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Vertraute das tieferbitterte Herz auszuschütten.

      15.

       Inhaltsverzeichnis

      Der Schillingshof hatte in wenig Tagen ein ganz anderes Aussehen angenommen. Die Vorübergehenden mäßigten meist ihre Schritte, wenn sie in die Nähe des Eisengitters kamen, um bequem und mit Muße das fremdartige Leben und Treiben vor dem Säulenhause beobachten zu können.

      Zuerst hatten wohl die zwei Farbigen die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Jack, ein starkgebauter Mann von der schönen, glänzend schwarzen Negerrasse, wie sie an den Ufern des Senegal lebt, schien die Säulenhalle zu lieben; er konnte stundenlang an einem der schlanken, weißen, akanthusgekrönten Schafte lehnen und vergnüglich den mächtigen Wasserstrahlen zusehen, wie sie hoch in die Lüfte sprangen und als Diamantengefunkel niederstäubten; oder er streute den dreisten Sperlingsscharen Krumen auf die Steinstufen, während die dicke Deborah, im geblümten Leinenkleide und ein kokettes Mullhäubchen mit grellbunten Schleifen auf dem Wollhaar, durch den Vorgarten watschelte und sich oft bis zur Atemlosigkeit mühte, ihr Goldkind, die kleine Paula, im Auge zu behalten, die mit flinken Beinchen dem herumtollenden José und seinem Kameraden, Pirat, nachstrebte.

      Diese kleine, laute Gesellschaft war es, die, nachdem der erste überraschende Eindruck der »Negersklaven« verblaßt war, das jenseits des Gitters spazierengehende Publikum immer wieder fesselte. Man war gewohnt gewesen, hier stets in eine vornehme, abgeschlossene Stille hineinzusehen; selten einmal, daß die Frau Baronin, ein Umschlagtuch um ihre ewig fröstelnde Gestalt gewickelt, mit nachschleifender grauer Schleppe und hochmütig fremden Augen in dem grämlich grauen Gesicht, lautlos und mutterseelenallein, wie ein Schatten zwischen dem Gebüsch aufgetaucht war. Nun flatterte es wie kreisendes Schmetterlingsvolk durch Allee und Buschwerk, bunte Bälle und Reifen flogen in die Lüfte; hier lag ein achtlos hingeworfener Kindersäbel quer über dem Weg, dort versperrte ein im Stich gelassener Puppenwagen den Durchgang, und die kleinen Fremdlinge, die so schnell auf deutscher Erde heimisch wurden, waren schön wie Cherubim und gehalten, verwöhnt und geschmückt wie Fürstenkinder.

      Dann war da ein Wesen, von dem man nicht recht wußte, ob es in die Spezies der wirklichen Backfische oder in die jener erwachsenen Mädchen gehöre, die kindliches Gebaren und bezaubernde Naivität bis in die Zwanzig hinein bewahren ... Es kam meist im Geschwindschritt, auf den zierlichsten Füßchen, die Kieswege daher, riß im Vorübergehen Blätter von dem Gesträuch, an denen die kleinen, blitzenden Zähne kauten, und lief ebenso ungeniert mit den hohen, spitzen Absätzen über den kostbaren, ängstlich behüteten Sammetrasen, um irgend eine leuchtend weiße Blüte aus den Blumenrundells zu holen und sie in die Locken zu stecken oder sie in mutwilliger Zerstörungslust Blatt um Blatt zu zerpflücken. Das sah sich hinter den Eisengittern an, wie eine Bühnenszene voll köstlicher Naturfrische, und die Leute konnten sich nicht satt sehen an dem tollen Geschöpfchen, das sie auch bewunderten, wenn es in der Platanenallee übelgelaunt und gelangweilt zwischen Kissen und purpurseidenen Steppdecken auf einem der Eisenmöbel hingestreckt lag. Dann baumelte gewöhnlich eines der Füßchen aus einem Gewoge von Stickereien, Spitzen und Rockfalbeln und zeigte wie ein Pendel in seinen Tempos die auf- und niedergehenden Gemütstimmungen, die Hand rührte fleißig die silberne Tischglocke, und die Kammerjungfer kam auf die Signale hin abwechselnd mit Büchern, Fläschchen, Schals und dergleichen aus dem Hause gelaufen, bis meist eine Riesenbonbonniere die Laune verbesserte und auch die spielenden Kinder herbeilockte. Dann knabberten alle diese jungen Zähnchen unermüdlich – das war eine allerliebste Gruppe; aber zu denken, daß diese übermütige, mit den Füßen baumelnde, naschende Puckgestalt die Mutter der beiden Blondköpfchen sei, das wäre niemand eingefallen – der alten Frau gewiß auch nicht, die seit einigen Tagen so viel am Giebelfenster des Klostergutes erschien. Sie lehnte sich nie hinaus, ja sie bog kaum den Kopf seitwärts nach dem verhaßten Schillingshofe; aber die Augen starrten wie magnetisch angezogen mit scheuem Seitenblick auf die verschlungenen, weißen Wege nieder, und wenn die schlanke Kindergestalt Josés im königsblauen Matrosenanzug mit dem Hunde um die Wette drunten vorüberjagte und die Laute seiner kommandierenden Stimme heraufschallten, da griff die feste, arbeitstüchtige Hand unwillkürlich nach dem stützenden Fensterkreuz, und über das bleiche, kalte Gesicht ergoß sich die Röte ungläubiger Bestürzung. –

      Baron Schilling hatte gleich in der ersten Stunde den Befehl gegeben, daß seine Gemächer, die nach Süden hinlaufende Zimmerflucht des Erdgeschosses, für Lucile hergerichtet werden, da er vollständig in das Atelier übergesiedelt war; und die kleine Frau war noch an demselben Abend in Begleitung ihrer Kammerjungfer, mit »Sack und Pack« und mit einer Hast eingezogen, als säße ihr das hinter den holzgeschnitzten Salonwänden hausende Gespenst bereits im Nacken...

