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ich Le­ben­di­ges fand, da fand ich Wil­len zur Macht; und noch im Wil­len des Die­nen­den fand ich den Wil­len, Herr zu sein.

      »Daß dem Stär­ke­ren die­ne das Schwä­che­re, dazu über­re­det es sein Wil­le, der über noch Schwä­che­res Herr sein will: die­ser Lust al­lein mag es nicht ent­rat­hen.

      »Und wie das Klei­ne­re sich dem Grö­ße­ren hin­giebt, daß es Lust und Macht am Kleins­ten habe: also giebt sich auch das Größ­te noch hin und setzt um der Macht wil­len – das Le­ben dran.

      »Das ist die Hin­ge­bung des Größ­ten, daß es Wa­g­niß ist und Ge­fahr, und um den Tod ein Wür­fel­spie­len.« –

      Im Früh­jah­re 1885, nach der Vollen­dung des vier­ten Thei­les des Za­ra­thustra, scheint mein Bru­der be­reits, den Auf­zeich­nun­gen nach, ent­schlos­sen ge­we­sen zu sein, den Wil­len zur Macht als Le­ben­sprin­cip zum Mit­tel­punkt sei­nes theo­re­tisch-phi­lo­so­phi­schen Haupt­wer­kes zu ma­chen. Wir fin­den den Ti­tel: »Der Wil­le zur Macht, eine Aus­le­gung al­les Ge­sche­hens«. Im Win­ter 1885/86 woll­te er aber zu­nächst eine klei­ne Schrift dar­über zu­sam­men­stel­len, zu der wir eine gan­ze Rei­he Auf­zeich­nun­gen ha­ben. Er nennt sie: »Der Wil­le zur Macht. Ver­such ei­ner neu­en Wel­t­aus­le­gung.« Es ist so be­greif­lich, daß er vor der un­ge­heue­ren Auf­ga­be schau­der­te, den Wil­len zur Macht in der Na­tur, Le­ben, Ge­sell­schaft, als Wil­le zur Wahr­heit, Re­li­gi­on, Kunst, Moral, bis in alle Con­se­quen­zen hin­ein dar­zu­stel­len. Ach, wie oft wird er sich ver­zwei­felt ge­sagt ha­ben: »ein Ein­zel­ner! ach nur ein Ein­zel­ner! und die­ser große Wald und Ur­wald!« So ver­sucht er im­mer wie­der, um sich die Auf­ga­be et­was leich­ter und über­sicht­li­cher zu ma­chen, das große Werk in klei­ne­re, we­ni­ger um­fang­rei­che Schrif­ten zu zer­le­gen. Er plant z.B. im Früh­jahr 1886 zehn neue Schrif­ten zu ver­fas­sen und viel­leicht als neue »Un­zeit­ge­mä­ße Be­trach­tun­gen« zu ver­öf­fent­li­chen.

      Aber wäh­rend sei­nes Auf­ent­hal­tes in Leip­zig, Mai-Juni 1886, wäh­rend er mit dem Ver­le­ger we­gen der Druck­le­gung des »Jen­seits« ver­han­del­te, kam er doch zu dem fes­ten Ent­schluß, au­ßer dem »Jen­seits«, das eine Vor­be­rei­tung auf das große Werk sein soll­te (in Wahr­heit aber ein Stück da­von ist), die nächs­ten Jah­re ganz al­lein der Aus­ar­bei­tung und Druck­le­gung des »Wil­lens zur Macht« zu wid­men. Ich darf viel­leicht mit Recht die Ver­mut­hung aus­spre­chen, daß die­ser Auf­ent­halt Mai-Juni 1886 in Leip­zig ihm die letz­te Hoff­nung ge­raubt hat, daß es ihm mög­lich sein wür­de, Mit­ar­bei­ter und Ge­nos­sen zu die­sem großen Wer­ke zu fin­den. Die­se Hoff­nung auf mit­ar­bei­ten­de Freun­de, die bei der Schwä­che sei­ner Au­gen dop­pelt ver­füh­re­risch war, und wel­che im­mer wie­der auf­tauch­te, trotz der großen Ent­täu­schun­gen, war von Ju­gend an der ent­zücken­de Traum sei­ner See­le ge­we­sen – ein Traum, der sich nie­mals er­fül­len soll­te. Er schreibt:

      »Die Pro­ble­me, vor wel­che ich ge­stellt bin, schei­nen mir von so ra­di­ka­ler Wich­tig­keit, daß ich mich bei­na­he je­des Jahr ein paar Mal zu der Ein­bil­dung ver­stieg, daß die geis­ti­gen Men­schen, de­nen ich die­se Pro­ble­me sicht­bar mach­te, dar­über ihre ei­ge­ne Ar­beit bei Sei­te le­gen müß­ten, um sich einst­wei­len ganz mei­nen An­ge­le­gen­hei­ten zu wid­men. Das, was dann je­des Mal statt des­sen ge­sch­ah, war in so ko­mi­scher und un­heim­li­cher Wei­se das Ge­gent­heil des­sen, was ich er­war­tet hat­te, daß ich al­ter Men­schen­ken­ner mich mei­ner sel­ber zu schä­men lern­te und ich im­mer von Neu­em wie­der in der An­fän­ger-Leh­re um­zu­ler­nen hat­te, daß die Men­schen ihre Ge­wohn­hei­ten hun­dert­tau­send Mal wich­ti­ger neh­men als selbst – ih­ren Vort­heil…«

