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Hälsen um die Wette, und dazwischen lachte Veit wie toll und patschte sich vor Wonne mit seinen dürren, sonnverbrannten Händen die Knie.

      Der kleine José verwandte kein Auge von ihm. Der frechkluge Blick der tiefliegenden, schmalgeschlitzten Funkelaugen, die Sicherheit und Gewandtheit in jeder Bewegung dieses langen Jungen, seine rohen Manieren, die er den Knechten des Klostergutes abgelernt hatte, übten eine dämonisch anziehende Wirkung auf das Kind.

      »So, die haben genug für heute!« sagte Veit und ließ mit einem leisen Pfiff den letzten Stein über das Wasser sausen.«Jetzt kommst du mit! Ich will dir meine Lapins zeigen. Da wirst du gucken! Die sind freilich anders, als dein schauderhaftes Stallkarnickel.«

      José sah scheu nach der Stelle im Zaun, aus welcher Veit gekommen war. Undurchdringliches Blattwerk breitete sich dort aus – man bemerkte nicht die kleinste Lücke. »Ich kann nicht durch,« meinte er verzagt.

      »Dummes Zeug! Kann ich doch durchkriechen. Ich hab' mir das Loch selbst durch den Zaun gemacht und bin alle Tage drüben in eurem Garten – ihr wißt es nur nicht. Komm nur mit – es geht ganz gut!«

      Er sprang hinüber, schob die Blätter auseinander und war im nächsten Augenblick verschwunden. Und José kroch ihm nach. Sein kleines Herz pochte heftig in einem Gemisch von Angst und geheimnisvoller Wonne – die Dornen zerrten schmerzhaft an seinen Locken, und für das blaue Kaschmirhöschen war der stachlige Weg sehr bedenklich – aber es ging tapfer weiter in dem grünen Tunnel, der schräg durch den Zaun lief und drüben vor einem Zwiebelbeete mündete.

      Das war nun eine ganz andere Welt, jenseits des struppigen Zaunes. Da gab es keine schlängelnden Kieswege, keinen Teich, keine Allee mit eleganten gußeisernen Möbeln. Wie lange, geradlinige Dominosteine reihten sich die Gemüsebeete aneinander, nur einmal von dem schmalen, mit Buchsbaum eingefaßten Mittelweg durchschnitten. – Für herumtollende Kinderfüße gab es hier keinen Platz, selbst auf dem Stück Grasboden nicht, das sich weit hinten nach der Straßenmauer zu an die Beetreihen anschloß; dort breiteten sich festgepflöckt lange, lange Streifen bleichender Leinwand hin, ein Laufbrunnen rauschte, und um seinen Steintrog stand ein ganzes Regiment Gießkannen. Das sah alles so ernsthaft aus – drum kroch Mosje Veit immer durch den Zaun. Es war nur etwas da für Kinderaugen – die schönen Beerensträucher hinter den Buchsbaumgirlanden des Hauptweges. Die grünen, dickköpfigen Früchte der Stachelbeere zogen schwer die Zweige zu Boden, und die schaukelnden Johannisbeertrauben nahmen schon Farbe an und leuchteten schön hellrot in der Sonne.

      Veit hob seine Reitpeitsche auf, die er vorhin unter dem Birnbaum zurückgelassen hatte, und hieb im Vorüberlaufen so derb auf die Sträucher, daß ein förmlicher Blätter- und Beerenregen zwischen die Selleriestauden und Salatköpfe niederfiel. »Man kann sie immer noch nicht essen,« sagte er mit einem tückischen Blick auf die kleinen, harten Früchte, die seine Geduld auf eine so lange Probe stellten.

      Er steuerte auf die Mitteltür des Hintergebäudes los, die gerade auf den Hauptweg mündete. Sie war grauverwittert, hing schief in den Angeln und sah wenig einladend aus; daß es aber so stockfinster hinter ihr sein würde, hatte der kleine José doch nicht gedacht. Er klammerte sich mit beiden Händen ängstlich an Veits Samtkittel, als die Tür hinter ihnen zufiel.

      »Ich glaube gar, du fürchtest dich, du Lump! Willst du wohl deine Hände wegtun!« schalt der lange Junge und schlug auf die kleinen Finger, die ihn festhielten. »Das ist unser Holzstall, und da habe ich meine Lapins.« – Man hörte Pferdegestampf und die Brummstimmen der Kühe dumpf herüber, und der heiße Dunst des Kuhstalls schlug durch irgend eine offene Luke herein. Allmählich wurde es auch heller – der Tagesschein dämmerte vom Garten her durch kleine, mit Eisenstäbchen verwahrte Fensterlöcher, vor denen dichtes Weinblättergespinst lag; und dieses ungewisse Licht beschien auch die Lapins in ihrem Bretterverschlag, über welchen hinweg eine Treppe in die oberen Räume lief.

