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erkundigten sie sich auch nach Simon, aber zu ihm hatten sie eine größere Distanz gehabt als zu Mary Ann. Persönliche Kontakte hatte es da nicht gegeben. Deswegen wunderte sich auch mancher, daß Mary Ann einen so engen Kontakt zu ihm hatte.

      Sie machte sich darüber keine Gedanken. Sie kannte einen Simon, den wohl sonst niemand so gut kennengelernt hatte.

      Sie hatte in wenigen Stunden sehr viel geschafft, und als Dr. Mattes kam, war er hocherfreut, sie noch anzutreffen.

      Er hatte ein gutes Gespräch mit Simon geführt und den Eindruck gewonnen, daß er sehr zuversichtlich sei.

      Mary Ann verließ das Büro erst gegen achtzehn Uhr und fuhr dann noch mal zur Klinik.

      Simon war gerade wieder untersucht worden und sichtlich erschöpft. Er schlief bald ein, ohne daß sie viel gesprochen hatten, aber Mary Ann hatte dann noch Gelegenheit, kurz mit Professor Leine zu sprechen, der noch wegen eines anderen Patienten in der Klinik geblieben war.

      »Ich denke, daß wir jetzt mit einer gezielten Therapie beginnen können«, erklärte er. »Es sind keine Blutungen mehr zu befürchten, die Verletzungen sind gut verheilt, das EEG ist beruhigend. Es wird wahrscheinlich ein längerer Prozeß sein, und eine Sehschwäche könnte vorerst bleiben, aber wenn alles funktioniert, wie ich es mir vorstelle, kann man diese auch bessern. Mit dem Laser kann man sehr viel erreichen und auch die Linsen sind so hoch entwickelt, daß sie sehr hilfreich sind. Hoffen wir also das Beste.«

      »Das tue ich«, nickte Mary Ann.

      Sie hatte auch bei den Ärzten einen Stein im Brett, weil sie nicht jammerte und überflüssige Fragen stellte, sondern immer sachlich blieb und nicht gleich Wunder erwartete.

      Die Schwestern hatten großen Respekt vor ihr, weil sie so liebevoll und geduldig mit Simon umging.

      Mary Ann war an diesem Tag aber auch froh, als sie die Füße hochlegen konnte. Sie hatte sich einen Tee zubereitet und einen Schinkentoast, den Fernseher eingeschaltet und es sich auf dem Sofa bequem gemacht.

      Die Nachrichten brachten nichts Erfreuliches. In Palästina hatten wieder zwei Bomben Menschenleben gefordert, und bei einer Schießerei war auch ein Reporter getötet worden. Mary Ann fror es gleich, als sie das hörte. Sie war gegen jede Gewalt, aber man konnte nicht einfach den Kopf in den Sand stecken und sagen, daß all dies einen nichts angehe, wenngleich man auch machtlos war.

      Dann wurde auch noch von einem Flugzeugabsturz berichtet, bei dem aber alle Passagiere ums Leben gekommen waren. Mary Ann dachte daran, wie viele Angehörige jetzt wieder weinten, die vergeblich auf ihre Lieben warteten. Das wenigstens war ihr erspart geblieben. Ihr Kind brauchte nicht ohne Vater aufzuwachsen, aber würde Simon dieses Kind auch lieben?

      *

      Fee und Daniel Norden hörten auch die Schreckensnachricht von dem Reporter, der erschossen worden war. Gleich kam Fee der entsetzliche Gedanke, daß es sich um Jürgen Gassmann handeln könnte.

      »Es gibt auch andere Reporter, die sich dort aufhalten«, sagte Daniel. »Gassmann ist doch gerade erst gestartet.« Aber nach einem längeren Schweigen sagte er, daß es schrecklich wäre, wenn Frau Gass­mann eine solche Nachricht bekäme.

      Da läutete das Telefon, und er wurde von Carola Gassmanns Mutter zu der jungen Frau gerufen, die die Schreckensnachricht tatsächlich bekommen hatte.

      Ihm war die Kehle eng, und seine Stimme wollte ihm nicht gehorchen, als er Fee sagte, daß ihre Ahnung leider richtig gewesen sei.

      »Die arme kleine Frau«, sagte Fee erschüttert.

      Daniel Norden war schon an der Tür, und Anneka kam zu Fee und fragte, warum der Papi noch mal fort müsse.

      »Ein Notfall, mein Kleines. Schlafen die Zwillinge?«

      »Ganz fest. Ich war ganz leise. Kann ich noch ein bißchen bei dir bleiben?«

      »Fehlt dir etwas, Anneka?« fragte Fee besorgt.

