sein Blick wich dem Heathers aus, als er fragte: »Haben Sie etwas von Ihren Eltern gehört, Miss Somersby?«

      »Ja, mein Vater hat ein Kabel geschickt. Sie werden in ein paar Tagen heimkommen«, erwiderte sie freundlich.

      »Ihre Eltern haben zwei Passagen auf der Titanic gebucht?«

      Heather nickte nur, sie verstand nicht, worauf der Besucher hinauswollte. Doch das sollte sich gleich ändern, denn nun reichte der Anwalt ihr die heutige Ausgabe der »Times«. »Bitte, lesen Sie, ich fürchte, das bedeutet nichts Gutes.«

      Heather

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