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das Manuskript einer fast vollendeten Arbeit. Daneben deckten ganze Stapel von Briefen und Depeschen den großen Arbeitstisch. Anfragen von staatlichen Behörden, von wissenschaftlichen Instituten, von Einzelpersonen und auch von fremden Regierungen.

      Der Professor warf keinen Blick auf diese Tausende von Briefen und Fragen. Auf diese Schriftstücke, deren Beantwortung ein ganzes Bureau Monate hindurch beschäftigen konnte. Er sah grau und verfallen aus und hielt den Papierstreifen mit der Depesche der Macht in den Händen. Seine Lippen zuckten und formten abgerissene Worte.

      »… Mein Gott! … Kann die Natur das dulden … kann ein einzelner der Welt ewigen Winter oder ewige Sonne bringen … das soll ein Mensch sein … dem das Schicksal der ganzen Menschheit in die Hand gegeben ist …«

      Der Professor blickte von der Depesche auf. Sein Auge haftete auf dem Bilde über dem Schreibtische. Es war ein alter wertvoller Kupferstich aus dem achtzehnten Jahrhundert. Ein Geschenk seiner Hörer. Der Stich zeigte den Schweden Karl von Linné. Der Geist des Gelehrten klammerte sich an das Gemälde wie an ein Heiligenbild.

      »Es ist nicht möglich … wo bleiben die ehernen Gesetze der Kausalität … Es ist ein Irrtum … ein Irrtum oder ein Mißgriff der Natur … aber kann die Natur irren?«

      Sein Blick blieb an der Unterschrift des Bildes haften. Lateinische Worte: »Natura non facit saltus.« (Die Natur macht keine Sprünge.) Das Leitwort jenes genialen Naturforschers, durch das er sich zum Vorläufer Darwins stempelte.

      Professor Raps las die wenigen Worte des Satzes wieder und immer wieder.

      »Die Natur macht keine Sprünge … auf einen scheinbaren Sprung folgt das Corrigens … muß folgen nach dem höheren Gesetz der stetigen Entwicklung …«

      Es wurde Zeit, zur Vorlesung zu gehen. Der Professor legte den Depeschenstreifen beiseite. Mit ruhigen Händen füllte er seine Aktenmappe.

      Die Botschaft der Macht war da und wirkte sich aus. Der Krieg war zu Ende, auch ohne einen ausdrücklichen Befehl der beiden kriegführenden Weltmächte. Er war automatisch zu Ende gegangen, weil die Macht mit Sturm und Brand zugegriffen hatte, wo immer sich noch ein Kampf entspinnen wollte. Es konnte sich nur noch darum handeln, durch einen formellen Friedensschluß zwischen den beteiligten Regierungen den tatsächlichen Zustand zu legitimieren.

      In den Vereinigten Staaten nahm man diese Entwicklung der Dinge mit unumwundener Zufriedenheit auf. Der Krieg war ein Krieg Cyrus Stonards gewesen. Es kam der jungen Regierung gelegen, daß diese die unsympathische Erbschaft nicht zu übernehmen brauchte, daß der in den Staaten so wenig volkstümliche Krieg sang- und klanglos zu Ende war. Man spürte wohl auch unbewußt, daß eine friedliche stetige Entwicklung der Union ganz von selber alle die Vorteile bringen mußte, die hier erkämpft werden sollten.

      Anders sah es in England aus. Man hatte sich mit allen Mitteln auf den Kampf eingestellt. Die englischen Staatsmänner hatten erkannt, daß nur ein glücklicher Krieg den englischen Besitzstand erhalten könne.

      Lord Gashford betrat sein Arbeitzimmer und warf sich erschöpft und mißmutig in seinen Sessel. Der Diener bekam eine kurze Weisung: »Lord Maitland wird kommen. Jede Störung fernhalten!«

      Der englische Premier blieb mit seiner Ratlosigkeit und Verantwortung allein. Nervös trommelten die Finger seiner Rechten auf der Sessellehne.

      Der Premier hatte Lord Horace gebeten, in der Hoffnung bei ihm einen Rat, einen Plan zu finden.

      Lord Horace trat in den Raum und nahm ihm gegenüber Platz.

      Es dauerte geraume Zeit, bevor Lord Maitland die Lippen öffnete. Und dann sprach er auch nur vier Worte: »Der Krieg ist aus!«

      Lord Gashford erwartete etwas anderes. Erwartete Hilfe durch Rat und Tat und wurde ungeduldig. Er suchte sein Gegenüber auf Umwegen zum Sprechen zu bringen und fragte: »Wie wird sich die Regierung in Amerika verhalten?«

      »Noch dem Sturze Stonards kommt ihnen der Frieden gelegen. Der Gedanke, einer anderen Eisenfaust gehorchen zu müssen, ist ihnen nicht so fürchterlich. Sie sind ja zwanzig Jahre versklavt gewesen.«

      Lord Gashford fuhr auf.

