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Leben zu etwas.«

      Aufmunternd nickte Paula ihrer geliebten Katja zu. »Wir schaffen das schon! Aber jetzt sollten wir uns um das Kaffeeschirr und das Abendbrot kümmern. Es dämmert schon.«

      Überrascht stellte Katja fest, daß ihre Oma recht hatte. Die Zeit war dahingeflogen, und durch das geöffnete Fenster wehte der frische Abendwind herein. Folgsam erhob sich Katja, um das Geschirr in die Küche zu bringen. Wenn ihr Opa auf einer Geschäftsreise gewesen war, hatte sie sich oft spontan entschlossen, bei Paula zu übernachten. So hielt sie es auch an diesem Abend, und die beiden hatten reichlich Zeit, über Katjas Zukunft zu sprechen. Doch nicht nur darüber dachte Katja nach. Sie hatte einen Gedanken im Kopf, den sie jedoch für sich behielt. Paula sollte noch nichts davon erfahren. Doch auf das überraschte Gesicht, das ihre Oma machen würde, wenn ihr Plan Erfolg hatte, freute sie sich jetzt schon.

      *

      Clemens Heygen wanderte durch sein Haus am Starnberger See und betrachtete sinnend ein Frauenportrait, das an exponierter Stelle direkt über dem modernen Sofa hing. Es zeigte ein junges Mädchen mit langen blonden Haaren und unglaublich blauen Augen, das lachend in einer Blumenwiese stand. Das Bild hatte etwas Altmodisches und wollte nicht so recht zu dem modernen Ambiente des Raumes passen, doch gerade dieser Kontrast machte den Reiz aus.

      »Du hast sie bis heute nicht vergessen, nicht wahr?« Die Stimme seines Sohnes Paul riß ihn aus seinen Gedanken.

      »Ich frage mich oft, was aus ihr geworden ist. Und ich mache mir Vorwürfe«, antwortete Clemens heiser, ohne sich umzudrehen.

      »Warum das denn?«

      »Ich hätte mehr um sie kämpfen müssen«, seufzte er bedrückt. »Vielleicht wäre unser beider Leben dann glücklicher verlaufen.«

      »Es ist gekommen, wie es kommen mußte. Komm schon, alter Knabe, du darfst nicht mit deinem Schicksal hadern«, versuchte Paul Clemens aufzumuntern, was ihm mit seiner saloppen Bemerkung tatsächlich gelang.

      »Wirst du wohl nicht so frech sein zu deinem Vater«, lachte dieser nun. »Selbst die Erziehung meines einzigen Sohnes ist mir völlig mißlungen«, fuhr er dann in gespielter Verzweiflung fort.

      »Das verbitte ich mir«, nahm Paul seinen scherzhaften Ton auf.

      »Ich rauche nicht, ich trinke nicht, ich nehme keine Drogen. Meine Ausbildung zum Bildhauer habe ich erfolgreich absolviert und verdiene mein eigenes Geld. Was bitte ist daran mißraten?«

      »Ich gebe mich ja schon geschlagen.« Clemens hob lachend die Hände zum Zeichen seiner Kapitulation. »Bringst du mir Leinwand aus der Stadt mit?«

      »Juckt es mal wieder in deinen Fingern?«

      »Ich muß Paula malen, wie ich sie mir heute vorstelle.« Wieder wandte er sich dem Bildnis über dem Sofa zu.

      »Mir scheint, heute ist es wieder besonders schlimm«, folgerte Paul seufzend.

      »Es gibt einfach solche Tage, die mich besonders an sie erinnern«, entschuldigte sich Clemens.

      »Warum rufst du sie nicht einfach an? Es kann doch nicht so schwer sein herauszufinden, wie sie heißt und wo sie wohnt.«

      »Ihr jungen Leute stellt euch alles so einfach vor. Soll ich nach sechsundvierzig Jahren einfach vor ihrer Tür stehen, so als wäre nichts geschehen?« Er schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, das geht nicht.«

      »Was hast du denn zu verlieren?« erkundigte sich Paul verständnislos. Er hatte diese Diskussion schon viele Male geführt, immer ohne Ergebnis.

      »Das verstehst du nicht«, wehrte Clemens unwillig ab, um gleich darauf das ihm unangenehme Gespräch in eine andere Bahn zu lenken.

      »Was ist mit meiner Leinwand?«

      »Es kann aber spät werden heute. Nach der Arbeit besuche ich noch Mutsch.«

      »Sag deiner Mutter einen schönen Gruß von mir.«

      »Wird gemacht. Bis dann!« Paul klopfte seinem Vater freundschaftlich auf die Schulter und warf ihm einen aufmunternden Blick zu.

      Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, lächelte Clemens zufrieden. Nachdem er Paula seinerzeit verloren hatte, war Paul das größte Geschenk gewesen, das er erhalten hatte, und er war unendlich dankbar dafür, daß ihm Elisabeth, seine ehemalige Lebensgefährtin und Pauls Mutter, auch nach der Trennung freundschaftlich verbunden geblieben war. So hatte es keine Probleme bei der Betreuung des Jungen gegeben, und Vater und Sohn waren sich nie fremd geworden. Doch dann wanderten seine Gedanken wieder zu Paula. Hätte er sich auch von ihr getrennt? Wie wäre sein Leben mit ihr verlaufen? Nur eines war sicher. Seine berufliche Laufbahn wäre in einer erfüllten Liebesbeziehung nicht halb so erfolgreich gewesen. Jetzt befand Clemens sich am Ende seiner Karriere. Nur noch selten verspürte er, so wie heute, das Jucken in den Fingern, das ihn dazu zwang, einen Pinsel in die Hand zu nehmen, um seine inneren Bilder auf die Leinwand zu bannen. Sollte er Pauls Rat endlich annehmen und versuchen, seinem beständigen Leid, das durch die Trennung von Paula leise aber hartnäckig in ihm schwelte, ein Ende machen? Sollte er versuchen, sie zu finden? Doch was, wenn es nicht gelingen würde? Wenn sie, was das Schlimmste überhaupt wäre, ihn ganz vergessen hatte? Bei diesem Gedanken fühlte sich Clemens nicht wohl in seiner Haut und beschloß, diesen Plan einer reiflichen Prüfung zu unterziehen, falls er ihn tatsächlich in die Tat umsetzen sollte.

      *

      Die Zeit verging, ohne daß Bertram Maslowski sein Versprechen eingelöst hätte, und Katja vergaß ihn bald über ihrem Vorhaben. Mit Feuereifer machte sie sich daran, alle Informationen über Clemens Heygen zu sammeln, die sie finden konnte. Da er es inzwischen zu einem gewissen Ruhm gebracht hatte und Kenner seine Werke sehr schätzten, war es ein Leichtes, viel über seinen Werdegang zu erfahren. Katja frohlockte, als sie in einem alten Ausstellungskatalog nachlesen konnte, daß Heygen einen Sohn hatte, aber nicht verheiratet war.

      Schwieriger gestaltete sich die Suche nach der Adresse, doch Katja war erfinderisch genug, um auch daran nicht zu scheitern. Da sie herausgebracht hatte, in welchem Stadtteil von Starnberg Clemens Heygen lebte, setzte sie sich eines Tages kurzerhand in den Zug, um dorthin zu fahren. Trotzdem war es ein schwierigeres Unterfangen, als sie gedacht hatte. Erst nach Stunden des Umherwanderns fand sie ein hinter hohen Sträuchern verborgenes, unscheinbares Haus mit großen Fenster. Um ein Haar wäre sie in Jubel ausgebrochen, als sie auf einem silbernen Türschild den Namen Heygen las, doch schnell machte die Freude einer gewissen Anspannung Platz. Katja überlegte einen Moment. Ihre Gedanken waren immer nur bis hierher gegangen.

      Unschlüssig stand sie vor dem Tor, doch dann gab sie sich auf einmal einen Ruck, strich sich das Haar glatt und drückte entschlossen auf den Klingelknopf. Nichts geschah. Schon wollte sie sich, halb enttäuscht, halb erleichtert, abwenden, als die Sprechanlage zu knacken begann.

      »Hallo, wer ist da?« fragte eine jugendliche Stimme, unterbrochen von heftigem Rauschen.

      »Sie kennen mich nicht. Mein Name ist Katja Petzold. Ich bin die Enkelin von Paula von Steinert.«

      »Und was wollen Sie?« Pauls Stimme klang ungeduldig. Katja hatte ihn aus seiner Arbeit gerissen, was ihn immer ärgerlich machte.

      »Ich möchte mit Clemens Heygen sprechen. Es ist sehr wichtig.«

      »Das sagt jeder. Er ist nicht da. Soll ich was ausrichten?«

      Katja wollte schon enttäuscht abwehren, als Paul plötzlich einlenkte. »Sagten Sie vorhin Paula?« fragte er etwas freundlicher noch einmal nach.

      »Ja.« Katja war verwirrt.

      »Bitte warten Sie einen Moment. Ich bin sofort bei Ihnen!« Auf einmal war er aufgeregt wie ein Teenager bei seiner ersten Verabredung. Die Enkeltochter von Paula war hier und suchte nach Clemens. Paul konnte sein Glück gar nicht fassen. Er suchte hektisch nach seinen Slippern, denn er hatte barfuß am Schreibtisch gesessen, um an einem Entwurf für eine Skulptur zu arbeiten, schlüpfte ungelenk hinein und hastete durch den Garten zum Tor.

      Dort stand Katja und nestelte nervös an ihrer Handtasche. Als sich ihre Blicke trafen,

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