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machte sich bemerkbar. Sie traf kaum. Ihr Bruder ließ sie so lange schießen, bis sie einen Kopfschuss landete. Das war um drei Uhr nachts.

      Vollkommen übermüdet fiel sie ins Bett. Schlafen konnte sie jedoch nur kurz, da drei Stunden später bereits ihr Wecker unnachgiebig klingelte. Sie quälte sich hoch und machte sich für die Schule fertig. Es war alles wie früher. Niklas fuhr sie zur Schule und holte sie auch wieder ab. Es fühlte sich ein bisschen wie ein Gefangenentransport an.

      »Halt dich von diesen Monstern fern!«, forderte ihr Bruder, als sie aus seinem Wagen stieg.

      Sie hatte sich gestern Schreckliches anhören müssen, da zu ihren Eltern gedrungen war, dass sie sich in der Schule nicht von Liam getrennt hatte, sondern die Beziehung ganz offen weiterführte. Sie wusste nicht, wer diese Information an ihre Familie herangetragen hatte, aber es konnte jeder sein. Die Kleinstadt hatte sich in zwei Lager gespalten. Einige standen hinter den Bernauers, doch viele vertraten die Ansicht der Kramers, dass Hexen verabscheuungswürdige, unnatürliche Kreaturen waren.

      Violett betrat das Schulhaus. Die Leute starrten sie an. So recht schien niemand auf ihrer Seite zu stehen. Manche beschimpften sie als Hexenjägerin, andere nannten sie eine Verräterin an ihrer Familie. Doch die meisten ignorierten sie, da sie wohl nicht wussten, wie sie mit ihr umgehen sollten.

      Wie jeden Tag wartete Liam vor ihrem Klassenraum. Sie fielen sich in die Arme. Sie konnten nur in der Schule miteinander reden, da Violetts Eltern ihr Handy eingezogen hatten. Sie glaubten, so könnten sie den Kontakt zwischen den beiden unterbinden.

      »Wie geht es dir? Du siehst müde aus.« Liam betrachtete sie besorgt.

      »Mein Bruder hat mich erst schlafen lassen, als ich gut genug geschossen habe. Ich habe zu viel verlernt«, berichtete sie, gähnte demonstrativ und ergriff seine Hand. Es fühlte sich unfassbar gut an, sich an ihm festhalten zu können.

      »Ich hasse diesen Arsch. Warum kannst du nicht einfach wieder zurück zu uns kommen?«, beschwerte Liam sich.

      Violett verzog das Gesicht. Entweder war er schrecklich naiv oder es handelte sich nur um eine rhetorische Frage. Dennoch entgegnete sie: »Weil meine Familie dumm genug wäre, euch den Krieg zu erklären. Ich weiß, dass ihr gute Chancen gegen die vier hättet, aber mein Vater hat zahlreiche Cousinen und Cousins. Außerdem erwähnte meine Mutter gestern irgendeine Tante, die ich zwar nicht kenne, aber ich zitiere: Sie würde das ganze verdammte Anwesen dem Erdboden gleichmachen und sich Sigmars Kopf als Trophäe in die Vitrine stellen. Frag nicht! Ich verstehe es auch nicht. Das wäre ein blutiger Kampf. Wir sind nicht Romeo und Julia. Ich will nicht, dass wegen unserer Beziehung Menschen sterben.«

      Liam nickte traurig. »Ich weiß nicht, was deine Eltern so schlimm an uns finden. Was ist an Hexen auszusetzen? Ich würde es ja verstehen, wenn wir wie Fiona und ihre neuen Freunde wären, aber wir töten doch niemanden. Wir nutzen unsere Magie ausschließlich für Gutes. Wieso können sie das nicht akzeptieren?«

      »Weil ihr Weltbild im sechzehnten Jahrhundert stehen geblieben ist. Hast du eigentlich mal wieder etwas von Fiona gehört?«, fragte Violett. Sie war neugierig. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass dieses nette Mädchen sich einfach so einer Gruppe von Serienmördern angeschlossen hatte, ohne an ihre Familie zu denken.

      Liam schüttelte den Kopf und wirkte fast etwas traurig. »Ich verstehe nicht, wie das geschehen konnte. Zu Hause gibt es immer wieder Streit, wer schuld ist und wer es hätte sehen müssen. Logan hat mir sogar erzählt, dass sie einen Trank an ihm ausprobiert hat. Ich habe von all dem nichts bemerkt. Wieso bin ich da scheinbar der Einzige?«

      Violett lächelte halbherzig. »Du warst wahrscheinlich zu sehr mit mir beschäftigt, aber was hätte es geändert, wenn du es gewusst hättest?«

      »Ich hätte es verhindern können«, stellte Liam klar und seine Augen leuchteten voller Tatendrang. Er sprühte vor Motivation und falscher Hoffnung.

