Скачать книгу

Wie sie trotz dieser Umgebung ihre Liebe zum Kochen entwickeln konnte, war ihr stets ein Rätsel geblieben. Trotzdem be­zeich­­nete sie sich als leidenschaftliche und – so viel Stolz durfte sein – als exzellente Köchin. Ihre Menüs und Krea­tionen wurden, so selten sie dazu kam, Freunde zu aufwän­dig vorbereiteten Fest­essen einzuladen, stets in den Himmel gelobt. Und die Aner­kennung tat ihr jedes Mal gut.

      Sarah beobachtete ihre Mutter, wie sie schweigend jeden ein­zelnen Stängel der Tulpen penibel anschnitt und den Strauß in einer mit Jagdmotiven verzierten Zinnvase mit Henkel neu arrangierte. Als das recht grotesk wirkende En­semble ihren An­sprüchen zu genügen schien, drückte sie es Sarah in die Hand.

      »Wollen wir in den Wintergarten gehen? Dort ist es um die­se Zeit am schönsten.»

      Sarah nickte und ließ ihrer Mutter den Vortritt, die for­schen Schrittes die Küche auf dem Weg zum Speise­zimmer verließ.

      2

      Da war sie! Also hatte sich das Warten gelohnt! Er hatte nicht damit gerechnet, sie heute, wo er sie doch am Vor­mittag ge­sehen hatte, noch einmal an der Bushaltestelle anzutreffen. Aber offensichtlich war sie am Mittag zurück in die Stadt ge­kommen und befand sich - es war mittler­weile dunkel - wieder auf dem Nachhause­weg. Sie hatte die­selben Kleider an wie vor einigen Stunden und wieder beobachtete er genau, wie sie sich bewegte, die unbeküm­merte, fast kindliche Art, wie sie ihre Arme schlenkerte. Wie sie ihre Schritte wie im Tanz setzte und sie ausgelassen und, ohne auf die anderen Leute zu achten, den Kopf zu dem Rhythmus aus ihren Ohrhörern hin- und her­bewegte und dabei stumm den Liedtext mit den Lippen mitsang. So nah war er ihr heute Morgen nicht gekommen. Er selbst saß auf einem der verzinkten Stühle der überdachten Bushalte­stelle, wo in Kürze ein Bus der Linie drei ankommen und die hier wartenden Menschen auf dem Weg nach Hause mitnehmen würde. Sie kam über die Straße direkt auf ihn zu, und wieder folgte er ihr mit seinem Blick aufs Genau­este. Aus einer unverfänglichen Kopfhaltung schielte er zu ihr, immer darauf gefasst, dass sich ihre Blicke treffen könn­ten und er dann schnell woanders hinsehen musste. Doch sie war so ver­tieft in ihre Musik und ihre Gedanken, dass diese Gefahr nicht bestand. Jetzt erreichte sie die Bushalte­stelle, schaute auf ihre Armbanduhr und blickte sich um. Ob­wohl etwa acht Leute ebenfalls auf den Bus warteten, war der Sitz zu seiner Rechten nicht belegt. Ob sie sich dort hinsetzen würde? Innerlich spannte er sich an und hoffte, dass sie die paar Schritte in seine Richtung machen würde, um sich neben ihm niederzulassen. Dann wäre sie in Be­rührweite. Nicht, dass er es gewagt hätte, sie in irgendeiner Form anzufassen, auch eine scheinbar zufällige Berührung wollte er auf keinen Fall riskieren. Aber für ihn bedeutete die physische Nähe eine ungeheure Intimität, fast, als wür­den sich ihre Auren überlagern. Er würde den Luftzug spü­ren, den sie beim Hinsetzen verursachte, er würde hören, wie beim Umdrehen ihre Schuhsohlen leise über die Beton­platten scheuerten, vielleicht würde er sogar ihren Kör­per­geruch oder ihr Parfüm riechen können. Doch es kam an­ders. Sie lief zwar noch ein paar Schritte auf ihn zu, lehnte sich jedoch an die Stahlstrebe des Haltehäuschens und stell­te, wie am Morgen an der Ampel, einen Fuß auf die Ze­hen­spitzen und wiegte mit dem Bein im Takt der für ihn und die anderen Menschen unhörbaren Musik.

      Er starrte vor sich auf den Boden. Seine Augen so weit nach rechts zu verdrehen konnte zu leicht von den Umstehenden ge­­sehen werden. Außerdem, die Erfahrung hatte er schon mehr­­fach gemacht, erhöhte die extreme Augenstellung einen der, Gott sei Dank, selten gewordenen Krampfanfälle. Also beob­ach­tete er zwischen seinen Schuhen, wie sich ein paar Ameisen fleißig an einem für sie gigantischen Stück­chen Brot zu schaffen machten, Stück für Stück abtrennten und mit ihrer Last zwischen den Fugen der Betonplatten verschwanden. Obwohl sie nur in der Lage waren, verhält­nis­mä­ßig kleine Bröckchen aufs Mal wegzutransportieren, war, als nach wenigen Minuten die Motorbremse des ein­treffenden Busses zu hören war, fast das gesamte Stück Brot im Erdboden verschwunden.

