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und den Spuren, die wohl Seevögel und anderes Getier an dem Leichnam hinterlassen hatten, war um das Handgelenk eine breite, tief violette Verfärbung zu erkennen. Eindeutig Spuren einer groben und länger an­dau­ernden Fesselung.

      Inge Westerhus verzog das Gesicht.

      »Was hat man dir nur angetan?«, entfuhr es ihr kopf­schüt­telnd.

      »Du findest das schon schlimm? Dann pass mal auf.«

      Peters drehte den Kopf so, dass Inge Westerhus die Reste des Gesichts sehen konnte. Sofort zog es der Polizistin eis­kalt durch alle Glieder. Auch wenn die Augäpfel nicht mehr vorhanden waren und auch erste Teile der Lippen offen­sichtlich den gier­igen Würmern, Schnecken und Vögeln zum Mahl gedient hat­ten, konnte sie genau erkennen, was die Pathologin meinte: Vor den Augen und dem Mund war etwas, das aussah wie ein klei­nes Gitter, das dort platziert worden war. Doch auf den zweiten Blick erkannte sie, dass die Stäbchen, wie sie zuerst annahm, nicht parallel sondern in leichtem Zickzack verliefen. Es wurde ihr schlagartig klar, dass der Peiniger der Frau mit einem bes­on­ders dicken Garn Augen und Mund zugenäht haben musste!

      Sie schlug die Hand vor den Mund.

      »Oh, mein Gott!«, sagte sie leise und beobachtete dann wort­los, wie Alice Peters auch an der linken Hand des Opfers die Plastiktüte sicherte.

      Nur unbewusst nahm sie die zwei Mitarbeiter des Bestat­tungsinstitutes wahr, die drei Meter neben der Leiche den grau­en Epoxydharz­sarg in den nassen Sand stellten, einen festen Lei­chen­sack entfalteten und schweigend auf das Signal war­teten, aktiv zu werden.

      »Willst du nochmal alles begutachten, oder können wir sie wegschaffen?«

      »Was?«

      Inge Westerhus hatte Alice Peters wohl gehört, aber irgend­wie war ihr die Bedeutung der an sie gerichteten Worte entgangen.

      »Ob wir sie einpacken können, oder ob du noch etwas brauchst?«, wiederholte die Ärztin.

      Inge Westerhus sah sich noch einmal um.

      »Ist alles fotografiert?«, fragte sie.

      »Arved hat schon alles dokumentiert, noch bevor ich ange­fangen habe«, nickte Peters.

      »OK, dann könnt ihr sie einpacken.«

      Sie sah schweigend zu, wie die beiden in dunkle Anzüge ge­­klei­deten Männer den Leichensack neben den toten Kör­per leg­ten, sich feste Gummihandschuhe überstreiften und die Frau vor­sichtig in das dicke Plastik packten, nicht ohne die Liege­stelle noch einmal genau abzusuchen, um gege­ben­enfalls ver­wert­bares Material der Spurensicherung zu übergeben. Erst als der Reißverschluss zugezogen, das schwe­re Bündel in den Sarg gelegt und dieser von den bei­den Männern davongetragen wor­den war, wandte sich Inge Westerhus um und hielt nach Arved Munz Ausschau. Ihr Kollege war mittlerweile damit beschäf­tigt, eine sichtlich erschüttert wirkende junge Frau mit Kind und Buggy zu befragen und hatte ihr gegenüber eine sehr verständige Miene aufgesetzt. Sie war schon im Begriff hinü­ber­zugehen, als ihre Aufmerksamkeit von einer lautstark ge­führten Dis­kussion auf sich gezogen wurde. Einige Meter vom Fahr­weg entfernt war einer der Uniformierten damit bes­chäftigt, einen etwa fünfzig Jahre alten Mann unter dessen heftigem Protest wieder aus dem abgesperrten Bereich zu bugsieren. Dabei fielen lautstark Worte wie Pressefreiheit oder Recht auf Information. Inge Westerhus schüttelte den Kopf, ob­wohl innerlich leicht belustigt, und bedeutete Arved Munz durch eine Geste, schon einmal zum Auto zu gehen. Sie selbst steuerte das streitende Duo an, das die Absperrung wieder er­reicht hatte, und rief just in dem Moment, in dem sich der hart­näckige Eindringling zum wiederholten Male losge­rissen hatte, laut:

      »Klaus! Lass gut sein!«

      Einmal noch stieß der angesprochene Beamte den Stören­fried, der gleich zwei Spiegelreflex­kameras um den Hals hängen hatte, zurück, trat dann von ihm weg und hob seine Hand zum Gruß kurz an die Mütze.

      »Moin, Frau Hauptkommissarin!«, nuschelte er und behielt den jetzt stillstehenden Mann weiter im Auge.