      »Ich mag es nicht, wenn Papi abends zu einem Notfall gerufen wird. Das ist doch nie etwas Gutes.«

      »Es gehört nun mal zum Arztberuf. Er kann meistens helfen.«

      »Aber manchmal nicht, und dann ist er auch traurig.«

      So wird es heute auch sein, dachte Fee. Hoffentlich verliert Frau Gassmann ihr Baby nicht, damit ihr wenigstens etwas bleibt von diesem kurzen Glück.

      Und wieder kamen die Gedanken, warum es so oft gerade die traf, die sich so gut verstanden. Warum mußte überhaupt dieser Terror sein und die Gewalt unter den Völkern?

      »Du denkst viel nach, Mami«, sagte Anneka leise, »ich muß auch viel nachdenken. Warum streiten sich Geschwister oder Eltern mit ihren Kindern? Verstehst du das?«

      »Menschen sind halt verschieden, mein Kleines. Da genügt oft eine Kleinigkeit, ein Mißverständnis, ein falsches Wort, und schon eskaliert der Streit.«

      »Aber man kann sich doch wieder vertragen.«

      »Ja, aber es fällt so manchen auch schwer, den ersten Schritt zu tun.«

      Anneka umarmte sie. »Ich bin so froh, daß ihr nicht streitet und wir über alles reden können.«

      »So soll es auch sein, aber leider machen sich die Menschen das Leben oft selber schwer. Man sollte auch mal in den Spiegel schauen und sich fragen, ob man im Recht ist und auch sagen: Es tut mir leid, wenn man andere verletzt hat.«

      Anneka nickte, Fee bekam noch einen zärtlichen Kuß, dann ging sie hinauf in ihr Zimmer.

      Fee wartete auf Daniel, aber sie mußte noch eine ganze Zeit warten.

      *

      Carola Gassmann war zusammengebrochen, als sie die Nachricht bekommen hatte, daß ihr Mann getötet worden war. Ihre Mutter hatte sich keinen anderen Rat gewußt, als Dr. Norden anzurufen. Sie hatte Angst um Carola und das ungeborene Kind.

      Ihr war es nicht recht gewesen, daß ihr Schwiegersohn diesen Auftrag angenommen hatte. Sie meinte, daß er auch auf andere Weise sein Brot verdienen könne und war bereit, die junge Familie zu unterstützen. Aber das hatte Jürgen nicht gewollt. Er liebte seinen Beruf, und Carola hatte gewußt, daß er auch mal in Gefahrengebiete geschickt wurde. Es müsse ja nichts passieren, hatte sie auch zu ihrer Mutter gesagt, aber nun war es doch passiert.

      Sie war fünfundzwanzig Jahre und seit achtzehn Monaten verheiratet. Jürgen war ein paar Mal in Krisengebieten gewesen, aber immer heil zurückgekommen.

      Sie war als Rechtsanwaltsgehilfin auch während der Schwangerschaft berufstätig. Sie hatte einen sehr netten, rücksichtsvollen Chef. So hatte sie gemeint, daß die Arbeit sie ablenkte, wenn Jürgen unterwegs war.

      Dr. Norden fand sie in einem so desolaten Zustand vor, daß er sie in die Klinik bringen wollte, aber Frau Gassmann meinte, daß sie ihre Tochter auch versorgen könne, wenn der Schock erst mal überwunden war. Sie sei früher ja Krankenschwester gewesen, und für Carola sei es besser, in ihrer gewohnten Umgebung zu bleiben. Sie war eine resolute Frau und sagte auch offen ihre Meinung.

      »Das hätte ja nicht sein müssen, daß Jürgen sich in solche Gefahren begeben hat, ein paar Monate vor der Geburt des Kindes. Aber ich durfte ja nichts sagen. Nun ist sie allein mit dem Baby.«

      »Machen Sie ihr nicht das Herz noch schwerer, Frau Gassmann«, sagte Dr. Norden begütigend. »Ihre Tochter braucht jetzt eine starke Stütze.« Er fühlte den Puls, der sich aber in den letzten zehn Minuten kaum gebessert hatte. Er hatte das Sauerstoffgerät aus seinem Wagen geholt. Damit konnte er ihr helfen und sie in die Wirklichkeit zurückrufen. Sie sah ihn aus leeren Augen an.

      »Jürgen«, schluchzte sie auf, »es darf doch nicht wahr sein! Ich will es nicht glauben! Er kommt wieder, sagt, daß er wiederkommt!«

      In solchen Momenten fühlte sich Dr. Norden hilflos. Wie sollte, wie konnte er da trösten? Dieser Schmerz würde lange anhalten. Er wußte, wie sehr sie ihren Mann liebte.

      »Sie müssen jetzt an das Baby denken, Frau Gassmann,

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