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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte
Год выпуска 0
isbn 9788026841036
Автор произведения Eugenie Marlitt
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Das sollten Sie nicht fragen, die Sie stündlich sehen müssen, daß mit den Kindern ein unaussprechliches Glück in mein Leben eingezogen ist ... Ich verliere meine Lieblinge, sobald die Großmutter versöhnt ist – und wer möchte ohne Schmerz Liebe aufgeben, die das Dasein neu beleuchtet? ... Die Kinder hängen an mir« – er hielt inne – »oder gönnen Sie auch das dem deutschen Manne nicht?« fragte er, schwankend zwischen halb erzwungenem Scherz und zweifelndem Ernst – er hatte gesehen, wie sich ihr Blick unter den zusammengezogenen Brauen verdunkelte.
»Bah – wie mögen Sie nur so reden, Baron!« rief Lucile herüber. »›Nicht gönnen!‹ – Lächerlich! – Ist denn Dame Mercedes nicht eben im Begriff, meine armen Kinder ohne Gnade und Barmherzigkeit in die scheußliche Mördergrube da drüben zu werfen?«
Donna Mercedes ignorierte die anzügliche Bemerkung vollständig. »Ich habe mir gegen den letzten Wunsch und Willen meines Bruders nie eine Einwendung erlaubt,« sagte sie zu Baron Schilling. »Wer es wäre eine Lüge, wollte ich sagen, ich hätte nicht vom ersten Wort seiner Darlegungen an den geheimen Wunsch gehabt, die alte Frau auf dem Klostergut möchte in ihrer grausamen Härte verharren und ihre Enkel zurückweisen. Denn dann treten die Rechte in Kraft, die Felix mir testamentarisch übertragen hat, und ich darf auch sagen: Sie sind mein – meine Kinder!« – Sie drückte die schmächtige Hand unwillkürlich auf die Brust, und war so für einen flüchtigen Augenblick von allen Frauengestalten, die das Atelier in seelenvoller Darstellung belebten, wohl die hinreißendste im Ausdruck der tiefen, aber auch eifersüchtigen Zärtlichkeit, die in der Tat anderen ihr Kleinod nicht gönnt.
»Dieses stillschweigende Abwarten widerstrebt mir, es ist eine Marter für mich,« fuhr sie fort. »Es bedarf oft meiner ganzen Willenstärke, daß ich die Kinder nicht plötzlich nehme und mit ihnen der Großmutter gegenübertrete, um der qualvollen Ungewißheit ein Ende zu machen, die Entscheidung eigenmächtig herbeizuführen« – sie hielt inne auf die lebhaft abwehrende Handbewegung hin. mit der er sie unterbrach. »Es geschieht nicht,« setzte sie, den schönen Kopf schüttelnd, in sinkendem Tone hinzu. »Aber einen Anfang wenigstens möchte ich sehen – einen ersten Schritt zum Ziele –«
»So wollen Sie mir vorläufig einen Einblick in Felix' Familienpapiere gestatten – ich fürchte, wir werden sie brauchen,« fiel er ein.
»Sie stehen sofort zu Ihrer Verfügung.«
Mit einem auffordernden Handwinken trat sie rasch durch das Glashaus in den Garten.
Lucile sprang auf und ging auch mit. Sie hing sich an Baron Schillings Arm, während sie durch die Platanenallee dem Säulenhause zuschritten. »Puh – dort steht er schon wieder am Zaun, der Samiel, das nichtswürdige Onkelexemplar, das damals so hoffärtig aus seiner Stubentür herüberlachte!« raunte sie. »Der Zaun ist hoch, man sieht kaum die Habichtsnase und den borstigen Haarschopf auf der Stirne; aber ich habe wahre Falkenaugen und ein gutes Gedächtnis – das Gesicht steht in meiner Seele, als sei es hinein photographiert – ich habe ihn auf den ersten Blick wiedererkannt ... Denken Sie an mich, Baron – der alte Fuchs hat Lunte gerochen, er guckt mir viel zu viel über den Zaun. Da – weg ist er! So verschwindet er immer, wenn man fest hinübergeht.«
Donna Mercedes hatte sich in dem Salon mit den holzgeschnitzten Wänden wohnlich eingerichtet. Nahe dem einen Fenster, die Wand entlang, die an das Klosterhaus stieß, stand der prächtige Flügel, den sie mitgebracht hatte, und in der anderen Fensternische war ein großer Schreibtisch aufgestellt. Er war mit elegantem Schreibgerät, Bücherstößen und verschiedenen Schatullen vollbesetzt ...
Von einem der unteren Regale, aus einer dunklen Ecke, nahm die junge Dame ein Rokokolästchen aus Edelmetall in köstlich getriebener Arbeit; sie schloß es auf und breitete seinen Inhalt, verschiedene Papiere, auf die Tischplatte.