      Violett lachte bitter auf: »Du glaubst, du hättest das getan? Sei bitte ehrlich zu dir. Was hättest du gemacht, wenn du so ein Buch bei ihr gefunden hättest? Hättest du sie bei Aurora verpetzt?«

      »Ja!«, beteuerte Liam, doch von Violetts zweifelnden Blicken durchbohrt gab er zu: »Vermutlich nicht!«

      Violett lächelte sanft. »Eure Familie muss endlich aufhören, die Schuld hin und her zu schieben. Ihr könnt nichts dafür! Es ist normal, manchmal die Augen zu verschließen, anstatt bei jeder falschen Handlung sofort das Schlimmste vom Gegenüber zu erwarten. Das ist Selbstschutz!«

      »Erzähl das mal Zoe, der blöden Ziege!«, beschwerte sich Liam beinahe etwas trotzig.

      Violett drückte seine Hand tröstend. »Sie macht ebenfalls eine schwere Zeit durch. Zeig etwas Nachsicht. Sie und Fiona waren wirklich gute Freundinnen. Sie kann es sicher einfach nicht ertragen!«

      Das schien Liam zu überzeugen, doch er wollte Zoe dieses Verhalten dennoch nicht durchgehen lassen.

      Durch die Gänge hallte das Vorklingeln.

      »Ich muss dann mal. Wir sehen uns in der nächsten Pause.« Liam seufzte und küsste seine Freundin zum Abschied, bevor er aus dem Zimmer eilte.

      »Wie macht ihr das? Er ist ein Hexer, du eine Hexenjägerin. Eure Familien müssen sich doch hassen. Ich verstehe echt nicht, wieso du dir das antust. Ich würde mir an deiner Stelle einen normalen Freund suchen«, gab eine Mitschülerin Violett dreist ungefragt einen Rat. Sie saß mit überschlagenen Beinen auf dem Tisch und kaute deutlich sichtbar Kaugummi. Sie fühlte sich wohl furchtbar cool, dabei wirkte sie nur wie eine Kuh auf der Weide.

      »Wieso sollte ich den einfachen Weg wählen, wenn ich Liam liebe und es sich lohnt, für ihn zu kämpfen? Ich bin mit ihm sehr glücklich. Die Beziehung verbessert mein Leben enorm. Außerdem sind die Bernauers mittlerweile sehr nett zu mir«, stellte Violett klar. Ihre Stimme war lauter, als sie es eigentlich gewollt hatte. Es waren einfach zu viele Emotionen, mit denen sie zu kämpfen hatte.

      Das Mädchen verzog spöttisch das Gesicht, als hätte sie damit etwas bewiesen. »Du willst mir doch nicht wirklich erzählen, dass du glücklich bist, obwohl du zwischen den Fronten stehst.«

      »Glücklicher, als wenn ich mich von meinem Bruder beherrschen lassen muss«, widersprach Violett, obwohl sie sich eingestehen musste, dass sie schon wieder in alte Muster verfiel. Ihr Bruder hatte bereits mehr Macht, als sie es hatte zulassen wollen.

      Nach der Stunde verließ sie allein das Klassenzimmer. Sie wollte nach Liam und Logan suchen.

      Auf dem Weg lief sie an Faith und Ben vorbei. Violett beließ es bei einer knappen Begrüßung. Zwischen den beiden kriselte es. Ben schien von der Hexensache nicht sonderlich begeistert zu sein, aber er hatte die Beziehung immerhin noch nicht beendet. Vielleicht würde er sich irgendwann daran gewöhnen, dass seine Freundin eine Hexe war.

      Auch mit Abigail wollte Violett nicht sprechen. Seit Fiona weg war, wurde Abigail immer zickiger und versuchte zwanghaft, cool zu wirken. Violett empfand es als äußerst lächerlich, doch überraschenderweise kam es bei ihrem Jahrgang spitzenmäßig an. Die meisten schienen sogar zu vergessen, dass Abigail auch eine Hexe war. Vielleicht sahen sie auch darüber hinweg, weil das Verlangen nach Klatsch und Tratsch die Angst übertrumpfte. Abigail stellte die perfekte Insiderin dar und diese Karte spielte sie geschickt aus. Sie verbreitete ein Gerücht nach dem anderen über Fiona.

      Endlich fand Violett Logan und Liam.

      »Wie war deine Stunde?«, fragte Liam und umarmte seine Freundin.

      »Die Leute sind wie üblich komisch zu mir«, gab Violett traurig zu.

      »Frag uns mal. Manche Leute hier schauen uns an, als wären wir Aliens«, beschwerte sich Logan und ließ seinen Blick schweifen.

      »Komm, das ist nicht fair. Es gibt auch Leute, die auf unserer Seite sind. Jessica, Simon und Markus verteidigen uns immer«, erinnerte ihn sein Zwilling und relativierte damit Logans Pessimismus.

      Der wies Liam jedoch darauf hin, dass die drei sich mehr für Zoe einsetzten, die Logan für eine dämliche Ziege hielt.

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