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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte
Год выпуска 0
isbn 9788026841036
Автор произведения Eugenie Marlitt
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Ach, lieber Baron, das bin ich gewesen!« rief Lucile, die ihm gefolgt war. »Die Entdeckung war unbezahlbar für mich! ... Hui, wie die Fontänen alle aufzischten! Der Atem verging mir ordentlich vor wonnigem Schrecken! Dann habe ich mich da auf die rotgepolsterte Bank hingestreckt, hab' abgefallene Orangenblüten gekaut und faul in die Palmenkronen geguckt, auch dazwischen ein wenig im Atelier gekramt – na, wissen Sie, wie es eben ein toller naseweiser Kindskopf treibt, wenn er einmal auf ein paar köstliche Minuten der Zuchtrute glücklich entlaufen ist ... Was hat denn die Unglückliche verbrochen, der Sie die Augen zugeklebt haben?« unterbrach sie sich plötzlich und lief in das Atelier zurück. Sie kehrte einen der mit Leinwand bespannten Rahmen um, deren verschiedene an den Wänden lehnten.
»Die Unglückliche« war ein Studienkopf, ein Frauenantlitz unter einem lockigen Gewoge bräunlich untermalter Haare, denen später wohl goldige Lichter aufgesetzt werden sollten. Die Züge dagegen waren bereits sorgfältig ausgeführt; aber ein breiter dunkler Streifen lief quer über die Augen, so daß nur die obere Hälfte der samtweißen Stirn und drunten die seinen Nasenflügel, der sanftgeschwungene Mund in dem lieblichen Oval, wie unter einer Halbmaske sichtbar wurden. Der Streifen lief vandalisch plump bis in das Haar hinein – es sah aus, als habe der Maler erbittert den ersten besten Pinsel ergriffen, um mit einem einzigen breiten Zuge die Augen zu zerstören.
»Die arme Geblendete macht mich ganz fabelhaft neugierig, müssen Sie wissen,« sagte die kleine Frau. »Sind Sie selbst so unmenschlich gewesen, Baron? Und warum, wenn man fragen darf?«
»Weil ich mich überzeugt habe, daß die Augen nicht in ein Madonnengesicht gehören,« versetzte er rasch herüberkommend. Ein dunkler Blick streifte zürnend »den tollen, naseweisen Kindskopf«, der ihm so indiskret nachspürte. Er nahm das Bild aus ihrer Hand und schob es hinter einen der Schränke.
Lucile drehte sich auf dem Absatz um und lächelte verschmitzt – Baron Schilling hatte Herzensgeheimnisse ... Ihr Blick suchte Mercedes, die nach seiner kühlen Antwort vorhin schweigend und stolz gelassen wieder hinter die Staffelei getreten war – sie hatte sich nicht durch das Glashaus entfernen wollen, solange er sich drüben aufhielt, und einen anderen Ausgang nach dem Garten kannte sie nicht. Dann hatte sie der kleine Zwischenfall mit dem verunstalteten Bilde unwillkürlich an den Boden gefesselt.
Lucile zeigte hinüber nach ihr. »Sie kann sich nicht losreißen,« sagte sie zu Baron Schilling. »Ich glaub's – das ist so eine Blutszene, wie sie im Sezessionskrieg genug an sie selbst herangetreten sind – brr« –, sie schüttelte sich. »Ich habe, Gott sei Dank, von all der scheußlichen Mordbrennerei nicht viel gesehen,« fuhr sie fort, und, in einen nahestehenden Lehnstuhl sinkend, grub sie die Füße in das Bärenfell, das sich auf der Steinmosaik des Fußbodens hinbreitete. »Als es gefährlich wurde, da brachte Felix mich und die Kinder nach Florida, auf die ganz entlegene Besitzung Zamora, die Mercedes gehört. Ganz Südkarolina war verwüstet, Charleston gefallen und Columbia niedergebrannt, und ich habe das alles nicht eher erfahren, als bis eines Tages Mercedes kam, um mich darauf vorzubereiten, daß man gleich nach ihr – meinen armen Felix bringen werde.«
Sie hielt inne – ihr kleines Gesicht wurde ganz blaß und die Lippen zuckten. Die Erinnerung an den schmerzlichen Schrecken jener Stunden überkam sie plötzlich; aber sie huschte ebenso rasch und scheu darüber hin, wie der leichtbeschwingte Vogel über einen Abgrund. »Mercedes sah aus wie eine Zigeunerin, so sonnverbrannt und so verwahrlost im Anzug,« fuhr sie fort, unter einem aufkeimenden Lächeln die Tränen von den Wimpern wischend. »Felix sagte, sie hätte seinen weiten und schwierigen Transport wie ein Mann durchgesetzt – na ja, sie ist eben von anderem Schrot und Korn als ich. Den Sarraß am Gürtel und den Revolver in der Hand nachts durch den Busch schleichen, um die Stellung des Feindes auszukundschaften, oder, in den Soldatenmantel gewickelt, am Lagerfeuer zu biwakieren, das war nun einmal nicht meine Sache – ich danke schön! Aber es muß wohl so im Blut der Spanierinnen liegen, daß sie sich überall gern auf das Mädchen von Saragossa spielen, ihrer Schönheit zum Schaden ... Als Desdemona, wie Mama mit ihren schönen Armen, könnte Mercedes Ihnen niemals sitzen, lieber Baron;« – jetzt glitzerte das Sprühteufelchen der Bosheit wieder aus ihren Augen; – »sie hat einen furchtbaren Säbelhieb bekommen – die Narbe ringelt sich wie eine blutrote Schlange über ihren rechten Oberarm hin.«
Die hohe, schlanke Frau stand dort an der Staffelei, undinenhaft lieblich von Gesicht und zerbrechlich zarter Gestalt – und um den bronzeschimmernden Arm, der, leicht bedeckt vom Ärmel, lässig an der Seite niederhing, schlang sich verborgen das blutige Zeichen, das der Krieg seinen Kämpfern aufgedrückt ...
