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jetzt auch, aber sie war keineswegs schockiert oder emotional beteiligt.

      Warum sollte sie sich zum Richter aufschwingen über diese Frau, die es immerhin einige Jahre mit Joshua Wilkens ausgehalten hatte und sein Kind zur Welt brachte, das sie dann bei ihm zurückließ in der Hoffnung, daß er für es sorgen würde, was er auf seine Weise ja auch getan hatte.

      Ein komisches Gefühl war es jetzt schon, doch noch eine Mutter zu haben. Sie war entschlossen, ihr zu antworten und ihr auch Geld zu schicken. Es tat ihr ja nicht weh. Was würde wohl Simon zu diesem Brief sagen?

      Es war zu seltsam, was plötzlich alles zusammenkam! Bisher war ihr Leben immer auf einer geraden Linie verlaufen, da sie nur auf sich selbst angewiesen war und über sich selbst bestimmen konnte, unbeeinflußt von dramatischen Ereignissen und Einflüssen. Gefühle spielten erst eine Rolle, seit sie Simon kennenlernte, aber auch da ging sie unbeirrbar ihren Weg weiter.

      Dann aber der plötzliche Tod ihres Vaters, sein überraschendes Testament, die Reise nach Amerika, fast gleichzeitig für Simon die Reise nach Tokio. Dann die Bruchlandung des Flugzeuges, Simons schwere Verletzungen. Sie lernte die Angst kennen, den einzigen Menschen, den sie wahrhaft liebte, zu verlieren. Aber da war ja auch das Kind, das in ihr wuchs, der Konflikt, nicht mit Simon darüber sprechen zu können, und nun auch noch dieser Brief, geschrieben von ihrer Mutter, an die sie keine Erinnerung hatte.

      Wie ein Roman war das, von dem das Ende noch ungewiß war. Aber alles fügte sich aneinander, um ihr Leben zu komplettieren, in dem doch manches gefehlt hatte.

      Sie schlief unruhig, hatte wilde Träume und dann plötzlich die Vision, daß sie herumirrte und Simon suchte, ihn aber nicht finden konnte.

      Sie erwachte. Es war schon heller Morgen. Sehr nachdenklich stand sie auf, ging ans Fenster und öffnete es weit. Kalte Luft strömte herein, machte ihren Kopf freier.

      Ich werde mich doch nicht durch Träume beeinflussen lassen, ging es ihr durch den Sinn. Ich werde jetzt alles in Ordnung bringen, was mir noch zu schaffen macht.

      Sie kleidete sich sorgfältig an, nachdem sie lange in ihrem Schrank gesucht hatte, was ihr wohl die meiste Selbstsicherheit verleihen konnte. Früher hatte sie das nur spontan entschieden, nach Lust und Laune.

      Sie hatte wenigstens noch rechtzeitig daran gedacht, daß sie einen Termin bei Dr. Leitner hatte. In der Hektik der letzten Tage hatte sie Professor Leine und Dr. Leitner wegen der Namensähnlichkeit durcheinandergebracht, aber jetzt hatte sie ihre fünf Sinne wieder ganz beisammen.

      Sie brauchte in der Leitner-Klinik nicht zu warten, aber schon vor dem Betreten des Sprechzimmers hatte sie das Weinen eines Babys vernommen, und es war ihr ganz eigen zumute geworden. Sie nahm sich vor, Dr. Leitner zu bitten, einmal in die Babystation schauen zu dürfen. Daß in dieser Klinik sehr diesbezüglich strenge Vorschriften herrschten, hatte sie schon mitbekommen.

      »War das ein Neugeborenes?« fragte sie verhalten.

      »Ganz frisch«, erwiderte er lächelnd, »aber sehr kräftig, wie auch die Stimme verrät.«

      Mary Ann brachte ihren Wunsch vor, und Dr. Leitner lächelte wieder. »Natürlich dürfen Sie einen Blick auf die Kleinen werfen, aber wir wollen doch zuerst mal sehen, was Ihr Baby macht.«

      Sie konnte es auch am Monitor des Ultraschallgerätes sehen und war ganz aufgeregt.

      »Auch schon ganz schön kräftig«, stellte Dr. Leitner fest. »Möchten Sie eine Fotografie?«

      Sie nickte, sprechen konnte sie momentan nicht, so heftig schlug ihr Herz.