»Hier sind sämtliche Papiere, die Felix aus Deutschland mitgebracht hat,« sagte sie; »und hier das Schriftstück, das seine Trauung mit Lucile in Columbia bezeugt; das sind die Taufscheine seiner Kinder – diese drei Dokumente« – unterbrach sie sich – »würden nicht wieder zu erlangen sein, wenn sie verloren gingen, denn die Kirchenbücher in Columbia sind mit verbrannt. – Das ist –«
»Der Totenschein des armen Felix,« ergänzte Baron Schilling mit fallender Stimme, da sie verstummte. Aber auch er schwieg plötzlich und sah sich um. »Ah – spuken die Mäuse auch am hellen Tage?« rief er, noch auf das Knirschen horchend, das bereits verhallt war.
»Ja – die Mäuse!!« wiederholte Lucile gedehnt und ausdrucksvoll spöttisch und machte sich schleunigst aus dem Staube.
16.
Inzwischen hatte José den allzu dienstfertigen Pirat scheltend in seinen Schlafraum, eine Kammer hinter dem Atelier, eingeschlossen. Er war dann seines verschüchterten Kaninchens unter Tränen und Mühen wieder habhaft geworden und trug es nun auf dem Arme, atemlos vor gespannter Beobachtung, denn das Tierchen fraß ihm zutraulich die Grashalme aus der Hand.
Der Kleine, über dessen blonden Scheitel noch vor Wochen die tropische Sonne geleuchtet hatte, spielte wie ein echtes Germanenkind am liebsten unter den Teichlinden. Er liebte das bienendurchsummte Wipfeldach, den kleinen Wasserspiegel mit seinen glitzernden Furchen, welche die mückenhaschenden Karpfen zogen, den ihn umschließenden Rasenring, auf den die Enten watschelnd und schnatternd heraufstiegen, um segelmüde den metallisch schillernden Leib in das weiche Gras zu ducken. Und in diesen feuchtkühlen, lockenden Schatten trug er auch jetzt seinen kleinen Spielkameraden, nachdem er den sonnenheißen Garten kreuz und quer durchwandert. Er setzte das Tierchen behutsam in das Gras und kauerte sich daneben. Mit sanften Händen streichelte er das seidenweiche Fell; er sah entzückt in die seltsamen rotglühenden Augen und beobachtete aufmerksam das Spiel der Ohren, bis ihn plötzlich ein kreischendes Lachen aufscheuchte.
Drüben im Klostergarten, auf einem dicht am Zaun stehenden, hohen Birnbaum saß Mosje Veit. Er schlenkerte die langen Beine in der Luft, und die weißen Zahnreihen des weiten, lachenden Mundes blinkten wie die eines kleinen Raubtieres.
»Ach, der dumme Kerl! Der Einfaltspinsel! er denkt Wunder was er hat! – 's ist ja ein ganz gewöhnliches Karnickel – weißt du denn das nicht?« schrie er herüber.
»Ein Karnickel?« wiederholte das verblüffte Kind, das neue Wort mit fremdartigem Akzent betonend, und sah zweifelhaft bald das Kaninchen, bald den fremden Knaben an, den es noch nie gesehen, und der sich hoch oben auf dem weit hinausragenden Ast so sicher gebärdete, als säße er auf einem Stuhl ... Und jetzt lief dieser wunderbare Junge mit affenartiger Geschwindigkeit auf allen vieren den Ast entlang und glitt am Stamm nieder. Einen Augenblick war er vollständig verschwunden; man hörte nur ein Rauschen und Knicken im Gezweig, dann kam der haarstarrende Knabenkopf unten durch den Zaun, und gleich darauf stand Veit auf seinen dünnen Beinen und lief nach dem Teich.
Sein Erscheinen hatte auch hier dieselbe Wirkung wie im Klosterhof – das Kaninchen flüchtete in das Gebüsch und einige Enten, die behaglich im Grase gelegen hatten, fuhren schnatternd empor und stürzten kopfüber in das Wasser.
»Laß es doch laufen, du dummer Junge!« rief er und vertrat José, der das kleine Tier wieder einzufangen suchte, den Weg.
Und der Kleine blieb gehorsam stehen und sah in scheuer Bewunderung zu dem kecken Burschen empor, der vielleicht nur um ein Jahr älter als er, ihn fast um Kopfeslänge überragte.
José hatte bis dahin nie einen Spielgefährten gehabt, und nun stand da plötzlich einer vor ihm, der wundervoll klettern konnte, der mir nichts dir nichts durch stachlige Zäune kroch und die imponierende Tatsache wußte, daß das Kaninchen eigentlich nur ein Karnickel sei.
»Die kennen mich!« sagte Veit, nach den fliehenden Enten zeigend. »Paß auf, wenn ich ihnen eines