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sein. Ich weiß doch gar nicht, wie es bei mir weitergehen wird, ob ich jemals wieder einen solchen Posten ausfüllen kann. Auch ob ich überhaupt noch fähig bin, mit Mary Ann so zusammenzuleben, wie es zwischen Mann und Frau sein soll.«

      »Wieso hegen Sie daran Zweifel?« fragte Dr. Norden, nun doch erschrocken.

      »Ich liege schon Wochen und Wochen. Die Verletzungen waren schwer, das hat man mir ja wohldosiert beigebracht. Ich bin mit mir selbst unzufrieden, uneins, und neige dazu, alles negativ zu sehen. Dann ist da Mary Ann, die mitten im Leben steht, erfolgreich, beliebt. Sie hat doch alle Chancen, einen anderen Partner zu finden.«

      »Es würde ihr nicht gefallen, daß Sie so denken. Warum machen Sie sich das Leben so schwer?«

      »Weil es schwer ist. Bei mir hat sich alles verändert. Mary Ann ist so, wie sie immer war. Sie kann doch nur noch Mitleid für mich empfinden.«

      »Das stimmt aber nicht. Ich weiß, daß sie Sie liebt und keinen anderen Mann haben will. Sie können so glücklich sein wie früher, Sie könnten Kinder haben, die Frohsinn in Ihr Leben bringen.«

      Simon hob abwehrend die Hand. »Soll Mary Anns Leben auch noch gefährdet werden? Um Himmels willen! Sie wissen doch, wie gefährlich eine Schwangerschaft sein kann.«

      »Wollen wir nicht die Kirche im Dorf lassen, Herr Karsten? Sie haben doch selbst oft genug mit mir darüber gesprochen, daß Ihre Frau sich überhaupt nicht auf die Schwangerschaft einstellte und der Arzt ihres Vertrauens sie nicht warnte, wie schädlich ihre Lebensweise sein könnte.«

      »Ihr Vater hatte ihr diesen Arzt eingeredet, auf mich hat sie nicht gehört. Sie würde sich nicht ans Haus fesseln lassen, war ihr Argument, sie sei jung und wolle etwas vom Leben haben. Ich wäre mehr mit meinem Beruf verheiratet. Ich sollte jetzt nicht mehr darüber reden, aber…«

      »Aber Sie sollten das nicht auf Mary Ann projizieren. Sie hat eine andere Lebensweise und Einstellung. Sie reden davon, daß Sie sie nicht verlieren wollen, aber andererseits sind Sie der Ansicht, daß es zwischen Ihnen nicht mehr so wie früher sein könnte und Sie ihr die Freiheit geben wollen. Das würde Mary Ann ganz gewiß nicht gefallen, und Sie sollten solche Überlegungen besser beiseite lassen.«

      »Ich glaube aber auch nicht, daß Mary Ann Kinder haben will. Ihre Karriere war ihr immer wichtiger.«

      Das Karrieredenken lag ihm wohl schon zu lange im Blut, und wie er sich Sorgen um seine eigene berufliche Karriere machte, meinte er, daß sie auch für Mary Ann eine wichtige Rolle spielte. Man konnte es ihm nicht übelnehmen. Er hatte sich alles aus eigener Kraft erarbeiten müssen, denn er war in sehr bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen. Das erfuhr Dr. Norden auch erst bei diesem Besuch, denn Simons imponierende Persönlichkeit erweckte unwillkürlich den Eindruck, daß ihm diese in die Wiege gelegt wurde.

      »Sie werden meine Einstellung zu Kindern vielleicht besser verstehen, wenn ich Ihnen sage, daß auch meine Mutter bei der Geburt des zweiten Kindes starb. Ich war damals fünf Jahre und habe es miterlebt, weil es sich in der Wohnung abspielte. Wir mußten immer sehr sparen. Mein Vater war Kriegsinvalide und froh, daß er eine Stellung als Hausverwalter bekam. Er mußte hart arbeiten, weil er dauernd für irgend etwas gebraucht wurde. Das spornte schon beizeiten meinen Ehrgeiz an, mich nicht so herumkommandieren zu lassen. Meine Mutter half ihm, wo sie nur konnte, aber sie kränkelte ständig, und meine kleine Schwester lebte dann gerade ein paar Stunden, meine Mutter noch zwei Tage. Es war eine Horrorvorstellung für mich, so was noch einmal zu erleben. Ich hatte Sabine wirklich gern, und es versetzte mich in Panik, als sie die Geburt nicht überlebte. Da schwor ich mir, niemals Kinder haben zu wollen. Jetzt hätte ich nicht mal das Recht dazu, denn was sollten sie mit einem behinderten Vater anfangen.«

      »Mir gefällt es nicht, daß Sie so negativ denken, Herr Karsten. Bedenken Sie auch, was Sie im Leben alles schon erreicht haben. Sie dürfen nicht resignieren, das verdient auch Mary Ann nicht.«

