Скачать книгу

Horace gab das Grübeln auf. Er nahm den Hut vom Haupt und ließ sich den Fahrwind um die brennende Stirn fegen. Aber die Gedanken verließen ihn nicht. Diana kannte den einen, Jane ist die Gattin des anderen. Irgendeine Möglichkeit müßte es dadurch geben, mit den Trägern der Macht in Berührung zu kommen. Irgendein Pfad müßte sich zeigen, auf dem England aus dieser Sackgasse herauskommen kann. Die Gedanken verfolgten ihn bis an das Ziel seiner Fahrt.

      In der großen Halle in Maitland Castle saß Jane auf ihrem Lieblingsplatz. In dem Erker, von welchem der Blick auf die Veranda und den Park ging. Ein Nähkörbchen stand vor ihr. Sie arbeitete an einem Jäckchen. Doch die Arbeit lag auf dem Tisch, und ihre Augen hafteten an einem Schriftstück. Die blauen Typen des Farbschreibers. Die letzte Depesche der Macht. Als der Telegraph die Botschaft der Macht auch nach Maitland Castle meldete, hatte Jane das Schriftstück an sich genommen. Seit zwei Tagen trug sie es bei sich und las es in jeder unbeobachteten Minute wieder und immer wieder.

      Ihr Blick hing wie gebannt an den Schriftzeichen. Sie überhörte dabei das Kommen Dianas, die leise hinter sie trat, ihr den Arm auf die Schulter legte.

      Jane schrak zusammen. Sie versuchte es, das Papier zwischen die Wäschestücke zu schieben.

      »Jane, mein Kind. Schon wieder die Depesche?«

      »Ach … Diana … Sie wissen nicht, was die Worte auf diesem Papier für mich bedeuten. Immer wieder finde ich Trost in diesen Zeilen. An alle Welt ist die Depesche gerichtet. Ich aber sehe den vor mir, der sie abgesandt hat.«

      Diana hatte sich der jungen Frau gegenüber niedergelassen. Sie sah, wie fliegende Röte über ihre Züge huschte, las in diesem Gesicht wie in einem offenen Buch. Freude, daß der Gatte lebte. Stolz, daß die Idee zu dem großen Werk in der genialen Erfindung ihres Gatten wurzelte. Glück, daß sie nach vollendetem Werk Silvester bald wieder in die Arme schließen könne.

      »Kind! Wenn jemand Sie versteht, so bin ich es. Ich bin stolz darauf, die Gattin Silvester Bursfelds meine Freundin nennen zu können.«

      Tiefes Rot überflutete Janes Wangen. Ein hilfloses Lächeln zuckte um ihre Lippen.

      »Was Sie sagen, sollte mich stolz machen. Aber was bin ich Silvester? Was kann ich ihm jetzt noch sein? Je höher Sie meinen Mann und sein Werk stellen, desto kleiner und unwerter komme ich mir selbst vor. Ich fürchte mich vor dem Wiedersehen! Statt meinen Silvester zu umarmen, werde ich vor einem Mann stehen, zu dem die Welt aufblickt. Was werde ich ihm noch sein können?«

      Diana richtete sich auf.

      »Was sagen Sie, Jane? Sie versündigen sich mit Ihren Worten an der heiligsten Bestimmung des Weibes. Sind Sie ihm nicht Gattin? … Erfüllen Sie nicht damit die hehrsten Gesetze; die die Natur dem Weibe vorgeschrieben?«

      Mit aufleuchtender Freude lauschte Jane den Worten Dianas.

      »Jane! Sie geben ihm den Erben. Sie pflanzen sein Geschlecht fort, in dem der Name und Ruhm Silvester Bursfelds weiterleben wird. Er weiß es nicht. Wie er sich freuen würde, wenn er es wüßte!«

      »Glauben Sie …?«

      »Ganz gewiß!«

      »Aber Sie, Diana …?!«

      »Ich …?«

      »Warum weiß Lord Horace nicht davon, daß …«

      Mit einer raschen Bewegung wandte Diana Maitland den Blick dem Park zu. Jane sah, wie ihr eine jähe Röte über den Nacken lief.

      Ein drückendes Schweigen. Bis Diana Maitland sich mit einer müden Bewegung Jane wieder zuwandte. Sie vermied es, Janes Frage zu beantworten. Nahm den Papierstreifen aus den Händen der jungen Frau.

