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es allemal beim alten, guten Freiherrn der nun auch tot ist! ... Ich möchte wohl wissen, was er sagen würde, daß meine Kinder hierher geschleppt werden, damit sie um »Zuneigung« betteln bei dem gemeinen Weibe, das er nicht ausstehen konnte, das er genau so grimmig haßte wie ich! ... Aber sie soll mir nur kommen! Sie soll sich nur unterstehen, mein süßes Engelchen, meine Paula, mit ihren groben Küchenhänden anzufassen!«

      Sie unterbrach sich und streckte die Hand triumphierend gegen ihre Schwägerin aus. »Drüben hattest du immer nur ein stolzes Aufwerfen der Lippen, oder eine messerscharfe Bemerkung als Antwort, wenn ich mich gegen den unsinnigen Plan sträubte – du wußtest es ja besser, natürlicherweise! Als ich im aber vorhin im Vorverfahren das kostbare, alte Mönchsnest zeigte, da war es aus und vorbei mit dem Heldenmut, den Illusionen, da wurdest du leichenblaß – du sahst aus wie der Schrecken selbst.«

      Die junge Dame biß sich auf die Lippen und bog ihr Gesicht einen Augenblick über José, der in sichtlicher Scheu vor der neuen Umgebung zu ihr geflüchtet war und die kleinen Arme um ihre Hüfte gelegt hatte. »Um dieses Erbleichen weiß ich – ich fühle, wie mir immer das Blut nach dem Herzen zurückströmt, seit die deutsche Luft mich anweht,« sagte sie nach einem augenblicklichen Schweigen gepreßt, und ihr finsterer Blick sah über den ihr ziemlich nahestehenden Herrn des Schillingshofes hinweg, wie in eine schrankenlose Weite hinein. – »Ich dachte nicht, daß sich meine ganze Natur gegen sie empören würde, weil ich ja vom Vater her deutsch bin – jetzt weiß ich, daß er mir weder Sympathie, noch Heimgefühl vererbt hat für dieses Land, in dem er so unglücklich gewesen ist.« – Sie hatte nicht zu versichern gebraucht, daß ihr das heiße Blut überwältigend durch das Herz stürme, man hörte es aus diesen tiefen, leidenschaftlich gefärbten Tönen. »Ich bin mir genau bewußt, was ich Felix versprochen habe, aber – mir graut vor dem verfallenen Hause; es sieht aus, als wohne der Hunger drin und die Armseligkeit, die Gemeinheit – und dort soll ich die Großmutter unserer Kinder suchen?« – Beide Hände um den Blondkopf des Knaben verschlingend, drückte sie ihn an sich in tiefer Zärtlichkeit, aber auch voll des ausgesprochensten beleidigten Hochmutes. – »Ich kenne die Vergangenheit meines Vaters,« fuhr sie nach einem tiefen Atemzug mit tonlos fallender Stimme fort; »und doch ist mir jetzt, als sähe ich in eine verleugnete dunkle Stelle seines Lebens, weil er sich aus dem obskuren Winkel die Vorgängerin meiner stolzen Mutter geholt hat.«

      Lucile hatte sich anfänglich mit lächelndem Behagen wieder zurückgelehnt und ließ die Silberquaste des Kissens, auf das sie den Arm stützte, durch die Finger laufen. Ihr pikantes Gesichtchen mit den boshaften Augen strahlte förmlich – »Dame Mercedes« blamierte sich ja gleich in der ersten Stunde gründlich mit ihrem spanischen Dünkel vor dem deutschen Edelmann, dessen schlichtes Auftreten in Berlin sprichwörtlich gewesen war. Schon jetzt mußte es ihm klar werden, was man unter diesem Zuchtmeister zu leiden hatte. Aber sie fand plötzlich, daß er gar nicht danach aussähe, daß er überhaupt gar nicht mehr der nette Baron Schilling sei, dem man einst gut sein mußte, wie einem wackeren, verträglichen Kameraden ... Sie fand ihn voll Anmaßung in seiner Haltung, anmaßend in seinem Wesen – was brauchte er denn so andächtig auf die erbitterte Philippika der gelben Spanierin gegen Deutschland zu lauschen, als sei sie ein Evangelium. Und sie, die Hauptperson, Lucile Fournier, Lucians Witwe, die er beschützen sollte als das hinterlassene Kleinod des Freundes, sie ließ er unbeachtet in ihrem Sofawinkel sitzen, wie die hölzerne Ankleidepuppe in seinem Atelier – der Unmensch!

      Die Silberquaste in ihrer Hand schwirrte an der langen Schnur wie ein toller Kreisel in der Luft, und der kleine Fuß trommelte in beschleunigtem Tempo gegen das Ruhebett. »Armseligkeit, Gemeinheit, obskurer Winkel!« wiederholte sie mit Pathos – dann lachte sie laut auf. »Das Klostergut hat sich ja ganz nett präsentiert – ich bin gerächt, furchtbar gerächt! – Ach, wie muß ich an den Abend denken, wo wir – der arme Felix und ich – aus der schauderhaften, dunklen Höhle flüchteten! Dann kamen wir hierher, wie ein Paar verirrter Kinder, und da war lauter Licht und Glanz. Ihre Frau, lieber Baron, saß dort auf dem Lehnstuhl und stickte – sie stickt wohl immer noch? – und – ach, da fällt mir ein: existiert denn die kleine Bestie, die Minka, noch, die eine so besondere Liebhaberei für Miniaturporträts hatte?«

      Jetzt wandte er ihr mit einem jähen Aufzucken das Gesicht zu.

