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Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ðицше
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962815295
Автор произведения Фридрих Вильгельм Ðицше
Жанр Документальная литература
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
Aber es versteht sich von selbst, daß die Welt neuer Gedanken im Zarathustra nicht erschöpft werden konnte und nach einer theoretisch-philosophischen prosaischen Darstellung verlangte, dabei aber von Jahr zu Jahr wuchs und deutlicher wurde. Wir begegnen deshalb in den Plänen des Sommers 1884 immer den gleichen Problemen wie im Zarathustra und wie später im »Willen zur Macht«. Alle Niederschriften von dieser Zeit an sind Erklärungen und Darstellungen jener Hauptgedanken, sodaß man wohl vom »Willen zur Macht« dasselbe sagen kann, was mein Bruder an Jacob Burckhardt von »Jenseits von Gut und Böse« schreibt: »daß es dieselben Dinge sagt, wie der Zarathustra, aber anders, sehr anders«.
Daß sich der Autor mehrere Jahre Zeit lassen wollte (er spricht von sechs und auch von zehn Jahren), ehe er an die endgültige Ausarbeitung dieses ungeheuren Werkes dachte, und zunächst nur die köstlichen Bausteine zusammentrug und die umfassendsten Studien dazu machte, ist nur zu begreiflich. Im Übrigen ist aus den Plänen des Sommers 1884 zu ersehen, daß er damals noch nicht entschlossen war, welchem seiner Hauptgedanken: ob der ewigen Wiederkunft oder der Umwerthung aller bisherigen höchsten Werthe, ob der Rangordnung bis zu ihrem Gipfel, dem Übermenschen, oder dem Willen zur Macht, als Princip des Lebens, Wachsens und Herr-sein-wollens, er den Vorrang lassen wollte, in den Mittelpunkt dieses Werkes gestellt zu werden. Die Erkenntniß aber, daß das ungeheuer complicirte Gewebe des Lebens am besten im Willen zur Macht zusammenzufassen sei, scheint ihm von Jahr zu Jahr immer deutlicher geworden zu sein.
Hier ist wohl die Stelle, wo wir fragen dürfen, wann wohl dem Philosophen zuerst dieser Gedanke des Willens zur Macht als verkörperter Lebenswille erschienen sein mag? Solche Fragen sind außerordentlich schwer zu beantworten, da wir bei meinem Bruder den Keim zu seinen Hauptgedanken immer in sehr entfernter Zeit zu suchen haben. Wie bei einem gesunden, kraftvollen Baum dauerte es viele Jahre, ehe seine Gedanken ihre endgültige Gestalt gewannen und hervortraten, mit Ausnahme eines einzigen: der ewigen Wiederkunft, der ihm im Sommer 1881 zuerst auftauchte und ein Jahr später zur Darstellung kam. Vielleicht ist es mir gestattet, hier eine Erinnerung zu bringen, die einen Fingerzeig zur ersten Entstehung des Gedankens vom Willen zur Macht geben könnte. Im Herbst 1885, ehe ich mit meinem Mann nach Paraguay gieng, machten mein Bruder und ich wundervolle Spaziergänge in die Umgebung Naumburgs, um die Stätten unserer Kindheit noch einmal wiederzusehen. So giengen wir auch einmal über die Höhen zwischen Naumburg und Pforta, die eine herrliche, weite Aussicht bieten, und gerade an jenem Abend in besonders schöner Beleuchtung: der Himmel hatte eine gelbröthliche Färbung mit tiefschwarzen Wolken, was eine merkwürdige Farbenstimmung in der Natur hervorrief. Mein Bruder bemerkte plötzlich, wie sehr ihn diese Wolkenbildung an einen Abend jener Zeit (1870) erinnerte, da er als Krankenpfleger auf dem Kriegsschauplatz gewesen war (die neutrale Schweiz gestattete ihrem Universitätsprofessor