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Die Rechtsprechung des BVerfG billigt der Unschuldsvermutung gleichwohl Verfassungsrang zu und sieht in ihr eine Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG);[256] darüber hinaus werden Verbindungslinien zum Grundsatz des fairen Verfahrens und zur Menschenwürdegarantie gezogen.[257] Zur Begründung des zu der objektiv-rechtsstaatlichen Dimension hinzutretenden subjektiv-grundrechtlichen Charakters der Unschuldsvermutung greift das Gericht zusätzlich auf Art. 2 Abs. 1 GG zurück.[258] Da die EMRK und die Rechtsprechung des EGMR als Auslegungshilfen bei der Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes zu berücksichtigen sind,[259] lässt sich der Inhalt der Unschuldsvermutung in Anlehnung an den Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 EMRK dahingehend konkretisieren, dass jede Person, die einer Straftat beschuldigt wird, bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig gilt und entsprechend zu behandeln ist.[260] Damit wird zunächst deutlich, dass die Unschuldsvermutung eine zeitliche Dimension aufweist, die wiederum eng mit dem im vorangegangenen Abschnitt erörterten Prinzip verknüpft ist, dass keine Strafe ohne Schuld verhängt werden darf. Ein „gesetzlicher Nachweis der Schuld“ i.S.d. Art. 6 Abs. 2 EMRK ist überdies nur möglich, wenn dem Beschuldigten ein justizförmig geordnetes Verfahren gewährt wird, in dem die Wahrung seiner Grundrechte wirksam sichergestellt wird.[261] Zugleich wird der Gehalt der Unschuldsvermutung als Abwehrrecht des Beschuldigten betont, dem das Recht zusteht, sich in einem rechtsstaatlichen und fairen Verfahren gegen die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu verteidigen.[262] Berührungspunkte weist die Unschuldsvermutung auch zum Zweifelssatz („in dubio pro reo“) auf, der jedoch – anders als die Unschuldsvermutung – nicht auf das gesamte Strafverfahren ausstrahlt, sondern erst nach dem Abschluss der tatrichterlichen Beweiswürdigung zur Anwendung gelangt.[263] Mit dem vorstehend skizzierten Charakter eines das gesamte Strafverfahren prägenden Ordnungsprinzips ist es im Übrigen nicht vereinbar, Relativierungen des Geltungsgrades in Abhängigkeit von der Schwere des Tatverdachts zuzulassen[264] – die Unschuldsvermutung ist stets und in vollem Umfang zu beachten, solange der staatliche Strafanspruch noch nicht durch die rechtskräftige Feststellung der Täterschaft entstanden ist.[265] Ihre Geltung endet erst mit dem Eintritt der Rechtskraft der Verurteilung.[266]

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