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sehr frucht­bar ge­we­sen sei. Wir wis­sen schon aus der Ein­lei­tung zum ach­ten Band, wie be­deu­tungs­voll die­ser Som­mer ge­ra­de für die­ses Haupt­pro­sa­werk ge­we­sen ist. In­des­sen darf man durch­aus nicht an­neh­men, daß die Grund­ge­dan­ken die­ses Wer­kes erst da­mals ent­stan­den wä­ren, nein, sie sind be­reits sämmt­lich in poe­ti­scher Form im Za­ra­thustra ent­hal­ten, was sich be­son­ders dar­in zeigt, daß Plä­ne und Ge­dan­ken­gän­ge von Ende 1882, also aus der Zeit vor der Ent­ste­hung des ers­ten Thei­les des Za­ra­thustra, die größ­te Ähn­lich­keit mit dem ge­dank­li­chen In­halt des »Wil­lens zur Macht« ha­ben.

      Aber es ver­steht sich von selbst, daß die Welt neu­er Ge­dan­ken im Za­ra­thustra nicht er­schöpft wer­den konn­te und nach ei­ner theo­re­tisch-phi­lo­so­phi­schen pro­sa­i­schen Dar­stel­lung ver­lang­te, da­bei aber von Jahr zu Jahr wuchs und deut­li­cher wur­de. Wir be­geg­nen des­halb in den Plä­nen des Som­mers 1884 im­mer den glei­chen Pro­ble­men wie im Za­ra­thustra und wie spä­ter im »Wil­len zur Macht«. Alle Nie­der­schrif­ten von die­ser Zeit an sind Er­klä­run­gen und Dar­stel­lun­gen je­ner Haupt­ge­dan­ken, so­daß man wohl vom »Wil­len zur Macht« das­sel­be sa­gen kann, was mein Bru­der an Ja­cob Burck­hardt von »Jen­seits von Gut und Böse« schreibt: »daß es die­sel­ben Din­ge sagt, wie der Za­ra­thustra, aber an­ders, sehr an­ders«.

      Daß sich der Au­tor meh­re­re Jah­re Zeit las­sen woll­te (er spricht von sechs und auch von zehn Jah­ren), ehe er an die end­gül­ti­ge Aus­ar­bei­tung die­ses un­ge­heu­ren Wer­kes dach­te, und zu­nächst nur die köst­li­chen Bau­stei­ne zu­sam­men­trug und die um­fas­sends­ten Stu­di­en dazu mach­te, ist nur zu be­greif­lich. Im Üb­ri­gen ist aus den Plä­nen des Som­mers 1884 zu er­se­hen, daß er da­mals noch nicht ent­schlos­sen war, wel­chem sei­ner Haupt­ge­dan­ken: ob der ewi­gen Wie­der­kunft oder der Um­wer­thung al­ler bis­he­ri­gen höchs­ten Wert­he, ob der Rang­ord­nung bis zu ih­rem Gip­fel, dem Über­menschen, oder dem Wil­len zur Macht, als Prin­cip des Le­bens, Wach­sens und Herr-sein-wol­lens, er den Vor­rang las­sen woll­te, in den Mit­tel­punkt die­ses Wer­kes ge­stellt zu wer­den. Die Er­kennt­niß aber, daß das un­ge­heu­er com­pli­cir­te Ge­we­be des Le­bens am bes­ten im Wil­len zur Macht zu­sam­men­zu­fas­sen sei, scheint ihm von Jahr zu Jahr im­mer deut­li­cher ge­wor­den zu sein.

