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      Widerstandslos beugten sich die beiden Adjutanten der erdrückenden Übermacht. Während sie abgeführt wurden, öffnete Oberst Cole die Tür zum Zimmer des Diktators. Dr. Rockwell trat ihm entgegen.

      »Ruhe, meine Herren! Der Präsident bedarf dringend der …«

      Der Leibarzt sah die entschlossenen Mienen der Andrängenden und trat schweigend zur Seite. Der Weg war frei. Oberst Cole trat in das Zimmer und schritt langsam auf den großen Schreibtisch zu. Er hatte von der rechten Seite her den Blick auf den Tisch und den Diktator. Cyrus Stonard saß bei der Arbeit, ein Schriftstück in der Hand. Er blieb ruhig sitzen und senkte nur die Hand mit dem Dokument, während ein eigenartiges Lächeln seine hageren Aszetenzüge überflog.

      Offiziere und Mannschaften strömten hinter ihrem Oberst in den Raum, bildeten an der Türwand einen Halbkreis. Es wurde so still, daß man das Ticken der kleinen Standuhr bis in den fernsten Winkel vernehmen konnte.

      Cyrus Stonard wandte das Haupt halb nach rechts gegen die Eingetretenen.

      »Was wünschen die Sieger von Graytown, von Philipsville und Frisko?«

      Es waren Schlachtennamen aus dem letzten Japanischen Kriege. Ehrennamen für Oberst Cole und sein Regiment. In diesem Augenblick aus dem Munde des Diktators kommend, wirkten sie lähmend auf die Eingetretenen.

      Oberst Cole wich einen Schritt zurück … und noch einen und noch mehrere. Wich zurück vor diesem rätselhaften Ausdruck in Cyrus Stonards Augen. Das war nicht der drohende, faszinierende Blick des Gewaltherrschers, sondern der überlegene, abgeklärte eines Mannes, der alles erkannt und alles als eitel befunden hat.

      Oberst Cole wich zurück, bis er Widerstand fühlte. Arme umschlangen ihn. Die flüsternde Stimme, der warme Atem Glossins drangen an sein Ohr. Mit sicher werdenden Schritten trat er wieder auf den Diktator zu.

      »Herr Präsident, das Land verlangt Ihren Rücktritt!«

      »Das Land?«

      »Das Land, Herr Präsident!«

      Cyrus Stonard hörte die feste Stimme des Obersten, blickte ihm in die Augen und sah die Wahrheit. Langsam kamen die Worte von seinen Lippen:

      »Der Wille des Landes ist für mich das höchste Gesetz … Was habe ich zu tun?«

      »Das Land zu verlassen!«

      »Wann?«

      »Sofort!«

      Cyrus Stonard erhob sich mit kurzem Ruck, als gehorche er einem Befehl.

      »In wessen Namen handeln Sie?«

      »Im Namen aller ihr Vaterland und die Freiheit liebenden amerikanischen Bürger.«

      Cyrus Stonard wußte genug. Das war aus dem Programm der Patrioten, die er für harmlos gehalten hatte. Nicht die Roten oder die Weißen, die Patrioten machten seiner Herrschaft ein Ende. Er schaute auf die Versammlung und erblickte, durch die Figur des Obersten halb gedeckt, Dr. Glossin.

      »Gehört Herr Dr. Glossin auch zu diesen Bürgern?«

      Oberst Cole wich zur Seite, als ob die Nähe Glossins ihm peinlich sei. Der Arzt stand frei vor dem Diktator. Er mußte dessen Blick aushalten, denn die Mauer der Offiziere und Soldaten versperrte ihm den Rückzug. So stand er und wand sich unter den Blicken des Diktators, wurde wechselnd blaß und rot, wäre in diesem Moment gern meilenweit weggewesen.

      Cyrus Stonard sah ihn erbärmlich und klein werden, drehte ihm den Rücken und wandte sich Oberst Cole zu.

      »Kameraden! Ich verlasse das Land in der Überzeugung, daß es sein Wille ist. In der Hoffnung, daß mein Weggehen zu seinem Heil dient. Was ich erstrebte … das Schicksal hat es anders gewollt. Eine Macht, größer, als ich je geahnt, hat es in Menschenhand gelegt. Ich habe dagegen gekämpft … Als ich den Kampf aufnahm, wußte ich, daß sein Ausgang mein Schicksal bedeutet … Ich bin unterlegen … Wohin soll ich gehen?«

      »Wohin Sie wollen, Herr Präsident. Ein Flugschiff steht zu Ihrer Verfügung.«

      »… Nach Europa … Nach Nordland. Gehen wir.«

      Oberst Cole trat an die Seite des Präsidenten. Auf seinen Wink öffnete sich eine Gasse zur Tür. Still und stumm standen die Offiziere und Mannschaften des Leibregiments und sahen den Mann scheiden, der sie durch zwanzig Jahre zu Ruhm und Ehre geführt hatte.