      »Aber wir? Großbritannien … das freieste Land der Welt, stolz darauf, niemals einer fremden Macht hörig gewesen zu sein. Wie werden wir uns stellen?«

      Lord Horace antwortete langsam, und Resignation klang aus seinen Worten: »Der Frieden mit Amerika wird nicht schwer zu schließen sein. Viel schwerer der mit unseren Dominions und Kolonien. Ich fürchte, daß Australien sich vom Reich lösen wird. Die afrikanische Union braucht uns noch. Trotz ihrer eigenen starken Industrie benötigt sie … vorläufig noch das Mutterland. Und Indien …«

      »Und Indien …?« Lord Gashford stieß die Frage heraus.

      »Indien … Einer von den dreien ist ein Inder … Ich hoffe, daß die indische Intelligenz das Gute zu würdigen weiß, das die englische Regierung dem Lande gebracht hat. Wir haben nicht immer fein gewirtschaftet. Es sind Hunderttausende unter unserer Herrschaft verhungert. Aber Millionen hätten sich gegenseitig die Hälse abgeschnitten, wenn wir nicht dagewesen wären.«

      Lord Gashford zählte an den Fingern wie ein Schulknabe bei seiner Rechenaufgabe:

      »Kanada verloren … Australien halb verloren … Afrika unsicher … Indien nicht sicher …«

      »So könnte es wohl geschehen, daß uns nur die britischen Inseln bleiben …«

      Lord Horace blickte düster vor sich hin. Ein leises Nicken nur drückte seine Zustimmung aus.

      »Wenn nicht …« Kaum hörbar waren ihm die Worte über die Lippen geglitten, aber den gespannten Sinnen Lord Gashfords waren sie nicht entgangen.

      »Wenn nicht? … Was meinen Sie? Wenn nicht …«

      Die Muskeln im Gesicht Lord Maitlands spannten sich. Zwischen den Zähnen stieß er die Worte hervor:

      »Wenn nicht diese Macht … diese unheimliche, unwahrscheinliche Macht ein Narrenspiel der Weltgeschichte ist …«

      Lord Gashford machte eine abwehrende Bewegung.

      »Vorläufig ist die Macht da! Was raten Sie?«

      »Kaltes Blut! Sich vorläufig damit abfinden. Vorläufig dem Zwange folgen …«

      Der Ferndrucker auf dem Tisch begann zu schreiben. Ein Ersuchen der amerikanischen Regierung, Zeit und Ort für die Friedensverhandlungen zu bestimmen. Lord Gashford las und schob den Streifen Lord Horace zu.

      »Sie kennen die Union seit langen Jahren. Ich ersuche Sie, die Verhandlungen als Bevollmächtigter Großbritanniens zu führen.«

      »Meine Vollmachten …?«

      »… sind unbegrenzt.«

      »Unbegrenzt … soweit die Grenzen nicht die Macht zu ziehen beliebt …«

      Lord Horace verließ den Premierminister. Er hatte ein Gefühl, als ob die Wände des Gemaches ihn erdrücken wollten. Aufatmend stand er auf der Straße und sog in tiefen Zügen die frische Luft ein. Dann gab er dem Wagenlenker einen kurzen Befehl.

      Der Wagen wand sich durch die Straßen der Stadt und nahm den Weg über das freie Land. Vorbei an saftstrotzenden Triften und Weiden, durch Dörfer und sommergrüne Wälder.

      Lord Horace achtete nicht darauf. Seine Gedanken beschäftigten sich mit der Macht. Erst in dieser Stunde kam es ihm ganz zum Bewußtsein, wie eng und eigenartig gerade die Beziehungen seines Hauses zu den dreien waren, die heute der Welt ihren Willen diktierten.

      Seine Gattin so eng bekannt mit dem einen, dem Mächtigsten. Die Gattin des anderen seit Wochen als Gast unter seinem Dach.

      Flüchtig ging ihm ein Gedanke durch den Kopf. Konnte England Jane Bursfeld nicht als Geisel nehmen? Dadurch den Willen der Macht beeinflussen?

      Ebenso schnell wie der Gedanke auftauchte, wurde er verworfen. Jane hatte erzählt, wie Atma und Silvester nach Amerika kamen, wie schon ein winziger

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