      Hier ist wohl die Stel­le, wo wir fra­gen dür­fen, wann wohl dem Phi­lo­so­phen zu­er­st die­ser Ge­dan­ke des Wil­lens zur Macht als ver­kör­per­ter Le­bens­wil­le er­schie­nen sein mag? Sol­che Fra­gen sind au­ßer­or­dent­lich schwer zu be­ant­wor­ten, da wir bei mei­nem Bru­der den Keim zu sei­nen Haupt­ge­dan­ken im­mer in sehr ent­fern­ter Zeit zu su­chen ha­ben. Wie bei ei­nem ge­sun­den, kraft­vol­len Baum dau­er­te es vie­le Jah­re, ehe sei­ne Ge­dan­ken ihre end­gül­ti­ge Ge­stalt ge­wan­nen und her­vor­tra­ten, mit Aus­nah­me ei­nes ein­zi­gen: der ewi­gen Wie­der­kunft, der ihm im Som­mer 1881 zu­erst auf­tauch­te und ein Jahr spä­ter zur Dar­stel­lung kam. Vi­el­leicht ist es mir ge­stat­tet, hier eine Erin­ne­rung zu brin­gen, die einen Fin­ger­zeig zur ers­ten Ent­ste­hung des Ge­dan­kens vom Wil­len zur Macht ge­ben könn­te. Im Herbst 1885, ehe ich mit mei­nem Mann nach Pa­ra­guay gieng, mach­ten mein Bru­der und ich wun­der­vol­le Spa­zier­gän­ge in die Um­ge­bung Naum­burgs, um die Stät­ten un­se­rer Kind­heit noch ein­mal wie­der­zu­se­hen. So gien­gen wir auch ein­mal über die Hö­hen zwi­schen Naum­burg und Pfor­ta, die eine herr­li­che, wei­te Aus­sicht bie­ten, und ge­ra­de an je­nem Abend in be­son­ders schö­ner Be­leuch­tung: der Him­mel hat­te eine gel­brö­th­li­che Fär­bung mit tief­schwar­zen Wol­ken, was eine merk­wür­di­ge Far­ben­stim­mung in der Na­tur her­vor­rief. Mein Bru­der be­merk­te plötz­lich, wie sehr ihn die­se Wol­ken­bil­dung an einen Abend je­ner Zeit (1870) er­in­ner­te, da er als Kran­ken­pfle­ger auf dem Kriegs­schau­platz ge­we­sen war (die neu­tra­le Schweiz ge­stat­te­te ih­rem Uni­ver­si­täts­pro­fes­sor nicht, als Sol­dat mit­zu­zie­hen). Nach sei­ner Aus­bil­dung als Pfle­ger in Er­lan­gen wur­de er von dem dor­ti­gen Co­mité als Ver­trau­ens­per­son und Füh­rer ei­ner Sa­ni­täts­ko­lon­ne nach dem Kriegs­schau­platz ge­schickt. Es wur­den ihm grö­ße­re Sum­men an­ver­traut und eine Fül­le per­sön­li­cher Auf­trä­ge mit­ge­ge­ben, so­daß er von La­za­reth zu La­za­reth, von Am­bu­lanz zu Am­bu­lanz, über Schlacht­fel­der hin­weg sei­nen Weg su­chen muß­te, sich nur un­ter­bre­chend, um Ver­wun­de­ten und Ster­ben­den Hil­fe zu leis­ten und ihre letz­ten Grü­ße in Empfang zu neh­men. Was das mit­füh­len­de Herz mei­nes Bru­ders in je­ner Zeit ge­lit­ten hat, ist nicht zu be­schrei­ben; noch mo­na­te­lang hör­te er das Stöh­nen und den kla­gen­den Jam­mer­schrei der ar­men Ver­wun­de­ten. Es war ihm in den ers­ten Jah­ren fast un­mög­lich, dar­über zu spre­chen, und als sich Roh­de ein­mal in mei­ner Ge­gen­wart dar­über be­klag­te, daß er so we­nig von des Freun­des Er­leb­nis­sen als Kran­ken­pfle­ger ge­hört habe, brach mein Bru­der mit dem schmerz­lichs­ten Aus­druck in jene Wor­te aus: »Da­von kann man nicht spre­chen, das ist un­mög­lich, man muß die­se Erin­ne­run­gen zu ver­ban­nen su­chen!