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mußte das geschehen?«

      »Wenn ich darauf eine Antwort wüßte. Ich verstehe Ihren Schmerz. Ich finde es schrecklich und unbegreiflich, was da in der Welt geschieht, aber wie könnten wir es verhindern?«

      »Er hätte nicht gehen müssen«, warf Carolas Mutter ein.

      Carolas Gesicht erstarrte.

      »Du verstehst das nicht, du hast ihn nie verstanden.« Da sie es nicht ertrug, daß an ihrem Mann Kritik geübt wurde, erwachte in ihr der Widerstand.

      »Es ist wohl doch so, daß einem überall etwas Schlimmes passieren kann, wenn es einem bestimmt ist. Das hat Jürgen immer gesagt. Hast du dich auch gefragt, warum Papa sich an dem stürmischen Tag ins Auto gesetzt hat, um dann in die Schneewehe zu geraten, Mama? Er hätte das Unwetter doch abwarten können.«

      »Es hat ihn überrascht«, erklärte Marga Gassmann mit gekränkter Miene.

      Indem sie ihren Mann verteidigte, erwachten Carolas Lebensgeister wieder. So schmerzlich der Verlust auch für sie sein mochte, sie wollte es nicht hinnehmen, daß ihre Mutter Jürgen falsches Handeln vorwarf.

      Es war ein hartes Schicksal, aber er hatte dem nicht entfliehen können. Genauso konnte es jeden Menschen treffen im Straßenverkehr, bei einem Spaziergang, durch die Hand von Terroristen. Wieviel tausend Menschen waren in New York gestorben, ahnungslos in welcher Gefahr sie sich an jenem Morgen befanden, und Jürgen war in vielen Krisengebieten gewesen, in denen ihm nichts passiert war.

      »Ich will an unser Kind denken, an meinen kleinen Jürgen«, sagte sie tapfer zu Dr. Norden. »Ich werde ihm erzählen, daß sein Vater ein mutiger Mann mit Prinzipien war. Das wußte ich, als ich ihn geheiratet habe.«

      Und Dr. Norden dachte, daß Marga Gassmann genau das Gegenteil von dem erreicht hatte, was sie mit ihrer Kritik beabsichtigt hatte. Er konnte jetzt einigermaßen beruhigt nach Hause fahren.

      Fee atmete auf, als sie seine entspannte Miene sah. »Sie hat den Schock überwunden«, erklärte er. »Ihre Mutter hat so ein paar Bemerkungen gemacht, die sie aufgerüttelt haben. Auf ihren Mann läßt sie nichts kommen.«

      »Frau Gassmann ist doch eigentlich auch eine nette Frau«, stellte Fee nachdenklich fest. »Aber Schwiegermütter haben wohl meistens ein kompliziertes Verhältnis zu ihren Schwiegersöhnen.«

      »Eigentlich mehr zu Schwiegertöchtern«, meinte Daniel, »aber man muß es ihr nachsehen, sie ist halt besorgt um ihre Tochter. Jetzt wird sie sich zusammenreißen und nichts mehr gegen Jürgen Gassmanns Einsatz sagen.

      »Und wie geht es Simon Karsten?«

      »Mit jedem Tag besser, wie ich hörte. Morgen werde ich ihn besuchen. Mary Ann hält sich tapfer. Sie ist wirklich eine erstaunliche Frau, aber in bezug auf das Baby hat der gute Karsten sie wohl mächtig verunsichert.«

      »Es war ein Schock für ihn, als seine Frau bei der Geburt starb. Aber das gehört wirklich zu den seltenen Fällen, und wie es scheint, hat er jetzt doch seine große Liebe gefunden.«

      »Die er nicht verlieren will. Ich meine nur, daß er jetzt, da er selbst dem Tod ganz schön nahe war, sich auch Gedanken machen wird, daß das Schicksal seine eigenen Gesetze hat.«

      »Zufall und Schicksal sind umstrittene Begriffe. Eine ganze Anzahl Menschen sind der Überzeugung, daß sie selbst über den Ablauf ihres Lebens bestimmen.«

      »Und wenn sie mal vom Blitz getroffen werden oder von einem anderen tödlichen Schlag, wird es ihnen nicht bewußt, daß sie darauf überhaupt keinen Einfluß hatten.«

      »Dieses Thema werden wir niemals ausdiskutieren, mein Schatz. Wir wollen dankbar sein, wenn wir vom Schlimmsten verschont bleiben wie bei Jans Krankheit. Das war für uns auch ein Schock.«

      Ihre Augen füllten sich bei dem Gedanken gleich mit Tränen, und Daniel nahm sie beruhigend in die Arme.