      Oberst Cole wollte vorangehen. Der Diktator ergriff seinen Arm und stützte sich darauf.

      »Ich bin müde, alter Freund!«

      Der Oberst preßte die Lippen aufeinander. Aus seinen starr blickenden Augen brachen zwei Tränen, die langsam über sein Gesicht herniederrollten.

      Eine Viertelstunde später erhob sich ein Regierungsflugzeug vom Dach des Weißen Hauses. Es steuerte in die Nacht. Kurs nach Osten.

      Es ist sehr schwer, die Ereignisse der nächsten Augustwochen zu schildern. Am sechsten August hatte die unbekannte Macht die großen Schlachtflotten Englands und der amerikanischen Union gelähmt. Im magnetischen Wirbelsturm war die britische Flotte in den Hafen von Neuyork eingeschleppt worden. Zu der gleichen Stunde, in der die amerikanische Flotte die Themse hinauf bis zu den Docks von London gezogen wurde.

      Am siebenten August wurde in den Vereinigten Staaten Cyrus Stonard gestürzt und eine neue Regierung gebildet, in welcher Dr. Glossin provisorisch das Portefeuille des Äußern übernahm. Zu jeder anderen Zeit hätte dieser Sturz die ganze Welt in Aufruhr versetzt. Jetzt vollzog er sich beinahe geräuschlos. Die unbekannte Macht nahm das allgemeine Interesse zu sehr in Anspruch, als daß die politische Umwälzung in den Vereinigten Staaten besonders aufregend wirken konnte.

      Wo immer noch in irgendeinem Winkel der Welt englische und amerikanische Streitkräfte aneinandergerieten, da trat die Macht sofort handelnd als dritte auf.

      Amerikanische Luftstreitkräfte, die unversehens nach Indien vorstießen, wurden schon auf dem Wege dorthin zum Absturz gebracht und fielen bei den Lakkadiven in die See. Englische Flugtaucher, die einen Angriff auf den Panamakanal versuchten, wurden dicht bei Jamaika von einem magnetischen Zyklon gefaßt und auf den höchsten Gipfeln der Kordilleren abgesetzt. Die Besatzungen brauchten Tage, um aus der Schneewüste zu den nächsten menschlichen Ansiedlungen zu gelangen. Die Macht griff ohne Ansehen der Parteien ein und unterbrach jede Kampfhandlung.

      Die Ereignisse der Tage vom sechsten bis zum fünfzehnten August wirkten auf die Menschheit wie etwa der Stab eines Wanderers im Ameisenhaufen. Allgemeine Unruhe, Aufregung, ein Brodeln der öffentlichen Meinung, das in der Presse aller kultivierten Länder seinen deutlichsten Ausdruck fand.

      Will man den ungeheuren Eindruck der Vorkommnisse dieser acht Tage einigermaßen übersichtlich ordnen, so muß man die davon betroffene Menschheit in allen Staaten in drei Gruppen unterscheiden: die Physiker, die Militärs und die breite Volksmenge.

      Die Vertreter der physikalischen Wissenschaft versuchten es, stichhaltige Erklärungen der erstaunlichen Wirkungen zu geben. Aber die Isolierung und Speicherung der Formenergie, die geniale Entdeckung Silvester Bursfelds, lag weit außerhalb der wissenschaftlichen Erkenntnis. So tappten alle Erklärer, die ihre Wissenschaft in den großen Blättern der fünf Weltteile produzierten, im Dunkeln.

      Englische Flugtaucher waren fünftausend Meter hoch in den Kordilleren abgesetzt worden. Die Maxwellschen Gleichungen gestatteten es schließlich, die wirksamen Magnetfelder nachzurechnen, durch welche die schweren Flugtaucher gepackt worden waren. So folgerte man dann weiter, daß es der unbekannten Macht auch möglich wäre, alle großen Schlachtflotten auf irgendeinen Berggipfel zu schleudern.

      Nachdem die Entwicklung bis zu diesem Punkt gediehen war, häuften sich die Zeitungsartikel, in denen die Grenzen der unbekannten Macht immer kühner und ungemessener behandelt wurden.

      In den Vereinigten Staaten hielt man sich an die wenigen Mitteilungen, die der neue Staatssekretär des Äußern Dr. Glossin machen konnte. Besonders Professor Curtis arbeitete intensiv und konnte bereits am zwölften August einen Versuch auf offener See vornehmen. Um die zehnte Vormittagsstunde

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