« Auch an je­nem Herbst­tag, von wel­chem ich so­eben sprach, er­zähl­te er nur, wie er ei­nes Abends nach sol­chen ent­setz­li­chen Wan­de­run­gen »das Herz von Mit­leid fast ge­bro­chen« in eine klei­ne Stadt ge­kom­men sei, durch wel­che eine Heer­stra­ße führ­te. Als er um eine Stein­mau­er biegt und ei­ni­ge Schrit­te vor­wärts geht, hört er plötz­lich ein Brau­sen und Don­nern, und ein wun­der­vol­les Rei­ter­re­gi­ment, pracht­voll als Aus­druck des Mu­thes und Über­mu­thes ei­nes Vol­kes, flog wie eine leuch­ten­de Wet­ter­wol­ke an ihm vor­über. Der Lärm und Don­ner wird stär­ker, und es folgt sei­ne ge­lieb­te Feld­ar­til­le­rie im schnells­ten Tem­po – ach, wie es ihn schmerzt, sich nicht auf ein Pferd wer­fen zu kön­nen, son­dern tha­ten­los an die­ser Mau­er ste­hen blei­ben zu müs­sen! Zu­letzt kam das Fuß­volk im Lauf­schritt: die Au­gen blitz­ten, der gleich­mä­ßi­ge Tritt klang wie wuch­ti­ge Ham­mer­schlä­ge auf den har­ten Bo­den. Und als die­ser gan­ze Zug an ihm vor­über­stürm­te, der Schlacht, viel­leicht dem Tode ent­ge­gen, so wun­der­voll in sei­ner Le­bens­kraft, in sei­nem Kamp­fes­muth, so voll­stän­dig der Aus­druck ei­ner Ras­se, die sie­gen, herr­schen oder un­ter­ge­hen will – »da fühl­te ich wohl, mei­ne Schwes­ter,« füg­te mein Bru­der hin­zu, »daß der stärks­te und höchs­te Wil­le zum Le­ben nicht in ei­nem elen­den Rin­gen um’s Da­sein zum Aus­druck kommt, son­dern als Wil­le zum Kampf, als Wil­le zur Macht und Über­macht!« »Aber,« fuhr er nach ei­ner Wei­le fort, wäh­rend er in den glü­hen­den Abend­him­mel hin­aus­schau­te, »ich fühl­te auch, wie gut es ist, daß Wo­tan den Feld­her­ren ein har­tes Herz in den Bu­sen legt, wie könn­ten sie sonst die un­ge­heu­re Verant­wor­tung tra­gen, Tau­sen­de in den Tod zu schi­cken, um ihr Volk und da­mit sich selbst zur Herr­schaft zu brin­gen.« – Vie­le, un­end­lich Vie­le ha­ben da­mals Ähn­li­ches er­lebt, aber die Au­gen des Phi­lo­so­phen se­hen an­ders, als an­de­re Leu­te, und fin­den neue Er­kennt­nis­se in Er­leb­nis­sen, die An­de­re zu ent­ge­gen­ge­setz­ten Re­sul­ta­ten füh­ren. Wenn mein Bru­der spä­ter an die­se Vor­gän­ge zu­rück­dach­te, wie an­ders und viel­ge­stal­tig mag ihm da das von Scho­pen­hau­er so ge­prie­se­ne Ge­fühl des Mit­leids er­schie­nen sein, im Ver­gleich mit je­nem wun­der­vol­len An­blick des Le­bens-, Kamp­fes- und Macht­wil­lens. Hier sah er einen Zu­stand, bei wel­chem der Mensch sei­ne stärks­ten Trie­be, sein gu­tes Ge­wis­sen und sei­ne Idea­le als iden­tisch fühlt, und er sah die­sen Zu­stand nicht bloß

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