      Er hob den Kopf.

      Linie drei.

      Sie machte sich bereit einzusteigen. Folglich erhob auch er sich bemüht lässig, ließ den meisten der Mitwartenden den Vortritt und stieg dann durch die hintere Tür in den Bus ein. Er wandte sich nach links in der Hoffnung, dort noch einen Platz vorzu­finden, denn nur, wenn er hinter der letzten Tür saß, konnte er, ohne sich verdächtig zu verhal­ten, überwachen, wo sie aus­stieg. Er hatte Glück. In der letzten Reihe, wo sich normaler­weise immer ein Haufen Jugendlicher lautstark breitmachte, saß niemand. Also wähl­te er den Platz links außen, so konnte er alle drei Türen bestens einsehen. Als auch der letzte Fahrgast Platz genom­men hatte – der Bus war nur gut zu einem Drittel gefüllt – versuchte er, sie zu erspähen. Er ließ den Blick schwei­fen und fand sie relativ zügig. Sie saß direkt hinter der mitt­leren Tür mit dem Rücken zu ihm und bewegte immer noch ihren Kopf im Takt.

      »Was wolltest du mir denn jetzt so Wichtiges erzählen? Hast du dich doch dazu entschlossen, etwas zu tun, was deiner Intelligenz und deiner Erziehung mehr entspricht, als eine klei­ne Beamtin bei der Polizei?«

      Der Augenblick war gekommen, wo Sarah Hansen ihrer Mut­­ter reinen Wein einschenken musste. Ob sie wollte oder nicht, durch diese Konfrontation mussten sie beide durch. Bevor sie ansetzen konnte, ihrer Mutter von der bevorste­henden Ver­set­zung zu berichten, brachte ihr Gegenüber die immer wieder und wieder aufs Neue geführte Diskussion über Sarahs Beruf auf den Tisch.

      »Wie oft habe ich dir gesagt, dass solch ein Beruf nicht gut für dich ist! Seine Zeit mit Halunken, Schlägern, Mördern und Pros­ti­tuierten zu verbringen, ist nichts für eine junge Frau aus so gutem Hause, wie du eine bist.« Waldburg Han­sen stellte den gut gefüllten Schwenker mit Armagnac auf das Beistell­tischchen neben ihrem Fauteuil und beugte sich mit über­triebener Gestik nach vorne.

      »Für ein Studium der Wirtschaftswissenschaften ist es noch nicht zu spät! Du weißt, ich habe immer noch Kontakte in höch­ste Kreise. Es wäre kein Problem, dich in einer heraus­ragenden Position in einem namhaften Unternehmen unter­zu­bringen!«

      Noch vor wenigen Jahren hätte sich Sarah zu diesem Zeit­punkt den Beistand ihres zu damals schon verstorbenen Vaters ge­wünscht. So wie damals musste sie hier aber allei­ne bestehen und die langwierige Therapie, mit der sie ihre Mutter-Tochter-Beziehung zuerst analysiert und dann auf­gearbeitet hatte, gab ihr jetzt den nötigen Rückhalt.

      »Mama, das hatten wir doch schon so oft. Du weißt doch, dass BWL oder VWL nun mal nichts für mich ist. Ich…«

      »Nein, Kind, du weißt einfach nicht, was gut für dich ist und was nicht! Und ihren Kindern das beizubringen, dafür sind Eltern ja nun mal da!«

      Sie hob kurz den Zeigefinger, lehnte sich dann wieder zu­rück und nahm einen ausgiebigen Schluck von dem Ar­magnac.

      »Dein Vater hätte auch gewollt, dass du etwas Ordentliches machst. Ein richtiges Studium, das zu einem anständigen Beruf führt. Polizistin! Was für einen Ruf haben denn Frauen, die als Polizistinnen arbeiten?«

      Dass ihre Mutter am heutigen Abend nicht in die Rolle der sor­gen­vollen, vor Angst um ihre Tochter leidge­quälten Mut­ter schlüpfen würde, hatte Sarah schon bei der Begrü­ßung ge­merkt. Heute war also die strenge, um Ansehen und Ruf bemühte Waldburg Hansen ihr Gegner in der Diskussion und so, wie sie ihren letzten Satz betont hatte, würde auch die du-beschmutzt-das-Ansehen-deines-Vaters-Karte rücksichtslos ausge­spielt werden. In welcher Rolle sich ihre Mutter am Ende der Dis­kus­sion befinden würde, war sich Sarah noch nicht sicher, aber eines war klar: Beide würden verletzt sein, sie würden sich wieder ein Stück, wahrscheinlich ein sehr großes Stück, von­einander ent­fernen. Ob es zum Bruch kommen würde, ver­mochte Sarah zu diesem Zeitpunkt nicht zu sagen, aber sie war ent­schlos­sen, auch das zu riskieren.

      »So? Mama, erkläre mir bitte mal, welchen Ruf Polizist­innen, so wie ich eine bin, denn haben.«

      Natürlich hätte sie gleich auf den Punkt kommen können, ihre Mutter mit ihrer Entscheidung konfrontieren und dann, ab­hängig

Скачать книгу