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seinen Worten klang, steigerte ihre Unruhe. Nur mit Mühe zwang sie sich zu einer Antwort.

      »Mr. Rouse! Nehmen Sie an, mein Selbständigkeitsgefühl wäre so groß, daß trockenes Brot, selbst verdient, mir besser schmeckt als … noch einmal! Ich bedarf fremder Hilfe nicht.«

      »Fremd? Miss Christie! Bin ich Ihnen ein Fremder? Bin ich Ihnen so gleichgültig, Christie?«

      Sie hörte die Worte dicht an ihr Ohr klingen. Sie fühlte, wie ein Arm sich in ihren legen wollte. Mit einer brüsken Bewegung streifte sie ihn ab. Fast laufend erreichte sie die Hauptstraße.

      »Reizen Sie mich nicht, Christie!« stieß er keuchend hervor. »Ich lasse Sie nicht. Wissen Sie jetzt auch, daß ich Sie von Tejada aus auf Schritt und Tritt beobachten ließ? Daß meine Leute mich ständig über Sie auf dem Laufenden hielten? Glauben Sie, ein Mann wie ich täte das umsonst? Bedenken Sie, was Sie verschmähen! Ich bin Guy Rouse! Der Sie zur Seinen wünscht …«

      »Nie! Mein letztes Wort!« stieß es aus ihrem Munde. Sie trat in die helle Hauptstraße.

      »Das letzte Wort werde ich sprechen!« klang es hinter ihr her.

      Klaus Tredrup schritt über den Zechenhof. Zwei Nachtschichten unter Tage gaben ihm für vierundzwanzig Stunden freie Zeit. Am Zechentor stieß er auf den Chefingenieur. Nach kurzer Begrüßung schlugen sie den Weg zur Stadt ein. »Wie gefällt es Ihnen bei uns, Herr Tredrup? Sie sind allerdings erst drei Tage im Betrieb.«

      »Nun … ganz gut. Soweit ich es bisher übersehen kann, werde ich die Mutter Erde hier mit demselben Vergnügen bearbeiten wie früher an den verschiedensten anderen Stellen. Ich hoffe, wir schlagen schon morgen das nächste Flöz an. Die Verhältnisse in Wibehafen sind ja erfreulich großstädtisch. Ich bin sehr überrascht. Man kommt hier auf seine Kosten.«

      »Und wie kommen Sie mit Ihren Leuten aus?« fragte der Chefingenieur. »Die rekrutieren sich aus ganz Europa.«

      »Sehr gut! Überraschend gut! Ruhige, vernünftige Leute. Beinahe zu ruhig.«

      »Wie meinen Sie das?«

      Einen Augenblick zögerte Tredrup. Schließlich kam es etwas abgerissen aus seinem Munde: »Wenn ich von mir auf andere schließe, dann wundere ich mich über die Ruhe.«

      »Warum?«

      »Black Island … Kurz vor meiner Abreise erfuhr ich, daß es da wieder gespukt hat. Die Gedankenverbindung Black Island-Spitzbergen liegt doch nahe … sehr nahe. Nicht nur für den Laien, sondern erst recht für den Bergbaumenschen.«

      Der Chefingenieur nickte.

      »Sie haben recht!« Nach einer Pause fuhr er fort: »Wir haben hier oben im Bergbau viel Schweres durchmachen müssen … Aber das Schwerste war das Auftauchen von Black Island … Das Rätsel von Black Island. Wie viele Kommissionen von Gelehrten, von Geologen waren schon hier. Keiner ist es gelungen, das Rätsel zu lösen.

      Jeder Versuch scheiterte an der Macht der nackten Tatsachen. Ein Vorgang, wie er bisher nie gesehen, nie beobachtet wurde, hat sich vollzogen. Die kühnste Phantasie versagt demgegenüber. Rätsel …

      Rätsel.

      Mein erster Gedanke war der: Was wird unsere Belegschaft tun?

      Flucht? Selbstverständlich Flucht von hier. Und so kam es … wäre es gekommen, wenn nicht ein neues Rätsel … ein Mann unter der versammelten Belegschaft erschienen wäre, der … ja was … ?

      Er stand plötzlich da auf irgendeinem umgestürzten Wagen. Sein Auge flog über den ganzen Zechenplatz und zwang die Leute zu seinen Füßen, zwang sie, auf seine Lippen zu schauen, die Worte sprachen …

      Ich hörte die Worte, ich war dabei. Was sprach er? Was war es, was die Tausende, was auch mich zwang, an seinen Lippen zu hängen?«

      Der Chefingenieur war stehen geblieben. Er strich sich über die Stirn.

