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§4253. Nathalie D. Plume
Читать онлайн.Название §4253
Год выпуска 0
isbn 9783754188163
Автор произведения Nathalie D. Plume
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Die Zerstörung, die durch das Einbrechen des oberen Flurs entstanden ist, hat ein weitaus größeres Ausmaß, als Felix es zunächst angenommen hat. An vielen Stellen sind die Flammen durch die Wucht der Erschütterung und des Einknickens der Trägerbalken ausgedrückt worden, an anderen Stellen haben die Flammen durch das neu errungene Brennmaterial aber angefangen sich immer weiter aufzubäumen und an manchen Stellen lecken sie bereits an der Decke und zwingen Felix in die Knie. Manchmal will er aufgeben, will umkehren, weil die Luft zu heiß, die Flammen zu groß oder der Weg versperrt ist. Jedoch jedes Mal, wenn Felix sich einreden will, dass es okay ist umzukehren, dass er alles in seiner Macht Stehende getan hat, dass er hilflos ist gegenüber den Bergen aus Schutt, die sich im gesamten Flur erstrecken, jedes Mal hört er dann ein Knacken, ein Säuseln oder ein Brodeln, was ihn weitersuchen lässt, das ihm die Kraft gibt einen weiteres Trümmerteil hochzustemmen oder durch die nächste Flammenwand zu springen. Immer wieder ruft er den Namen seines Freundes in die Dunkelheit hinein, schreit die Flammen an, die versuchen an ihm zu züngeln, bis seine Kehle heiser ist, bis er kaum noch einen Ton über seine Lippen bringen kann. Doch egal wo er sucht und egal wie laut er schreit, nirgendwo erscheint ein Lebenszeichen. Hier ist niemand. Langsam tropft die Erkenntnis in Felix’ erschöpfen Körper. Hier ist niemand mehr; selbst wenn es hier jemanden gegeben hat, kann er dem Einsturz der Decke, den tonnenschweren Stahlträgern und Betonteilen, den lodernd heißen Flammen und der brennenden, rußigen Luft kaum lebend entkommen sein. Erschöpft lässt er sich auf einen Holzbalken fallen, der zwischen zwei Türrahmen klemmt. Er reibt sich die trockenen Augen und wischt sich mit dem schweißnassen Ärmel seines Overalls den Ruß aus dem Gesicht. „Er ist tot“, flüstert er in die Dunkelheit des Flurs hinein. In der Ferne kann er das Knacken des Feuers hören. „Er ist tot“, ruft er ein wenig lauter, doch seine Stimme kann sich über die Lautstärke der Flammen nicht erheben. Er ruft es wieder und wieder, aber es scheint, als würden die Flammen jedes Mal lauter knacken, wenn er seine Stimme erhebt, fast so, als wollten sie nicht, dass dieser Satz die Mauern der Fabrik verlässt.
Nach einer Weile erhebt er sich, streift sich mit den Händen über seine Oberschenkel, ballt die Hände zu Fäusten, um sich zu fassen und will gerade den Weg raus aus der Hölle suchen, als er mit seinen Schuhen auf etwas Weiches tritt. Erschrocken fährt er zurück, stolpert über den Holzbalken und fällt rücklings über ihn hinweg. Für einen Moment rotieren seine Gedanken. Was war das? Wahrscheinlich nur ein Schwamm oder ein Poliertuch aus der Lackiererei oder es könnte ... Felix rappelt sich wieder auf, krabbelt auf allen Vieren über den Holzbalken und tastet in der Dunkelheit nach der Stelle, an der sein Fuß zuvor gestanden hat. Seine Finger ertasten den weichen Gegenstand, es kostet ihn viel Überwindung das raue, warme Stück abzutasten, doch als er begreift, was seine Finger da gefunden haben, fährt ihm ein Schauer durch den ganzen Körper. „Paul, Paul, Paul bist du das?“ Keine Antwort. Ohne sich davon beirren zu lassen, springt Felix auf, reißt einen großen Holzspalt aus dem Balken, auf dem er zuvor gesessen hat, und rennt, so schnell es die Umstände zulassen, den Flur zurück, den Flammen entgegen. Hustend und würgend erreicht er das Feuer und schaudert bei dem Anblick. Die Flammen haben sich viel weiter vorgearbeitet und lassen den Flur zu einem Flammenmeer werden. Felix schüttelt den Kopf – egal, dies war ein Problem, das er später lösen muss. Hektisch hält er den Holzspalt in die Flammen, die auch sogleich gierig an ihm lecken. Mit dem brennenden Spalt rennt er zu der Stelle zurück, an der er seine Entdeckung gemacht hat. Das Licht der improvisierten Fackel zeichnet gespenstische Schatten an die schwarzen Wände. Am Holzbalken angekommen rammt er die Fackel in den Schutt und beugt sich zu der weichen Entdeckung herunter. Felix fixiert mit seinen Augen die Hand, die vor ihm liegt. Nervös fingert er nach dem Puls. Bubum, bubum, bubum. Er ist sehr schwach, aber dennoch spürbar. Die Hand ist riesig, keine Frage, das kann kein anderer sein. Im Licht der Flammen erkennt er nach und nach den Rest seines Freundes. Er liegt mit dem Gesicht nach unten, bäuchlings auf dem Boden, seine Arme hat er von sich gestreckt. Nach der ersten Erleichterung, seinen Freund doch noch lebend gefunden zu haben, erblickt Felix schon die nächste Hürde, die vor ihm liegt. Vorsichtig tastet er den großen Holzbalken ab, der quer über seinem Freund liegt. Er ist groß und wuchtig, viel zu wuchtig, als dass Felix ihn ohne Hilfe heben könnte. Eine brodelnde Hitze steigt in ihm auf, sie macht sich in seinem Brustkorb breit und steigt seine Kehle nach oben, bis hin zu seinem Kopf. Felix drückt seine Handflächen gegen die Schläfen, er drückt so fest er kann, um seinem Kopf Ruhe zu gebieten, aber das laute Pochen, die Hitze und das Gefühl sein Schädel könne bersten, lassen ihm keine Ruhe. Was soll er nur tun? Es scheint auf einmal weitaus schlimmer zu sein, seinen Freund zwar gefunden zu haben, ihn dann aber lebend zurücklassen zu müssen, als ihn einfach nie zu finden.