Baron Schilling trat wie von einem raschen Impuls getrieben neben sie. Sie wandte ihm halb die Augen zu, seltsam flimmernd, wie traumverwirrt, als kehrten sie eben zurück von brennenden Städten und zerstampften, leichenbedeckten Reisfeldern. »Aber nicht so – nicht so! Nicht ohne Verteidigung bis zum letzten Herzschlag – wer möchte sich so lammgeduldig abschlachten lassen?« protestierte sie, auf die Gestalt der Hugenottin deutend, und so unmittelbar an Luciles Bemerkung bezüglich der Blutszene anknüpfend, daß man sah, sie sei der ganzen übrigen verräterischen Plauderei dort vom Lehnstuhl her vollkommen entrückt gewesen.
»Ich wollte eine Frau darstellen, die für das Ideale stirbt,« sagte Baron Schilling ruhig.
Sie fuhr mit einem wildflammenden Blick herum. »Und wir?!«
»Sie haben nur für Ihre Herrenrechte gekämpft –«
»Nicht für den Sieg des Geistes, der Bildung über die rohe Masse? Nicht für den heiligen Boden der schönen, gesegneten Heimat?« – Sie wandte ihm in stolzer Entrüstung den Rücken. – »Was weiß man in Deutschland!« setzte sie achselzuckend und bitter hinzu, und ihr Blick irrte ziellos droben durch den Raum, während sie mit bebenden Fingern an ihrem Gürtelband pflückte. »Man tanzt blindlings mit vor dem Götzen ›Humanität‹, den der Norden heuchlerisch aufgestellt hat; man glaubt an die scheinheilige Maske, die sich der glühende Neid vorgebunden, um die Macht des Südens zu brechen, ihm die leitende Rolle im Staatswesen zu entreißen, seine edlen, stolzen Geschlechter zu Bettlern zu machen – o heilige deutsche Verblendung! – Man läßt die weißen Brüder zermalmen und liebkost die schwarze Rasse –«
»Wenn man die Stricke barmherzig zerschneidet, die einen Geknebelten am Boden niederhalten, so ist das noch lange keine Liebkosung ... Diese dunkelhäutigen Menschen –«
»Menschen?!« unterbrach sie ihn achselzuckend, mit leisem Hohnlächeln und einer unnachahmlichen Gebärde voll tödlicher Verachtung über die Schulter blickend.
Wie ein Seraph stand sie da in ihrem weißen Gewände – und in diesem schmiegsamen Leib wohnte das schnödeste Vorurteil, eine harte Seele, die eisengepanzert durch die Welt ging, der zarten, äußeren Frauenschönheit, die ihr verliehen, zum Trotz.
»Jetzt begreife ich, daß Sie zurückschaudern vor der deutschen Luft, die sich gegenwärtig aufmacht, altes Unrecht aus seinen dunklen Ecken zu fegen,« sagte er, unwillig in ihre zurückgewendeten Augen blickend.
»Ach ja – ich las schon davon. Und sie tut das mit gewohnter deutscher Gründlichkeit – daran ist nicht zu zweifeln,« versetzte sie, spöttisch beipflichtend. »Was sie dabei an gutem, angestammtem Recht mit hinwegfegt, das kommt ja nicht in Betracht bei den Reformen, die unsere Weltverbesserer in Szene setzen.« Diese verhaltene Summe bebte vor Erregung, und wohl gerade deshalb brach die stolzverschlossene Frau das Thema ab. »Glauben Sie ernstlich, daß wir dort drüben das vorgesteckte Ziel schließlich erreichen werden?« fragte sie, nach der Richtung des Klostergutes zeigend, scheinbar kühl und gelassen.
»Ich will es glauben, weil