      »Ich weiß es nicht. Ich hörte es … sah es, was geschah. Ein Rätsel … ein Rätsel, größer als das von Black Island war das.

      Als er seine letzten Worte gesprochen hatte: ›Nun geht an eure Arbeit … ‹, nie bis an mein Lebensende werde ich das vergessen. Es geschah. Die zweite Schicht fuhr ein. Stumm, willenlos, wie wenn eine höhere Macht sie gepackt hätte … sie trieb. Ein Rätsel, größer als das von Black Island, war es für mich.

      Sie wissen von jenem zweiten Auftauchen von Black Island. Wieder fürchtete ich … Nichts geschah. Als ob Black Island auf der anderen Seite am Südpol läge.«

      Tredrup war stumm. Immer wieder glitt sein Blick von der Seite her verstohlen über seinen Begleiter. Sein skeptischer Geist wehrte sich gegen das, was sein Ohr aufnahm. Er hatte in diesen letzten Tagen schon mancherlei über jenen mysteriösen Vorgang zu hören bekommen.

      Das gleiche nun aus dem Mund des Chefingenieurs, eines hoch gebildeten, streng wissenschaftlichen Mannes … selbst das vermochte seine Zweifel nicht zu zerstreuen.

      »Jener Mann, von dem Sie sprachen, er wohnt da unten an der Südspitze in dem alten Leuchtturm? Was ist er? Wie heißt er? Was treibt er hier?«

      Der Chefingenieur zuckte die Achseln.

      »Er treibt wissenschaftliche Studien. Geologe … Physiker … Näheres weiß niemand.«

      »Und wie heißt er? Wo stammt er her?«

      »Wo er herkommt? Ich weiß nicht … augenscheinlich ein Deutscher.

      Aber er spricht viele Sprachen ebenso gut wie Deutsch. Sein Name?

      Beim Volk heißt er nur ›Der vom Leuchtturm‹. Er heißt – das weiß ich durch Herrn Uhlenkort, der ihn kennt – Johannes Harte.«

      »Johannes Harte«, murmelten die Lippen Tredrups nach.

      »Das ist ja eine interessante Persönlichkeit. Ich brenne darauf, den Mann kennen zu lernen. Können Sie mir da einen Rat geben?«

      »Er lebt in dem alten Leuchtturm wie ein Einsiedler. Ein invalider Matrose und dessen Frau führen ihm die Wirtschaft. Selten, daß er sichtbar wird. Und wenn, dann fährt er in seinem Motorboot auf die See hinaus. Sein Faktotum und Fischer Klasen, der seine Hütte neben dem Leuchtturm hat, führen das Boot. Diese Fahrten nehmen oft Tage in Anspruch. Was macht er auf diesen Fahrten? fragen Sie … Studien …

      Versuche …«

      Tredrup verhielt unwillkürlich den Schritt. Zuviel auf einmal! Das war’s! War’s, kein Zweifel. Er ging wieder neben dem Chefingenieur her, zitternd vor Erregung.

      Des Rätsels Lösung?

      Er atmete tief. Mit Gewalt bezwang er sich.

      »Allerdings … sonderbare Sache das.«

      Er zwang seine Lippen zu einem Lächeln.

      »Mysteriös, Herr Chefingenieur! Höchst mysteriös. Suggestion, nichts anderes! Suggestion ganz einfach! Und doch, was da drüben im alten Land … hier im kalten Norden?

      Wo alles kühl … kühl die Köpfe, die Sinne. Es paßt so wenig hierher.

      Der Mann, seine suggestive Macht, die Menschen, die ihr unterliegen.

      Johannes Harte? Ein Deutscher, wie Sie sagten. Ein Deutscher? Ein Naturschauspiel war’s, rätselhaft … ja, rätselhaft.« Der Chefingenieur wandte sich zu ihm um.

      »Herr Tredrup, was ist Ihnen? Diese Erregung! Ja, wären Sie hier gewesen, als es geschah. Wie kann das, was ich Ihnen erzählte, Sie so bewegen … Sie sind übernächtigt. Sie hatten zwei Nachtschichten. Nicht angenehm gleich zum Anfang, aber es ließ sich nicht vermeiden. Nun, Sie haben ja jetzt vierundzwanzig Stunden für sich zum Ruhen. Die Genüsse der Großstadt Wibehafen werden Ihnen Ablenkung geben.«

      Der Chefingenieur verabschiedete sich. Mechanisch lenkte Klaus Tredrup seine Schritte zu seiner Wohnung. Seine Gedanken gingen sprunghaft. War’s die Lösung? Jenes Rätsels … jenes Welträtsels? Er stand vor der Tür seines Hauses.

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