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Stillen bricht auch diese und Jalma erhebt sich vorsichtig vom Sofa, schreitet über die Bücher hinweg zum Schreibtisch und schaltet die Schreibtischlampe an. „Bleib nicht mehr so lange Nikolas und arbeite nicht im Dunkeln, das strengt die Augen zu sehr an.“ Der zerzauste Mann kneift die Augen fest zusammen und schirmt mit der freien Hand das Licht ab. Jalma, die sich auf eines der Bücher stehend zu ihm herüberbeugt, greift nach seiner Hand und drückt sie einmal aufmunternd. Bevor sie dann jedoch durch die Glastür verschwindet, dreht sie sich nochmal zu dem verloren wirkenden Mann herum. „Ich hoffe du irrst dich mit deinen Vermutungen.“ Eine knappe Erwiderung. „Das hoffe ich auch Jalma.“ Dann schlüpft die zierliche Frau durch die Tür und verschwindet ein wenig später in den Fahrstuhl, der sie in die Tiefgarage bringt.

      In der Tiefgarage herrscht eisige Stille, nur die Luft ist es, die der gespenstischen Ruhe die Kälte raubt. Die Luft zwischen den Betonpfeilern ist so dick und heiß, als fordere sie Jalma heraus, sie auf der Stelle zu zerschneiden. Jalma wabert durch die heiße Luft hindurch. Ihr Auto steht ganz hinten in der letzten Reihe und ist neben dem windschnittigen Dukjon SR 5 das einzige auf der gesamten Etage. Jalma öffnet schnell die Tür des Mercedes, um der heißen Luft der stickigen Tiefgarage nicht länger ausgeliefert zu sein, und schlüpft auf den mit Leder bezogenen Fahrersitz. Leider bringt auch der saubere Innenraum des Autos keine Abkühlung und Jalma wirft stöhnend ihre Aktentasche auf den Beifahrersitz. Mit einer Hand greift sie nach dem Sicherheitsgurt, mit der anderen betätigt sie den Startknopf ihres Wagens. Mit einem Fuß auf der Kupplung wäre sie jetzt bereit loszufahren, aber irgendetwas tief in ihr hält sie davon ab den Fuß vom Pedal zu nehmen. Wie Blei liegt er auf der Kupplung und bewegt sich keinen Zentimeter vom Fleck. In Jalmas Unterbewusstsein steigen einige Worte auf, die Nikolas heute zu ihr gesagt hat „Dieser Planet stirb doch schon seit einigen Jahren“. – Mann Jalma, solltest du jetzt wirklich Gewissensbisse haben?–, spricht sie zu sich selbst, während sie versucht ihr schlechtes Gewissen beiseitezuschieben. Einen Augenblick hört sie dem Brummen des Motors zu und überlegt heute einfach die Straßenbahn zu nehmen, als die Klimaanlage anspringt. Wie erlöst rutscht der Fuß von der Kupplung und der Wagen rollt los. Als sie an Nikolas’ Sportwagen vorbeirollt, schmunzelt sie über sich selbst. Als sie den Wagen die Rampe herunterrollen lässt, die aus dem Tiefgaragendschungel hinausführt, spürt sie die Gewissensbisse nur noch leicht gegen ihre Brust klopfen und während sich der Wagen auf die mittlerweile leere Straße schiebt, ist das Gefühl bereits verschwunden.

      Der Weg nach Hause geht an diesem Abend tatsächlich sehr schnell, der Verkehr auf der Autobahn hält sich in Grenzen und die Luft wird, umso näher sie ans Meer kommt, immer kühler und die dicken Smogwolken der Stadt verziehen sich beinahe komplett, was heißt, es sollte eine klare Nacht werden. Ab und zu blinzelt Jalma durch das Panoramadach ihres Wagens und stellt sich vor die Sterne durch den Smog hindurch sehen zu können. Natürlich sieht sie keinen Einzigen der Sterne und als der Mercedes das kleine Küstendorf erreicht hat und der Smog nur noch in leichten Schleiern durch die Luft schwebt, sind dicken Wolken über dem Meer aufgezogen, die die Sterne vor ihren Augen verbergen. Sie stellt den Motor ab und greift nach ihrer in den Fußraum gerutschten Tasche. Einige der Papiere sind herausgefallen und während sie nach ihnen greift, gleitet ein kleines Foto aus einer der Akten und landet unter dem Beifahrersitz. Fluchend steigt sie aus dem Wagen, stampf um das Auto herum, reißt genervt die Beifahrertür auf und greift beherzt unter den Sitz. Für einen Moment schiebt sie ihre Hand in der Dunkelheit unter dem Sitz hin und her, bis ihre Finger plötzlich an etwas Kühles stoßen. Verwundert, was der unerwartete Gegenstand sein kann, zieht sie ihn hervor und hält ihn unter die Lampe der offenen Tür. In ihrer ausgebreiteten Handfläche liegt ein Ring. Der kleine Diamant, mit dem er besetzt ist, funkelt im Licht und Jalma schaudert über das glattpolierte Silber und die so fein gearbeiteten Verzierungen in der Innenseite. Ein Schmerz zuckt ihr durch die Brust und erinnert sie grob an den Mann, den sie geliebt und dem sie diesen Ring zu verdanken hat. Kurz fragt sie sich, ob sie ihn heute heiraten würde, doch auch jetzt, nach all den Jahren, die seitdem vergangen sind, kann sie sich nicht entscheiden, ob es die Liebe ist oder doch der Hass überwiegt. Mit geschlossenen Augen hält sie den Ring an ihre Brust und fühlt tief in den Schmerz hinein, dann wirft sie ihn achtlos in die Seitentür des Mercedes, klaubt ihre Dokumente und Unterlagen aus dem Fußraum, stopft sie zurück in die Aktentasche und schlägt die Autotür mit solcher Wucht ins Schloss, dass ihr Neffe die Haustür der großen Villa öffnet und verwundert seinen Kopf durch den Türspalt schiebt.