      Alle tüch­ti­gen Leu­te, ehe­ma­li­ge Freun­de und Be­kann­te, fand er mit ih­ren eig­nen Ar­bei­ten be­schäf­tigt; selbst Pe­ter Gast, der ein­zi­ge hel­fen­de Freund, leg­te doch, nach mei­nes Bru­ders ei­ge­nem Wunsch, den Haupt­ac­cent sei­nes Le­bens und sei­ner Thä­tig­keit auf sei­ne Mu­sik. An­de­re Mit­ar­bei­ter, als die al­ler­tüch­tigs­ten, konn­te er nicht ge­brau­chen. So er­griff ihn die schmerz­li­che Ge­wiß­heit, daß er nie­mals einen Ge­nos­sen für sei­ne schwie­rigs­ten Ar­bei­ten fin­den wür­de, daß er Al­les, Al­les al­lein thun und in ab­so­lu­ter Ein­sam­keit sei­nen schwe­ren Weg ge­hen müß­te.

      Wäh­rend der Cor­rek­tu­ren des »Jen­seits«, Som­mer 1886, die er von Sils-Ma­ria aus be­sorg­te, be­nutz­te er jede freie Stun­de, den be­reits vor­han­de­nen Stoff zu dem in vier Bän­den ge­plan­ten Haupt­werk zu sich­ten. Er stell­te den gan­zen Plan des un­ge­heu­ren Wer­kes zu­sam­men, mit ei­nem Ge­dan­ken­gan­ge, der das gan­ze Werk um­faßt und im We­sent­li­chen mit klei­nen Ver­schie­bun­gen bei­be­hal­ten wor­den ist. (Der In­halt des drit­ten Bu­ches ist spä­ter in das vier­te über­ge­gan­gen und ein ganz neu­es drit­tes Buch ein­ge­fügt wor­den.) Der Plan vom Som­mer 1886 lau­tet fol­gen­der­maa­ßen:

      *

      »Der Wil­le zur Macht.

      *

      Ver­such ei­ner Um­wer­thung al­ler Wert­he. In vier Bü­chern.

      Ers­tes Buch: Die Ge­fahr der Ge­fah­ren (Dar­stel­lung des Ni­hi­lis­mus als der no­thwen­di­gen Con­se­quenz der bis­he­ri­gen Wert­h­schät­zun­gen). Un­ge­heu­re Ge­wal­ten sind ent­fes­selt: aber sich wi­der­spre­chend; die ent­fes­sel­ten Kräf­te sich ge­gen­sei­tig ver­nich­ten­d. Im de­mo­kra­ti­schen Ge­mein­we­sen, wo Je­der­mann Spe­cia­list ist, fehlt das Wozu? Für-Wen? der Stan­d, in dem alle die tau­send­fäl­ti­ge Ver­küm­me­rung al­ler Ein­zel­nen (zu Funk­tio­nen) Sinn be­kommt.

      Zwei­tes Buch: Kri­tik der Wert­he (der Lo­gik usw.). Über­all die Dis­har­mo­nie auf­zu­zei­gen zwi­schen dem Ide­al und sei­nen ein­zel­nen Be­din­gun­gen (z.B. Red­lich­keit bei Chris­ten, wel­che fort­wäh­rend zur Lüge ge­zwun­gen sind).

      Drit­tes Buch: Das Pro­blem des Ge­setz­ge­ber­s (dar­in die Ge­schich­te der Ein­sam­keit). Die ent­fes­sel­ten Kräf­te neu zu bin­den, daß sie sich nicht ge­gen­sei­tig ver­nich­ten; Au­gen auf­ma­chen für die wirk­li­che Ver­meh­rung an Kraft!

      Vier­tes Buch: Der Ham­mer. Wie müs­sen Men­schen be­schaf­fen sein, die um­ge­kehrt wert­h­schät­zen? – Men­schen, die al­le Ei­gen­schaf­ten der mo­der­nen See­le ha­ben, aber stark ge­nug sind, sie in lau­ter Ge­sund­heit um­zu­wan­deln; ihre Mit­tel zu ih­rer Auf­ga­be.

      Sils-Ma­ria. Som­mer 1886.«

      *

      Es wäre ganz falsch, wenn man nun an­neh­men woll­te, daß der Au­tor des »Wil­lens zur Macht« in die­sem Wer­ke sein Sys­tem hät­te ge­ben wol­len. Wir wis­sen, wie sehr er al­len Sys­te­men miß­trau­te, und wie es ihm als ein trau­ri­ges Zei­chen für einen Phi­lo­so­phen galt, wenn er sei­ne Ge­dan­ken zu ei­nem Sys­tem er­star­ren läßt. »Ein Sys­te­ma­ti­ker ist ein Phi­lo­soph«, ruft er aus, »der sei­nem Geist nicht län­ger mehr zu­ge­ste­hen will, daß er leb­t, daß er wie ein Baum mäch­tig in die Brei­te und un­er­sätt­lich um sich greift, der schlech­ter­dings kei­ne Ruhe kennt, bis er aus ihm et­was Leb­lo­ses, et­was Höl­zer­nes, eine vier­e­cki­ge Dumm­heit, ein »Sys­tem« her­aus­ge­schnitzt hat!«

      Ge­wiß woll­te er sei­ne Phi­lo­so­phie,

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