      »Aber ich bitte Sie, wollen Sie mich denn mit Ihrem Blick aufspießen?« fuhr sie mit einer drolligen Entsetzensgebärde zurück. »Mein Gott, was hab' ich denn nun wieder verbrochen? – Es scheint, man wird hier stumm sein müssen, wie ein Kartäuser, wenn es schon Sünde ist, nach dem Affen Ihrer Frau zu fragen!... Sagen Sie mir, weshalb regen Sie sich denn eigentlich auf, Baron? – Mercedes wegen? – Da können Sie ganz ruhig sein–ich habe ihr die amüsante Geschichte längst erzählt. Sie nimmt zwar stets eine gelangweilte Miene an, wenn man ihr vorplaudert – wissen Sie, so eine Art Grandenmiene, die furchtbar imponiert – aber die Geschichte mit der Elfenbeinplatte hat sie doch ohne Gnade zweimal hören müssen ... Ah bah – Sie werden doch nicht dafür büßen wollen, daß Ihre Frau damals Minkas Amüsement in der Fensterecke stillschweigend begünstigt hat, weil sie das Bild in Ihrem Besitz nicht dulden wollte?«

      Sie hatte recht, wenn sie sagte, er rege sich auf. »Ihr lebhaftes Naturell schafft sich einen weiten Spielraum bezüglich der Auffassung, Frau Lucian,« sagte er hörbar ergrimmt.

      »Wie, Sie wollen doch nicht sagen, das alles sei nicht wahr?« fuhr sie empor und stand mit einem Ruck auf ihren beiden kleinen Füßen. »Gehen Sie doch!« setzte sie erbittert hinzu. »Haben Sie nicht selbst die Splitter aufgelesen? Und wollten Sie nicht das Elfenbein wieder zusammenleimen für den alten Freiherrn, oder für –« sie zuckte die Achseln – »na meinetwegen – was weiß ich! –«

      »Für mich selbst!« fiel er ruhig ein.

      Sie lachte gezwungen auf. »Ach ja, ich erinnere mich – und es ist wirklich noch vorhanden?« ..Ja.« Bei dieser lakonisch gegebenen Antwort trat Donna Mercedes rasch naher. Die boshafte Schilderungsweise der kleinen Frau hatte ihr im stürmischen Wechsel Glut und Blässe über das Gesicht gejagt. Mit einem kalten Lächeln, aber in tiefverletztem, grimmem Stolz flimmernden Augen trat sie auf den Herrn dieses Hauses zu, in dem sie schon vor Jahren, selbst im Bilde von der Hausfrau angefeindet worden war.

      »Ich darf mir wohl gelegentlich das Bild zurückerbitten,« sagte sie mit verhaltener Stimme.

      Er griff in die Brusttasche und überreichte ihr schweigend ein kleines, schmuckloses Etui.

      Fast sah es aus, als weiche sie zurück vor dieser raschen, kühlen Art und Weise der Erfüllung. Sie schlug die Augen bestürzt, aber auch gereizt zu ihm auf, und ein feiner, launischer Zug flog um ihren kleinen blaßroten Mund, während sie das Etui nachlässig in die Tasche gleiten ließ.

      In diesem Augenblick trat der Bediente mit einem vollbesetzten Kaffeebrett in den Salon. Mamsell Birkner kam auch nach – sie trug ein Körbchen, das mit Beerenobst gefüllt war. Zugleich dröhnte die mächtige Stimme eines Hundes draußen von den Wänden der Flurhalle zurück.

      »Pirat ist endlich da, Tante!« schrie der kleine José jubelnd auf und rannte hinaus in den Korridor. Gleich darauf kam er wieder herein – die Arme um die breite Brust der riesenhaften Dogge geschlungen, ließ er sich von dem Tier in das Zimmer förmlich schleifen. Hinter dieser Gruppe trat ein großer, breitschultriger Neger auf die Schwelle; er verbeugte sich tief vor Donna Mercedes und entschuldigte sein verspätetes Nachkommen vom Bahnhof mit der Umständlichkeit der Bahnbeamten, des Hundes und einiger großer zurückgebliebener Gepäckstücke wegen.

      José war plötzlich wie umgewandelt. Nun Pirats Stimme in dem fremden Hause laut geworden war, und seine Riesengestalt in plumper Wiedersehensfreude genau so zuversichtlich durch den Salon trabte, wie im Familienzimmer weit drüben über dem großen Wasser, nun fühlte er sich auch heimisch.

      »Ach, ich hatte schreckliche Angst um Pirat!« sagte er sichtlich erleichterten Herzens zu Baron Schilling, der mit der Rechten schmeichelnd über den Kopf des schönen Tieres strich. »Er heulte so furchtbar im Hundewagen, und da bellten alle anderen auch wie wütend – ich dachte, die Hunde würden sich alle totbeißen. Pirat ist sehr wild, mußt du wissen; Jack sagt« – er Zeigte nach dem Farbigen, der Mercedes eben einen mitgebrachten kleinen

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