      »Sie verdient nur das Allerbeste. Sie ist eine wunderbare Frau. Sie dürfen mir glauben, daß es ein schrecklicher Gedanke für mich ist, ohne sie leben zu sollen, aber noch schrecklicher wäre der Gedanke, daß sie an meiner Seite unglücklich würde.«

      Dr. Norden spürte, wie zerrissen er war, mit sich selbst nicht fertig wurde und überlegte, wie es ihm ergehen würde, wäre er in seiner Lage. Er hatte schon fast zwanzig Jahre mit Fee gelebt und war für jeden Tag dankbar. Sie war eine wundervolle, anbetungswürdige Frau. Ohne sie würde er sich verloren fühlen. Erst kürzlich hatten sie erlebt, daß eins ihrer Kinder schwer erkrankte und man auf das Schlimmste gefaßt sein mußte. Sie hatten sich beide nie so hilflos gefühlt, aber sie hatten sich aneinander geklammert, sich Mut zugesprochen und für das Leben ihres kleinen Sohnes gebetet.

      Was hätte er jetzt Simon Karsten noch sagen können?

      Er konnte nur hoffen, daß ihm das Augenlicht so bald wie nur möglich wiedergegeben würde und sein Leben wieder in normale Bahnen geriet. Dann würden sich alle Probleme wahrscheinlich von selbst lösen.

      »Halten Sie mich jetzt für einen Feigling, Dr. Norden?« fragte Simon.

      »Nein, für einen Menschen, der sich alles sehr zu Herzen nimmt. Das sah man Ihnen früher nicht an. Aber ich hoffe, daß Sie mit Mary Ann sehr glücklich werden.«

      »Wir waren es«, sagte Simon leise. »Es wäre schön, wenn es wieder so sein könnte.«

      »Dann glauben Sie daran. Vielleicht finden Sie den Glauben, auf der Insel der Hoffnung Heilung zu finden. Da gibt es eine Quelle, die wir die Quelle der Liebe getauft haben.«

      »Glauben Sie auch an Wunder?«

      »Ich habe schon manche erlebt, und Sie sollten auch daran glauben, da Sie leben.«

      Nun hatte Simon wieder Grund, über vieles nachzudenken.

      *

      Mary Ann war sehr gespannt, wie das Gespräch zwischen Simon und Dr. Norden verlaufen sein mochte. Sie lief auf dem Vorplatz der Klinik hin und her, da sie ja wußte, wann Dr. Norden zu Simon gefahren war. Langsam wurde sie unruhig, aber dann kam er doch endlich. Sie kam sich vor wie ein Schulmädchen, das einen Verweis von seinem Lehrer erwartete.

      »Warum schauen Sie mich so ängstlich an, Mary Ann?« fragte Dr. Norden.

      »Sie waren lange bei Simon.«

      »Es war ein gutes Gespräch, das mir manches verriet, was ich nicht wußte und auch nicht ahnen konnte. Die Vergangenheit nagt viel mehr an ihm, als er zugeben will.«

      »Wahrscheinlich weiß ich auch nicht alles. Wenn man glücklich ist, denkt man nicht an das, was zurückliegt. Es war auch nie wichtig für mich, aber jetzt möchte ich auch das mit ihm teilen.«

      »Es erklärt jedenfalls, warum er keine Kinder will.«

      Er ging mit ihr in den Park und erzählte ihr, was er über Simons Eltern erfahren hatte.

      »Ich wußte, daß sie wenig Geld hatten, aber über den Tod seiner Mutter hat er nie gesprochen. Er ist sensibler, als man ihm zutraut, aber ich kenne seine empfindsame Seite und stelle keine Fragen, wenn er nicht von selbst redet.«

      »Einerseits hat er Angst, Sie zu verlieren, andererseits fürchtet er, daß Sie mit ihm unglücklich werden könnten. Er ist hin- und hergerissen.«

      »Das habe ich schon gespürt, aber wenn ich ihm von dem Baby erzähle, könnte das sowieso zur Trennung führen, zumindest auf eine Zeit, denn ich glaube fest daran, daß wir füreinander bestimmt sind. Es könnte ja tatsächlich eintreten, daß ich eine schlechte Phase habe, davor hat er auch Angst.«

      »Ich weiß nicht, welches der richtige Weg ist, aber ich hoffe, Sie werden ihn finden. Er braucht Sie tatsächlich. Hoffen wir, daß mit seinem Augenlicht auch wieder eine positive Einstellung kommt. Haben sich die Zanders mal wieder in Erinnerung gebracht?«

      »Bisher nicht, jedenfalls nicht per Telefon oder wenn ich zu Hause war.«

      Sie begleitete Dr. Norden noch zu seinem Wagen und bedankte sich, daß er sich soviel Zeit für Simon und für sie genommen hatte.

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