      Der Junge steht im Lichtschein des Flurs, das Jalma so stark blendet, dass es ihr unmöglich ist ein klares Bild ihres Neffen zu erhaschen. Schützend hält sie die Hand vor die Augen und blinzelt in das grelle Licht hinein. „Kaleo, bist du es?“ Jalma meint, das Schmunzeln hören zu können, das über die Lippen des Jungen huscht. „Ich hoffe doch, dass ich es bin, oder erwartest du um diese nächtliche Stunde noch andere Männer in deiner Haustür?“ Langsam gewöhnen sich ihre Augen an das Licht und sie beginnt über die geschotterte Einfahrt zu laufen. Sie spürt den Kies unter ihren Füßen knirschen und das Knarren der alten hölzernen Treppe, die zur Veranda hinaufführt. Auf dem Treppenabsatz angekommen hält sie einen Moment inne und tut so, als wäre ihre Aktentasche so schwer, dass sie es kaum über die Veranda schaffen könne, dabei lugt sie immer wieder zu ihrem Neffen hinüber, dem ein breites Lächeln im Gesicht steht. „Auntie, ich bin aus dem Alter wirklich raus, wo ich so etwas lustig finde.“ Ihren Neffen erreicht, streicht sie ihm einmal liebevoll durch die wirren Haare. „Ich weiß, ich weiß, aber es kommt mir gar nicht lange her vor, da warst du noch ein kleiner Keiki und du warst so süß und hast über alles gelacht.“ Wieder ein Schmunzeln auf seinem Gesicht. „Jetzt lache ich eben über andere Dinge. Warum bist du eigentlich so spät, du meintest doch, es sei nicht mehr so viel Verkehr um diese Uhrzeit.“ Etwas genervt versucht er dabei seine Haare wieder in einen, aus seiner Sicht, vernünftigen Zustand zu bringen, nimmt seiner Tante die Aktentasche aus der Hand, tritt durch die Eingangstür, schiebt mit dem Fuß die Tür ins Schloss und folgt ihr durch den Flur ins Haus. „Ja, es war leider doch noch ziemlich viel Verkehr und ich stand lange im Stau“, lügt sie den Jungen an, denn heute ist nicht der Tag ihm die Wahrheit zu erzählen. Jalma drückt auf den Autoschlüssel, von der Einfahrt hört man ein Piepen, dann wirft sie den Schlüssel in die kleine Schale auf dem Esszimmertisch. Ihr Neffe legt währenddessen die schwere braune Tasche auf die Kommode im Flur, streift durch die Tür ins Wohnzimmer und schmeißt sich auf das große gelbe Sofa. Jalma greift nach den Briefen, die neben der Schale auf dem Esszimmertisch liegen, und läuft abwesend zu den Flügeltüren, die sie ins Wohnzimmer führen. Sie lehnt sich gegen den großen hölzernen Türrahmen und beobachtet ihren Neffen, der das Sofa anscheinend den ganzen Tag nicht verlassen hat. „Die Schulleitung hat heute bei mir angerufen“, nun beginnt sie den ersten der Briefe zu lesen, beobachtet ihren Neffen aber scharf über die Kante des Briefbogens hinweg, „sie sagten mir, dass du heute nicht in der Schule erschienen bist. Sie fragten mich auch, was der Grund dafür sei. Ich sagte ihnen, dass du heute krank bist und dass ich einfach noch nicht dazugekommen wäre die Schule zu informieren. So ist es doch, oder? Du bist doch krank? Warum solltest du denn sonst nicht zum Unterricht erscheinen.“ Mit leichtem Vorwurf in der Stimme sieht sie von dem Brief auf und fixiert ihren Neffen, um seine Reaktion auf das Gesagte zu beobachten. Der setzt sich etwas schuldbewusst auf und fängt an sich hinterm Kopf zu kratzen. „Na ja, also, du musst wissen, dass ich ..., ich …, eigentlich wirklich krank bin.“ Jalma lässt die Briefe sinken, läuft durchs Wohnzimmer und setzt sich neben ihren Neffen auf das gelbe Sofa. Liebevoll schlingt sie die Arme um ihn und drückt ihn so fest an sich, als könne sie so zumindest sein Leben zusammenhalten. „Kaleo. Liebeskummer ist keine anerkannte Krankheit, es mag sein, dass es sich genauso anfühlt oder sogar noch schlimmer, aber trotzdem darf man sich nicht auf einem großen gelben Sofa verkriechen und die Schule schwänzen. So reizvoll es dir auch erscheinen mag.“ Kaleo druckst weiter. „Mmh, ja so ist es ja nicht, also irgendwie ja schon, aber vielleicht war gestern ja wirklich irgendwas bei ihr los und sie hat das Kino nur vergessen. Sie hat mich bestimmt nicht versetzt, so ist sie einfach nicht. Ich will da irgendwie auch nicht drüber sprechen.“ Kaleo entzieht sich der Umarmung seiner Tante und rutscht auf die andere Seite des Sofas unter eine Decke. „Du hättest darüber auch nicht reden müssen, wenn du heute zur Schule gegangen wärst. Bist du aber nicht, ich habe für dich gelogen und das bist du mir schuldig.“ Genervt zieht der Junge die Decke über seinen Kopf und brummt Jalma entgegen:

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