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mir enorm.«

      »Warum denn?« fragte Katja gebannt.

      »Er sah nicht etwa besonders gut aus, aber er hatte ein offenes, sympathisches Gesicht und eine lässige Art. Offenbar gefiel ich ihm auch. Ich war damals ein hübsches, blondes Mädchen mit den blauesten Augen weit und breit. Statt mir große Komplimente zu machen, holte er seinen Skizzenblock hervor und skizzierte mich. Es war nur eine einfache Zeichnung, trotzdem war die Ähnlichkeit verblüffend. Er hat sie mir geschenkt, nicht ohne vorher ein Datum und einen Treffpunkt darauf zu schreiben.«

      »Hast du die Zeichnung noch?«

      »Leider nicht. Sie ist Eduard eines Tages zufällig in die Hände gefallen und er hat sie mit einem verächtlichen Blick ins Feuer geworfen.«

      »Bist du ihm nicht sofort an den Hals gesprungen?« Katja war entsetzt.

      »Nichts hätte ich lieber getan als das«, gestand Paula seufzend. »Aber dann hätte ich mein Geheimnis preisgegeben, und das wollte ich nicht.«

      »Was geschah weiter? Hast du dich mit Clemens getroffen?«

      »Natürlich! Wir verstanden uns auf Anhieb gut und hatten Gesprächsstoff für Stunden. Nach der ersten Verabredung sahen wir uns, so oft es ging. Aber immer nur heimlich. Meine Eltern durften nichts davon erfahren, denn zu der damaligen Zeit schickte es sich nicht für ein Mädchen aus gutem Hause, sich mit einem Künstler zu treffen.«

      »Keine Sorge, das ist heute noch genauso.«

      »Wie bitte?« Paula traute ihren Ohren nicht. »Ich dachte, ihr wachst völlig zwanglos und unbeschwert von solchen Dingen auf.«

      »Oma, ich bitte dich, du solltest Mam doch am besten kennen.«

      »Ach ja, deine Mutter. Sie ist ihrem Vater sehr ähnlich, obwohl sie es nicht wahrhaben will. Aber je älter sie wird, desto weniger kann sie es leugnen. Eines Tages wird sie genauso verbiestert und verhärmt sein wie Eduard.«

      »Das dauert nicht mehr lange. Aber wie geht deine Geschichte weiter?«

      »Wo war ich stehengeblieben?« Paula grübelte einen Moment. »Ach ja, die heimlichen Treffen. Es kam, wie es kommen mußte, Clemens und ich wurden von meiner Mutter erwischt. Ausgerechnet, als wir uns das erste Mal küßten. Starr vor Schreck nahm sie mich an der Hand und zog mich hinter sich her nach Hause. Als ich mich umwandte, stand Clemens an derselben Stelle. Er sagte kein Wort, doch seinen Blick werde ich nie vergessen.« Paula zögerte einen Moment, bevor sie weitersprechen konnte. »Daheim mußte ich meinen Eltern Rede und Antwort stehen. Sie waren außer sich vor Zorn, daß sich ihre Tochter, die Alleinerbin eines Millionenunternehmens, heimlich mit einem Maler traf. Obwohl ich an mehreren Abenden hörte, wie Clemens bei meinem Vater vorsprechen wollte, sah ich ihn nie wieder. Ich wurde kurz darauf für sechs Wochen zu Verwandten aufs Land geschickt, bis meine Eltern einen geeigneten Bräutigam für mich gefunden hatten.

      »Eduard von Steinert«, sagte Katja tief betroffen. »Es tut mir so leid, Oma, das habe ich nicht gewußt. Kein Wunder, daß du froh bist, ihn endlich los zu sein.«

      »Wenn er mich wenigstens gut behandelt hätte, wäre mein Schicksal für mich leichter zu ertragen gewesen. Aber selbst das war mir nicht vergönnt. Mein Leben mit Edi war ein einziger Kampf. Die einzige Genugtuung, die ich mir verschaffen konnte, war die Tatsache, daß er nichts von meiner heimlichen Liebe wußte. Das war der einzige Bereich, auf den er keinen Einfluß hatte.«

      »Haben deine Eltern nichts gesagt?«

      »Nein, meine Eltern haben das Geheimnis mit ins Grab genommen, und ich habe Clemens in meinem Herzen verschlossen. Dort ist er bis heute.«

      »Und du hast nie versucht, ihn wiederzusehen?« fragte Katja ungläubig.