      »Er war schon fast bis an den Fundort herangekommen und hat wie wild drauflosgeknipst. Er…«

      »Schon gut, Klaus, ich übernehme hier! Danke einst­weilen.«

      Sie stellte sich vor den Mann, der ihren Blicken immer wie­der auswich, und stemmte die Hände streng in die Hüfte. Warum Arndt Aasman den uniformierten Kollegen nie Folge leistete, vor ihr aber einen ziemlichen Respekt zu haben schien, fragte sie sich, seit der leicht retardierte Endvierziger zum ersten Mal bei einem ihrer Tatorte aufge­taucht war und mit dem Presse­ausweis des Lokalblattes herumgewedelt hatte. Arndt Aasman war im Alter von sieb­zehn zum Waisen geworden und hatte mit einund­zwanzig das Erbe, ein kleines Häuschen und eine nicht unbeträchtliche Summe an Bargeld, ausgezahlt bekom­men. Er war, damals schon stark zurückgeblieben und verhal­tens­­auffällig, seither zu einer kleinen Lokalberühmtheit gewor­den. Den Presseausweis hatte der arbeitslose Mann eher aus Mitleid bekommen, und seither fuhr er mit seiner Schwalbe und seinen Kameras um den Hals durch die Gegend und foto­grafierte alles, was in irgendeiner Art für ihn interessant war. Und tatsächlich war alle zwei bis drei Wochen eine seiner Auf­nahmen in der Zeitung zu sehen.

      »Herr Aasman, Herr Aasmann! Sie wissen doch, dass Sie das nicht dürfen! Wie oft habe ich Ihnen das gesagt?«

      »Ein paarmal«, antwortete Arndt Aasmann fast schon klein­laut und mit der Miene eines ertappten Kindes.

      Er schaute ziellos umher, mied ihre Augen und blieb schließ­­lich mit seinem Blick an seinen Fußspitzen hängen.

      »Also, was tun Sie jetzt?«

      »Ich bleibe hinter der Absperrung und warte bis zur Pres­se­­konferenz.«

      Der Satz war genaugenommen eine wörtliche Wieder­holung ihrer Anweisung vom allerersten Zusammentreffen und klang fast wie auswendig gelernt. Seinen Blick hob er nicht.

      »Sehr gut! Ich verspreche, Ihnen als Erstes mitzutei­len, wenn es etwas für die Presse gibt.«

      Arndt Aasman nickte schnell mit leicht angezogenen Schul­tern und stellte sich brav hinter die Absperrung. Er würde, solange sie vor Ort war, keinerlei Ärger mehr ma­chen.

      Inge Westerhus drehte sich um und musste abermals den Kopf schütteln. Ob es Mitleid, Sympathie oder auch Sorge war, die sie für ihn empfand, konnte sie nicht sagen. Tat­sache aber war, dass er zum festen Bestandteil von Husum gehörte und irgend­wie auch aus ihrem dienstlichen Alltag nicht mehr wegzu­denken war.

      Nachdenklich setzte sich Inge Westerhus auf ihren Büro­stuhl und legte die spärlichen Notizen der vorange­gan­genen Be­sprech­ung mit dem Oberstaatsanwalt vor sich auf den Schreibtisch.

      Kein LKA!, gingen ihr die Worte von Heinrich Quedlin durch den Kopf. Als sie äußerte, die junge, noch nicht iden­tifizierte Frau könne entweder einem grausamen Ritual­mord zum Opfer gefallen oder aber das erste oder zumin­dest das einzig bisher gefundene Opfer eines psychisch gestörten Täters mit Potential für weitere Taten sein, war Quedlin zunächst nervös und verun­sichert dagesessen. Es schien, als wolle er etwas derart Schreck­liches in seinem Zuständigkeits­bereich nicht wahrha­ben. Als er dann die be­hutsam vorgetragene Theorie, die auch Alice Peters in Be­tracht gezogen hatte, immer mehr hinterfragt hatte und dabei untypischerweise sogar fast aggressiv wurde, war Inge Westerhus klar, wie er über die Ermittlungen in diese Richtung dachte: Der Fall sollte bis auf Weiteres durch die Kräfte vor Ort bearbeitet werden. Zum einen seien ihm die Rückschlüsse zu voreilig und lediglich durch das Tatbild eines einzelnen Opfers begründet. Und außerdem sei die Haupt­kommissarin schließlich in der forensischen Psycho­logie geschult. Er hatte natürlich Recht: Sie hatte entspre­chende Kurse und Weiterbildungen im Bereich des Pro­filing gemacht, aber sie war die Einzige hier in Husum, die über diese eigent­lich als rudimentär zu bezeichnende Aus­bildung verfügte. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass sie bisher in ihrem Wirkungsbereich noch nicht die Gelegenheit hatte, irgend­welche praktische Erfahrung zu sammeln. Immerhin hatte Quedlin ihr zugestanden, sich Unterstützung

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