nicht, als Soldat mitzuziehen). Nach seiner Ausbildung als Pfleger in Erlangen wurde er von dem dortigen Comité als Vertrauensperson und Führer einer Sanitätskolonne nach dem Kriegsschauplatz geschickt. Es wurden ihm größere Summen anvertraut und eine Fülle persönlicher Aufträge mitgegeben, sodaß er von Lazareth zu Lazareth, von Ambulanz zu Ambulanz, über Schlachtfelder hinweg seinen Weg suchen mußte, sich nur unterbrechend, um Verwundeten und Sterbenden Hilfe zu leisten und ihre letzten Grüße in Empfang zu nehmen. Was das mitfühlende Herz meines Bruders in jener Zeit gelitten hat, ist nicht zu beschreiben; noch monatelang hörte er das Stöhnen und den klagenden Jammerschrei der armen Verwundeten. Es war ihm in den ersten Jahren fast unmöglich, darüber zu sprechen, und als sich Rohde einmal in meiner Gegenwart darüber beklagte, daß er so wenig von des Freundes Erlebnissen als Krankenpfleger gehört habe, brach mein Bruder mit dem schmerzlichsten Ausdruck in jene Worte aus: »Davon kann man nicht sprechen, das ist unmöglich, man muß diese Erinnerungen zu verbannen suchen!« Auch an jenem Herbsttag, von welchem ich soeben sprach, erzählte er nur, wie er eines Abends nach solchen entsetzlichen Wanderungen »das Herz von Mitleid fast gebrochen« in eine kleine Stadt gekommen sei, durch welche eine Heerstraße führte. Als er um eine Steinmauer biegt und einige Schritte vorwärts geht, hört er plötzlich ein Brausen und Donnern, und ein wundervolles Reiterregiment, prachtvoll als Ausdruck des Muthes und Übermuthes eines Volkes, flog wie eine leuchtende Wetterwolke an ihm vorüber. Der Lärm und Donner wird stärker, und es folgt seine geliebte Feldartillerie im schnellsten Tempo – ach, wie es ihn schmerzt, sich nicht auf ein Pferd werfen zu können, sondern thatenlos an dieser Mauer stehen bleiben zu müssen! Zuletzt kam das Fußvolk im Laufschritt: die Augen blitzten, der gleichmäßige Tritt klang wie wuchtige Hammerschläge auf den harten Boden. Und als dieser ganze Zug an ihm vorüberstürmte, der Schlacht, vielleicht dem Tode entgegen, so wundervoll in seiner Lebenskraft, in seinem Kampfesmuth, so vollständig der Ausdruck einer Rasse, die siegen, herrschen oder untergehen will – »da fühlte ich wohl, meine Schwester,« fügte mein Bruder hinzu, »daß der stärkste und höchste Wille zum Leben nicht in einem elenden Ringen um’s Dasein zum Ausdruck kommt, sondern als Wille zum Kampf, als Wille zur Macht und Übermacht!« »Aber,« fuhr er nach einer Weile fort, während er in den glühenden Abendhimmel hinausschaute, »ich fühlte auch, wie gut es ist, daß Wotan den Feldherren ein hartes Herz in den Busen legt, wie könnten sie sonst die ungeheure Verantwortung tragen, Tausende in den Tod zu schicken, um ihr Volk und damit sich selbst zur Herrschaft zu bringen.« – Viele, unendlich Viele haben damals Ähnliches erlebt, aber die Augen des Philosophen sehen anders, als andere Leute, und finden neue Erkenntnisse in Erlebnissen, die Andere zu entgegengesetzten Resultaten führen. Wenn mein Bruder später an diese Vorgänge zurückdachte, wie anders und vielgestaltig mag ihm da das von Schopenhauer so gepriesene Gefühl des Mitleids erschienen sein, im Vergleich mit jenem wundervollen Anblick des Lebens-, Kampfes- und Machtwillens. Hier sah er einen Zustand, bei welchem der Mensch seine stärksten Triebe, sein gutes Gewissen und seine Ideale als identisch fühlt, und er sah diesen Zustand nicht bloß