Es kommt Felix wie eine Ewigkeit vor, es ist wie ein halbes Jahrhundert, die Zeit, in der er in einem dunklen, halb zerstörten Flur steht, seinen Kopf zwischen den Händen hält, die Hitze zu spüren, die in ihm brodelt, die Angst Paul zurücklassen zu müssen und ja, auch die Angst selber zurückzubleiben. Diese eine Szene ist es, die Felix immer wieder verfolgt, wenn er nachts hochschreckt, wenn er an einer Tankstelle den Zapfhahn in den Tank hält oder wenn er mit seiner Familie den Sonntagskrimi schaut. Diese Szene voller Verzweiflung und Angst, nicht der Tote, den er geborgen hat, nicht der Holzsplitter in seiner Schulter, sondern dieser Moment, in dem alles so weit weg, alles so verloren scheint, der ist es, der ihn immer wieder einholt.
Auch eine Ewigkeit hat mal ein Ende und so hört Felix es plötzlich, so, als wäre es schon immer da gewesen, ein leises fast überhörbares Klopfen. Leise, aber dennoch kontinuierlich. Es kommt von weiter hinten im Flur, aus dem Teil, den Felix noch nicht erkundet hat. Felix kneift die Augen zusammen, kann durch den dicken Rauch im Flur aber nichts sehen. – Okay Felix, egal, du schaffst das, auch ohne etwas zu sehen.– Zitternd schließt er die Augen ganz, konzentriert sich nur auf seine Ohren und auf das Geräusch, das, als er sich nähert, immer deutlicher wird. Mit einem leichten Ruck stoßen seine Schienbeine gegen eine große Betonplatte. Vorsichtig und bedacht bückt er sich und greift ein wenig unsicher, aber bestimmt unter die Platte. Er ertastet Metall, es ist warm und bewegt sich in seiner Hand wie eine Schlange. Mit einem kräftigen Zug zieht Felix es aus seinem Versteck. „Oh, Herr Felix Mending, haben Sie den Feueralarm gehört? Ich glaube wir sollten evakuieren, soll ich die Feuerwehr rufen?“ Felix schüttelt seine Entdeckung. „Ja, es brennt, aber hey, scheiß doch auf die kack Feuerwehr, die kommen jetzt auch zu spät!“, erwidert er niedergeschlagen dem kleinen Roboter. „Herr Felix Mending, das ist eine zutiefst negative Äußerung, ich kann Sie gerne an unseren Haustherapeuten weiterleiten, wenn Sie es wünschen?“ Felix schüttelt den kleinen Kerl kräftiger. „Nein, nein ist schon gut, aber hey“, keimt in Felix eine Idee auf, „wie viel kannst du heben? Wie viel Gewicht meine ich?“ Der Roboter deutet auf das zerschlagene Display in seinem Greifer. „Mein maximales Stemmgewicht liegt bei zehn Kilo, das ist das Doppelte meines Eigengewichts, Herr Felix Mending.“ Die Wolke der Hoffnung zerplatzt so schnell, wie sie gekommen ist. Egal. Er muss es versuchen, welche Wahl hat er denn auch? Flink packt er den kleinen Roboter. Die improvisierte Fackel ist mittlerweile nur noch ein glühendes Stück Glut, aber Felix braucht seine Augen nicht für das, was er vorhat. Hektisch klemmt er die Greifarme des Roboters unter den Holzbalken, der noch immer schwer auf seinem Freund liegt, gibt dem kleinen Kerl die Anweisung zu heben und stemmt dann selbst die Beine in den Boden, um den Balken zu heben.
Wer weiß, wie viel der kleine Roboter am Ende wirklich half den Balken zu bewegen, aber das ist in diesem Moment nicht wichtig; wichtig sind die Hoffnung und der Schein der Unterstützung, die Felix dazu bringen den Balken in die Höhe zu stemmen. Er wendet alles auf, was er an Kraft in sich trägt, er lässt die Hitze und das Pochen raus aus seinem Kopf, in seine Arme und Beine laufen und stemmt den Balken von seinem Freund hinunter.
In dem Moment, als der Balken sich von Paul gelöst hat, atmet er gierig die Luft ein, nur um danach so heftig zu husten, dass Felix schon denkt, dass er ersticken muss. Aber