      »Ach, Kind, ich bin ein realistischer Mensch. Sieh mal, Clemens war acht Jahre älter als ich, also siebenundzwanzig. Zu der damaligen Zeit waren die Männer in diesem Alter längst verheiratet und hatten Kinder. Ich war mir sicher, daß sich Clemens bald trösten würde. Außerdem hatte ich einen Ehemann, der fünfzehn Jahre älter war als ich und eifersüchtig über mich wachte.«

      »Und er? Hat er versucht, Kontakt mit dir aufzunehmen?«

      »In den ersten Jahren unserer Ehe war das unmöglich. Eduard und ich haben einige Zeit im Ausland verbracht, bevor wir hierher zurückkamen. Wenn Clemens in dieser Zeit versucht hat, mich zu finden, so hätte ich es nie erfahren.«

      »Weißt du, was aus ihm geworden ist?« Katja wirkte unendlich traurig, und Paula wunderte sich sehr, warum ihre Enkelin so betroffen war.

      »Vor einigen Jahren habe ich zufällig einmal den Ausstellungskatalog einer Kunsthalle in die Hände genommen. Darin abgebildet war ein immer noch interessanter, älterer Herr neben seinen Werken. Es war Clemens Heygen.«

      »Er hat also tatsächlich Erfolg mit seinen Bildern gehabt. Warum nur hat er keine Chance von deinen Eltern bekommen?«

      »Künstler hatten damals ein anderes Image als heute. Sie wurden als Tagediebe betrachtet, als arbeitsscheu und lernfaul. Nicht so wie heute, wo bereits die Studenten an der Kunstakademie zahlreiche Bewunderer haben.«

      Zwischen den beiden Frauen entstand ein langes Schweigen, das Katja schließlich durchbrach.

      »Ich kann es dir so gut nachfühlen, Oma. Mir geht es ähnlich, wie es dir damals ergangen ist«, erklärte sie leise.

      »Erzähl es mir, mein Kind. Solange ich lebe, werde ich zu verhindern wissen, daß dir dasselbe Los zuteil wird wie mir«, forderte Paula ihre Enkeltochter grimmig auf.

      »Er heißt Claudio und ist Italiener«, begann Katja stockend.

      »Moment, laß mich weitererzählen«, bat Paula. »Du hast ihn auf dem Münchener Marienplatz kennengelernt, als er dich nach dem Weg zum Hofbräuhaus fragte. Ihr habt euch wiedergesehen und ineinander verliebt. Und jetzt steht deine Mutter Kopf vor Sorge, daß du schwanger werden und unter deinem Stand heiraten könntest.«

      Paulas leidenschaftliche Ausführung entlockte Katja ein Lächeln.

      »Also, das mit dem Hofbräuhaus stimmt nicht, ich hab’ ihn letztes Jahr in Rom kennengelernt und bei der Abifahrt vor zwei Monaten wiedergesehen.«

      »Rein zufällig, versteht sich«, schloß Paula augenzwinkernd.

      »Nein, natürlich nicht.«

      »Das war doch nur ein Scherz. Denk nicht, nur weil ich inzwischen eine alte Schachtel bin, verstehe ich nichts mehr von der Liebe. Ich gehe mit offenen Augen durch die Welt, und außerdem habe ich eine blühende Phantasie. Du bist doch nicht schwanger?«

      »Aber Oma, wie soll man denn durchs Telefon schwanger werden?«

      Trotz aller Sorgen mußte Katja laut lachen.

      »Schön, wenn du wieder einmal lachst, mein Engel«, stellte Paula zärtlich fest. »Das habe ich in letzter Zeit wirklich vermißt.«

      »Wenn ich dich nicht hätte«, raunte Katja und kuschelte sich eng an ihre Großmutter.

      »Und ich dich nicht! Nicht auszudenken. Wir stünden beide ziemlich auf verlorenem Posten, nicht wahr? Aber jetzt schmieden wir beide einen Plan, wie wir deine Eltern austricksen.

      Was sagte eigentlich dein Vater dazu?«

      »Paps hält sich aus solchen Sachen raus. Ich glaube, Mam geht ihm ziemlich auf die Nerven. Aber das Schlimmste hab’ ich dir noch gar nicht erzählt«, erklärte Katja leise.

      Paula zuckte zusammen.

      »Was ist noch?«

      »Ich habe einen steinreichen Verehrer, den sich Mam offenbar als Schwiegersohn auserkoren hat.«

      »O Gott, ist es tatsächlich möglich, daß sich solche Geschichten wiederholen?«

      »Keine Bange, ich werde schon dafür sorgen, daß das nicht geschieht«, antwortete Katja auf einmal entschlossen. Eine Idee war ihr durch den Kopf geschossen. »Und wenn ich abhauen muß...«

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