      Nun strömte allabendlich blendender Lichtglanz aus dieser Fensterreihe in die Säulenhalle draußen; denn Lucile duldete kein düsteres Eckchen – sie liebte es, sich in Licht zu baden, wie in den köstlichen Spezereien, die das Kammermädchen in das tägliche Bad werfen mußte, und die stets das ganze Haus durchdufteten; und nächst der lauen, würzigen Welle war es nur kühler, seidenweicher Batist, der die zarte Haut des graziösen Tänzerkindes umspielen durfte. Die Füßchen, in denen fortgesetzt die unterdrückte Künstlerschaft prickelte, huschten in atlasgefütterten Pantöffelchen durchs Haus, und in den feinen Hals hinab flossen feurig süße Weine in so ansehnlichen Mengen, »als gebe es auf der Gotteswelt nichts anderes, den Durst zu löschen«, sagte der Bediente Robert immer ganz empört, und doppelt zornig, weil Baron Schilling auf Mamsell Birkners Anzeige hin sofort für Küche und Keller die kostspieligsten Anschaffungen aus seiner Tasche bewerkstelligt hatte, einzig und allein um – dieser spanischen Bettelgesellschaft willen.

      Trotz alledem hatte auch die Dienerschaft des Schillingshofes, wie die Spaziergänger hinter dem Eisengitter, ihr Wohlgefallen an der übermütigen, kleinen »gnädigen Frau«, die ihnen stets im Vorübergehen einen mutwilligen Scherz, ein schäkerndes Wort hinwarf. Ganz anders dagegen verhielt es sich mit der Dame, die mit den beiden Kindern und ihren schwarzen Untergebenen in den ursprünglich angewiesenen Wohnräumen verblieben war ... Dieser weltfremden Erscheinung gegenüber kämpfte in den Leuten fortwährend der Widerstreit zwischen dem unwillkürlichen Unterwerfungstrieb und der Geringschätzung, mit der Bedientenseelen auf Verarmte herabzusehen pflegen. Sie sprach nie mit ihnen; das leichte Kopfneigen, mit welchem sie ihren Gruß erwiderte, war noch viel stolzer, als das der verreisten »Gnädigen«. Man haßte sie dafür, und doch stellten sich alle in Positur, und das Plaudern und Schwätzen in der Flurhalle verstummte, wenn sie durch den Korridor kam im schwarzen Spitzenkleide, das den köstlichen, blaßgelben Ton der Schultern durchleuchten ließ, bei aller Zartheit und Biegsamkeit der Gestalt dennoch eine wahrhaft majestätische Frau, ein junges, blendend schönes Weib, das mit verdüsterten Augen voll finsteren Ernstes in die Welt blickte ... Es kam auch keiner der einheimischen Dienstboten in die Räume, die sie bewohnte; sie ließ sich ausschließlich von ihren Schwarzen bedienen, und nur am ersten Abend war Mamsell Birkner in das Schlafzimmer beschieden worden, um sich von Deborah das Bettzeug des Hauses zurückgeben zu lassen. Sie war dann ganz verwirrt und wie geblendet in das Untergeschoß gekommen und hatte erzählt, daß die Dame unter weißatlassener Steppdecke und zwischen Spitzengarnituren schlafe, wie sie die Gnädige kaum auf ihren Staatskleidern habe; der Toilettentisch funkele von Gold- und Silbergerät, und sie wolle darauf schwören, daß auf dem Rahmen des Handspiegels und auf allen Kästchen und Büchschen Edelsteine seien, so viel echte Edelsteine, wie man sie in allen Sammetetuis der Gnädigen mit dem besten Willen nicht zusammenlesen könne. »Wer's glaubt, Mamsellchen! Echte sind's ganz gewiß nicht – höchstens böhmische,« hatte der Bediente Robert gesagt. »Na – und wenn auch? – Die Gnädige sagt, die Leute hätten ihr Hab und Gut im amerikanischen Kriege verloren; möglich, daß sie die paar Kostbarkeiten aus dem Unglück gerettet haben – aber auf wie lange denn? – Wenn wir die Gesellschaft nicht mehr ernähren – und bis in alle Ewigkeit können sie doch nicht im Schillingshofe bleiben – da wird wohl ein Steinchen nach dem andern ›flöten gehen‹, man will doch essen! ... Geld haben sie nicht – das steht bombenfest! – Paßt auf, wir müssen immer und immer wieder auslegen, und es wird so lange auf Regimentsunkosten gezehrt, bis – die Gnädige kurzen Prozeß macht!«

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