      »Ja … die Depesche … Es sind die stolzen Worte einer überlegenen Macht … Aber sie künden der Menschheit den Frieden. Ich kenne die Politik … ihre Mittel und Wege … ich kann mich in die Seelen der Tausend von Frauen und Männern versetzen, denen die Worte der Depesche Schicksal und Leben bedeuten. Dann glaube ich zu träumen und zweifle, ob es wahr ist, was die Worte der geheimnisvollen Macht enthalten … ja, Jane … ich habe Zweifel, ob es wahr ist … Aber … nein, es muß wahr sein … Denn Eriks Worte sind es ja … Erik … lügt nicht!«

      »Erik? … Meinen Sie Erik Truwor?«

      »Ja, Erik Truwor.«

      »Kennen Sie Erik Truwor?«

      »Ja … ich lernte ihn vor Jahren in Paris kennen.«

      »Sie kennen Erik Truwor, den besten Freund meines Mannes?«

      »Ja. Ich kenne ihn … habe ihn sehr gut gekannt.«

      »Aber Sie sprechen nie von ihm. Und doch ist sein Name in unseren Gesprächen schon oft gefallen.«

      »Lassen Sie, Jane! … Es sind Erinnerungen, die … ich … begraben … vergessen haben möchte. Ich denke jetzt nur noch an sein Werk … Wird es ihm glücken? … Wird ein idealer Wille im Besitz einer unendlichen Macht imstande sein, der Menschheit den Frieden zu geben, die Dinge der Welt zum Heil der Menschheit neu zu ordnen … ich denke, es wird ihm gelingen … er wird sein Werk vollbringen, nach dem eine neue Zeitrechnung für die Politik und Geschichte Europas … nein, der ganzen Welt beginnt …«

      Lord Horace stand plötzlich in der Halle. Diana fühlte sich unsicher. Sie wußte nicht, wieviel ihr Gatte von dem Gespräch gehört haben mochte, wieviel von diesem Gedankenaustausch an sein Ohr gedrungen war.

      »Auch hier Politik? Wo ich Ruhe suchte, fand ich immer nur Politik.«

      »So muß es wohl sein, Horace. In Schloß und Hütte, in den entlegensten Winkeln der Erde bewegt doch alle dieselbe Frage. Kann es etwas Erhebenderes geben als den Gedanken, daß die Welt endlich zur Ruhe kommen soll? Daß dies sinnlose Morden und Zerfleischen ein Ende haben soll …?«

      »Du scheinst dich schon ganz als Weltbürgerin zu fühlen. Was aus unserem Lande … aus dem britischen Weltreich wird, ist dir gleichgültig. Freilich … du bist keine geborene Britin.«

      »Aber ich habe stets als englische Patriotin gefühlt. Ich habe stets empfunden …« – Lady Diana sprang auf und trat ihrem Gatten entgegen – »… daß ich die Gattin Lord Maitlands bin.«

      »… als Britin hast du gefühlt?«

      »Stets, Horace!«

      »Und trotzdem bist du für die Pläne der Macht eingenommen?«

      »Ja!«

      »Ja … verstehst du den Sinn dieser Depesche nicht?«

      »Aber ja, doch! Es ist die frohe Botschaft vom Frieden … die Freudenbotschaft, daß der Krieg zu Ende ist.«

      »So … so!? … Weiter nichts?«

      »Ja … Ist denn das nicht genug? Klingt das nicht wie das Weihnachtsevangelium?«

      »Weihnachtsbotschaft? … Freudenbotschaft? … Welcher Mann kann das als Freudenbotschaft ansehen, was ihm Sklaverei und Knechtschaft bedeutet.«

      »Horace … Horace … was sprichst du?«

      »Soll ich dir die Depesche ins Gedächtnis zurückrufen … soll ich sie dir noch einmal vorlesen?

      ›Der Krieg ist zu Ende! …

       Die Macht fordert Gehorsam …

       Ungehorsam wird bestraft!!! …‹

      Macht dir das als Britin Freude?«

      Das klang ganz anders als die Tonart, in der Diana die Depesche gelesen hatte. Wie Peitschenhiebe knallten hier die einzelnen Worte, steigerte sich die Drohung von Satz zu Satz, bis sie schließlich brutal herauskam. Bei jedem Worte dieser lapidaren Sätze trat Diana automatisch einen Schritt zurück. Ihre Augen hingen starr und ratlos an ihrem Gatten. Aber auch Lord Maitlands Züge hatten die gewohnte Ruhe verloren. Es zuckte in ihnen. Röte der Erregung und des Zornes lag auf seinem Antlitz.

      Wie hatte Diana mit Jane zusammen über diese Depesche gejubelt,

Скачать книгу