      »Es ist ja gutgegangen, mein Liebes, aber ich meine, daß auch das Pfeiffersche Drüsenfieber für den Kleinen beängstigend genug war. Wir wissen, daß auch Leukämie bei Kindern gute Heilungschancen hat. Man darf die Hoffnung niemals aufgeben, solange ein Herz schlägt.«

      *

      Simon machte sich sehr ernsthafte Gedanken, aber sie gingen in eine andere Richtung, als Daniel und Fee Norden hofften. Er dachte darüber nach, was ihm die Zukunft bringen würde, wenn er blind bliebe. Obgleich ihm Professor Leine erklärt hatte, daß er nicht blind zu nennen sei, hatte er wenig Hoffnung, daß sein Augenlicht wiederkehrte. Er meinte, daß er längst wenigstens Umrisse erkennen müsse, aber es war nur ein leichter Nebel, der sich bei den Untersuchungen bewegte.

      Er dachte an Mary Ann, diese vitale, erfolgreiche schöne Frau, der alle Türen offenstanden. Er konnte nicht erwarten, daß sie ihr Leben auf ihn einstellte, auf alles verzichtete, was ihr wichtig war. Er konnte ihr das Leben an der Seite eines behinderten und zu einem Schattendasein verdammten Mannes nicht zumuten und mußte einen Weg suchen, ihr die Trennung leicht zu machen, wenn es auch noch so schmerzhaft für ihn werden würde. Aber gerade weil er sie so liebte, wollte er, daß sie ein glückliches Leben führen konnte.

      Professor Leine hatte ihm Hoffnung gemacht, aber auch erklärt, daß es lange dauern konnte, bis er ein ganz normales Leben wie früher führen konnte. Und er wußte genau, daß er sich in seiner Position Schwächen gar nicht leisten konnte. Es ging ja nicht um ihn allein, sondern um ein großes Unternehmen mit vielen Angestellten, deren Arbeitsplätze gesichert werden mußten. Die Konkurrenz war knallhart, das hatte er ja kürzlich erst in Tokio erlebt.

      Mary Ann und er hatten sich perfekt ergänzt, privat wie auch im beruflichen. Simon wollte auch gar nicht in Betracht ziehen, daß sie dank ihres Erbes auf ihre berufliche Karriere verzichten würde. Daran dachte sie bestimmt nicht, und ihn wollte sie nur damit aufmuntern, daß sie jetzt Geld genug hätten, um ihn aller Sorgen zu entheben. Aber der Gedanke, sich auf ihre Kosten ein angenehmes Leben zu verschaffen, deprimierte ihn eher.

      So grübelte er stundenlang, wenn sie nicht bei ihm war, wie er es ihr klarmachen konnte, daß er sich so eine gemeinsame Zukunft nicht vorstellen könnte. Aber andererseits war ein Leben ohne sie auch nicht vorstellbar.

      So klammerte er sich dann doch an die Hoffnung, daß er wieder würde sehen können wie früher, eine Position, wie er sie hatte, ausfüllen zu können.

      *

      Mary Ann hatte mit Dr. Norden verabredet, daß sie nicht zur selben Zeit in der Klinik bei Simon zusammentreffen wollten. Sie hoffte, daß Dr. Norden im Gespräch Simons geheime Gedanken erforschen konnte.

      Sie spürte, daß in ihm etwas vor sich ging, worüber er mit ihr nicht sprechen wollte, und sie ahnte sogar, was ihn beschäftigte. Aber da sie ihm auch etwas verschwieg, war sie unsicher.

      Simons Miene hellte sich auf, als Dr. Norden kam. »So sehen wir uns wieder«, sagte er mit einem flüchtigen Lächeln, das eher wie eine Grimasse wirkte.

      »Es tut mir sehr leid, daß wir uns unter solchen Umständen wiedersehen, aber ich bin auch erleichtert, daß Sie sich auf dem Wege der Genesung befinden, Herr Karsten.«

      »Bis auf die Augen, und ich hege Befürchtungen, daß es noch lange dauern wird, bis sich auch das normalisiert.«

      »Wie ich hörte, ist doch Professor Leine sehr zuversichtlich.«

      »Es sind ja nicht seine Augen, aber ich will nicht ungerecht sein. Er gibt sich die erdenklichste Mühe, und jetzt ist ja wenigstens die Verletzung verheilt, die ja wohl schuld hatte an diesem Zustand. Was mich beschäftigt ist die lange Dauer, die auch Mary Ann viel Geduld abverlangt. Hat sie mal mit Ihnen gesprochen?«

      »Sie ist auch sehr zuversichtlich«, erwiderte Dr. Norden ausweichend. »Ihr ist es am wichtigsten, daß Sie leben.«

      »Aber auf die Dauer bin ich doch eine Belastung für sie.«

      »Das reden Sie sich nur ein. Ihr Zustand ändert nichts an der Tatsache, daß Sie einander lieben und zusammenbleiben werden, wie Sie es geplant hatte.«

      »Es

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