      Dieses steile, dunkle Holztreppchen ging es im Sturmschritt hinan, nachdem Veits grausame Hände die unglücklichen Kaninchen an den Ohren herbeigezerrt und verschiedenemal durch die Luft geschlenkert hatten – und José lief mit auf Tritt und Schritt... Das zarte Kind, das von seiner ersten Lebensstunde an behütet worden war wie ein Prinzenleben, es kletterte in diesem weitläufigen, verlassenen Hintergebäude über halsbrechende Treppen und Leitern, über freischwebende Balken, und lief arglos an den dunkelgähnenden Schlünden hin, durch welche die Getreidebündel auf die Tenne hinabgeworfen wurden – immer ohne einen Laut des Widerspruchs dem unruhig vorwärts hastenden, großen Burschen wie seinem Leitstern auf den Fersen folgend, und eifrig bemüht, ebenso herzhaft zu tappen und aufzustampfen wie er – genau so kräftig klang es freilich nicht – der hatte aber auch »wundervolle« kleine Hufeisen auf seinen Absätzen.

      Ach, wie schön war es doch, daß man auch einmal so ein rechter Junge sein konnte! Jack und Deborah waren nicht da mit ihrem ewigen Bitten und Warnen, und man durfte sich auf den fremden Treppen und Gängen austoben, ohne der Mama oder Minna den Besatz von der Schleppe zu treten, was allemal einen Heidenlärm gab. Und wie süß das kaum eingefahrene, frische Heu duftete, in das man bis über die Knie weich einsank – und was war das für ein wonniger Schrecken, wenn plötzlich aus einer ganz entlegenen Ecke eine aufgejagte Henne ängstlich gackernd und schreiend emporfuhr und halb fliegend, halb rennend das Weite suchte, ihr verschlepptes Nest mit blanken, weißen Eiern zurücklassend! ... In jedem Sonnenstrahl, der als langes, scharfabgekantetes Goldband durch die Dachluken fiel, wimmelten Myriaden von Stäubchen geräuschlos lebendig – man hörte das Rucksen der Tauben in nächster Nähe auf dem Dache und konnte durch einzelne verschobene Ziegel hinabsehen in den großen, gepflasterten Hinterhof mit seinen Truthühnern, den dumm einhertrottenden Kälbern und dem großen, einsamen Baum in der Ecke, in dem die vielen aus- und einfliegenden kleinen Vögel brüten mochten.

      Und oben unter dem Dach des zweistöckigen Seitengebäudes, das an das Klosterhaus selbst stieß, fauchte plötzlich auch eine schöne, buntgefleckte Katze aus einer halboffenen Kammertür – sie schien die Knaben angreifen zu wollen; vor Veits hochgeschwungener Reitpeitsche aber ergriff sie sofort die Flucht und kletterte angstvoll am Sparrwerk empor.

      »Ei was – die Miez hat junge Katzen!« – schrie Veit und rannte in die Kammer hinein. Auf dem Boden eines alten, halb aus den Fugen gegangenen Bastkorbes hockten in der Tat drei noch sehr junge Kätzchen. »Werd's gleich dem Papa sagen; Fritz muß sie heute noch ersäufen – das gibt allemal einen Hauptspaß!« jubelte er.

      José kauerte sich auf die Dielen und sah mit großen, strahlenden Augen in den Korb – er hörte gar nicht, was der andere sagte. Drei so allerliebste, geschmeidige Tierchen, weich gebettet auf allerlei buntem Lappenzeug, in einem Korbe beisammen, das war ja noch hübscher, als das Zaunkönignest, das ihm Onkel Arnold neulich in einem großen Weißdornbusch gezeigt hatte! – Mit scheuem Finger strich er zärtlich über die weichen Fellchen.

      Diese mädchenhafte Sanftheit reizte und ärgerte den großen Jungen. »Du bist doch noch schrecklich dumm!« schalt er. »Macht doch der Einfaltspinsel ein Wesens mit dem Viehzeug, wie die Tante Therese mit ihren jungen Truthühnern!« – Er nahm eines der Tiere aus dem Korbe und stellte es derb auf seine schwachen Beinchen – es blieb breitspurig stehen und miaute kläglich.

      Auf diese Laute hin kam die Katzenmutter wieder über die Schwelle gestürzt; aber sie mochte Veits Gertenhiebe zur Genüge kennen – die Furcht siegte abermals über die Mutterliebe – sie floh vor der gehobenen Reitpeitsche seitwärts an der Wand hin und kletterte an einem Regal empor, und Veit sprang auf einen daneben stehenden Stuhl und schlug nach ihr. Was auf dem oberen Brett stand, alte Hutschachteln, halbzerbrochenes Porzellan und dergleichen, es stürzte alles unter den flüchtenden Füßen der Katze auf die Dielen herab – das polterte und klirrte, erstickende Staubwolken wirbelten auf, und unter Veits kreischendem »Hü, Hü!« flog die arme Gehetzte auf der anderen Seite des Regals wieder hinab und zur Tür hinaus.

      Währenddem hatte José die kleine Katze wieder auf ihr Lager gebracht. Dem zartgewöhnten Kind war der wilde Lärm der Hetzjagd sehr peinlich; es sah sich scheu um nach den zerschmetterten Porzellanscherben und atmete auf, als die Katze zur Tür hinauslief – er hörte noch, wie ihr Veit mit heftig stampfenden Füßen durch den langen Gang draußen nachsprang, dann war es so hübsch still,

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