      »Und wie es scheint, geht es Ihnen zumindest physisch recht gut.«

      »Ich kann nicht klagen, nur müde bin ich oft.«

      »Das bringt der derzeitige Zustand manchmal mit sich, aber wahrscheinlich sind Sie auch viel unterwegs.«

      »Zwischen Klinik und Büro. Ich hoffe, daß Simon bald soweit ist, daß ich ihn auf die Insel der Hoffnung bringen kann.«

      »Und Sie wieder Zeit gewinnen?«

      »Ich will wenigstens solange warten, bis die kritische Zeit überwunden ist.«

      »Ich sehe zur Zeit keine Komplikationen mehr.«

      »Darüber bin ich sehr froh, und ich wünschte, das wäre auch von Simon zu sagen.«

      Dr. Leitner ging mit ihr zur Babystation. Dort standen elf Bettchen, und in jedem lag so ein kleines Wesen. Vier schrien aus Leibeskräften.

      »Sie scheinen zu merken, daß sie bald nach Hause kommen und würden gern noch hierbleiben«, meinte Dr. Leitner lächelnd. »Die meisten bleiben nicht länger als drei Tage, dann haben es die jungen Mütter eilig heimzukommen. Es ist nicht mehr so wie früher, daß sie in Watte gepackt werden. Es hat ziemlich lange gedauert, bis man dahinterkam, wieviel diese kleinen Geschöpfe aushalten können, vorausgesetzt sie sind ohne einen Schaden geboren.«

      »Aber es kommt auch immer noch zu solchen Komplikationen, daß es Todesfälle gibt.«

      »Da kommt dann aber einiges zusammen, was nicht vorauszusehen war. Aber Sie sollten daran gar nicht denken.«

      »Das will ich auch nicht, ich freue mich auf mein Kind.«

      Er sah ihr nachdenklich nach, als sie nun ging, und fragte sich, ob Simon Karsten diese Frau überhaupt verdiente.

      *

      Mary Ann fuhr zu Dr. Norden. Sie wollte ihm doch sagen, das bei ihr alles in Ordnung sei. Wenigstens mit einem verständnisvollen Menschen wollte sie über ihr Baby sprechen.

      Bei Wendy saß eine junge Frau mit tränenüberströmtem Gesicht. Die schwarze Kleidung unterstrich die tiefe Blässe, und unwillkürlich empfand Mary Ann ein tiefes Mitgefühl.

      »Kann ich irgendwie behilflich sein?« fragte sie spontan.

      Traurige Augen sahen Mary Ann erstaunt an.

      »Das ist Frau Wilkens, Frau Gass­mann. Sie hat auch Erfahrungen mit ausländischen Behörden gemacht. Herr Gassmann ist der Reporter, der in Palästina von Terroristen erschossen wurde«, sagte Wendy.

      »Meine aufrichtige Anteilnahme«, sagte Mary Ann mit belegter Stimme. »Wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann… Welche Schwierigkeiten gibt es?«

      »Sie haben Jürgen angeblich nicht gefunden. Es ist da ein ziemliches Durcheinander«, erklärte Carola stockend.

      »Und man hält sich sehr bedeckt«, warf Wendy ein. »Vielleicht können Sie Frau Gassmann sagen, wohin sie sich wenden muß.«

      »Doch zuerst an die diplomatische Vertretung.«

      »Das ist schon in die Wege geleitet, aber es geht alles den Amtsweg. Ich habe Angst, daß sie ihn da unten begraben. Keiner scheint zuständig zu sein.«

      »Diese Bürokratie«, ärgerte sich Mary Ann, »aber ich habe es ja auch mitgemacht, als mein zukünftiger Mann in Rußland mit dem Flugzeug verunglückte. Sie sollten sich aber nicht so aufregen, Sie erwarten doch ein Baby«, stellte Mary Ann besorgt fest. »Wenn es Ihnen recht ist, bringe ich Sie nach Hause, dann können wir uns unterhalten.«

      »Das ist sehr freundlich von Ihnen. Ich bin mit dem Taxi gekommen, weil meine Mutter den Wagen heute gebraucht hat.«

      »Vielen Dank, Frau Wilkens«, sagte Wendy, »es ist sehr nett von Ihnen.«

      Mary Ann merkte, wie Carola ein Stöhnen unterdrückte, als sie ihr in den Wagen half. »Im wievielten Monat sind Sie?« fragte sie.

      »Jetzt im siebenten, aber es geht mir nicht mehr so gut.«

      »Zuviel Kummer und Aufregung. Ich verstehe das. Soll ich Sie nicht lieber zur Leitner-Klinik bringen?«

      »Eigentlich wollte ich zu Hause entbinden. Es ist ja noch Zeit.«

      »Ich weiß nicht, Vorsicht ist besser.«

      Mary Ann kam eine Erinnerung, daß sie so etwas auch in dieser Nacht geträumt hatte. Sie

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