ТОП просматриваемых книг сайта:
Sündenlohn. Andre Rober
Читать онлайн.Название Sündenlohn
Год выпуска 0
isbn 9783738062830
Автор произведения Andre Rober
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Inge Westerhus verzog das Gesicht.
»Was hat man dir nur angetan?«, entfuhr es ihr kopfschüttelnd.
»Du findest das schon schlimm? Dann pass mal auf.«
Peters drehte den Kopf so, dass Inge Westerhus die Reste des Gesichts sehen konnte. Sofort zog es der Polizistin eiskalt durch alle Glieder. Auch wenn die Augäpfel nicht mehr vorhanden waren und auch erste Teile der Lippen offensichtlich den gierigen Würmern, Schnecken und Vögeln zum Mahl gedient hatten, konnte sie genau erkennen, was die Pathologin meinte: Vor den Augen und dem Mund war etwas, das aussah wie ein kleines Gitter, das dort platziert worden war. Doch auf den zweiten Blick erkannte sie, dass die Stäbchen, wie sie zuerst annahm, nicht parallel sondern in leichtem Zickzack verliefen. Es wurde ihr schlagartig klar, dass der Peiniger der Frau mit einem besonders dicken Garn Augen und Mund zugenäht haben musste!
Sie schlug die Hand vor den Mund.
»Oh, mein Gott!«, sagte sie leise und beobachtete dann wortlos, wie Alice Peters auch an der linken Hand des Opfers die Plastiktüte sicherte.
Nur unbewusst nahm sie die zwei Mitarbeiter des Bestattungsinstitutes wahr, die drei Meter neben der Leiche den grauen Epoxydharzsarg in den nassen Sand stellten, einen festen Leichensack entfalteten und schweigend auf das Signal warteten, aktiv zu werden.
»Willst du nochmal alles begutachten, oder können wir sie wegschaffen?«
»Was?«
Inge Westerhus hatte Alice Peters wohl gehört, aber irgendwie war ihr die Bedeutung der an sie gerichteten Worte entgangen.
»Ob wir sie einpacken können, oder ob du noch etwas brauchst?«, wiederholte die Ärztin.
Inge Westerhus sah sich noch einmal um.
»Ist alles fotografiert?«, fragte sie.
»Arved hat schon alles dokumentiert, noch bevor ich angefangen habe«, nickte Peters.
»OK, dann könnt ihr sie einpacken.«
Sie sah schweigend zu, wie die beiden in dunkle Anzüge gekleideten Männer den Leichensack neben den toten Körper legten, sich feste Gummihandschuhe überstreiften und die Frau vorsichtig in das dicke Plastik packten, nicht ohne die Liegestelle noch einmal genau abzusuchen, um gegebenenfalls verwertbares Material der Spurensicherung zu übergeben. Erst als der Reißverschluss zugezogen, das schwere Bündel in den Sarg gelegt und dieser von den beiden Männern davongetragen worden war, wandte sich Inge Westerhus um und hielt nach Arved Munz Ausschau. Ihr Kollege war mittlerweile damit beschäftigt, eine sichtlich erschüttert wirkende junge Frau mit Kind und Buggy zu befragen und hatte ihr gegenüber eine sehr verständige Miene aufgesetzt. Sie war schon im Begriff hinüberzugehen, als ihre Aufmerksamkeit von einer lautstark geführten Diskussion auf sich gezogen wurde. Einige Meter vom Fahrweg entfernt war einer der Uniformierten damit beschäftigt, einen etwa fünfzig Jahre alten Mann unter dessen heftigem Protest wieder aus dem abgesperrten Bereich zu bugsieren. Dabei fielen lautstark Worte wie Pressefreiheit oder Recht auf Information. Inge Westerhus schüttelte den Kopf, obwohl innerlich leicht belustigt, und bedeutete Arved Munz durch eine Geste, schon einmal zum Auto zu gehen. Sie selbst steuerte das streitende Duo an, das die Absperrung wieder erreicht hatte, und rief just in dem Moment, in dem sich der hartnäckige Eindringling zum wiederholten Male losgerissen hatte, laut:
»Klaus! Lass gut sein!«
Einmal noch stieß der angesprochene Beamte den Störenfried, der gleich zwei Spiegelreflexkameras um den Hals hängen hatte, zurück, trat dann von ihm weg und hob seine Hand zum Gruß kurz an die Mütze.
»Moin, Frau Hauptkommissarin!«, nuschelte er und behielt den jetzt stillstehenden Mann weiter im Auge.
»Er war schon fast bis an den Fundort herangekommen und hat wie wild drauflosgeknipst. Er…«
»Schon gut, Klaus, ich übernehme hier! Danke einstweilen.«
Sie stellte sich vor den Mann, der ihren Blicken immer wieder auswich, und stemmte die Hände streng in die Hüfte. Warum Arndt Aasman den uniformierten Kollegen nie Folge leistete, vor ihr aber einen ziemlichen Respekt zu haben schien, fragte sie sich, seit der leicht retardierte Endvierziger zum ersten Mal bei einem ihrer Tatorte aufgetaucht war und mit dem Presseausweis des Lokalblattes herumgewedelt hatte. Arndt Aasman war im Alter von siebzehn zum Waisen geworden und hatte mit einundzwanzig das Erbe, ein kleines Häuschen und eine nicht unbeträchtliche Summe an Bargeld, ausgezahlt bekommen. Er war, damals schon stark zurückgeblieben und verhaltensauffällig, seither zu einer kleinen Lokalberühmtheit geworden. Den Presseausweis hatte der arbeitslose Mann eher aus Mitleid bekommen, und seither fuhr er mit seiner Schwalbe und seinen Kameras um den Hals durch die Gegend und fotografierte alles, was in irgendeiner Art für ihn interessant war. Und tatsächlich war alle zwei bis drei Wochen eine seiner Aufnahmen in der Zeitung zu sehen.
»Herr Aasman, Herr Aasmann! Sie wissen doch, dass Sie das nicht dürfen! Wie oft habe ich Ihnen das gesagt?«
»Ein paarmal«, antwortete Arndt Aasmann fast schon kleinlaut und mit der Miene eines ertappten Kindes.
Er schaute ziellos umher, mied ihre Augen und blieb schließlich mit seinem Blick an seinen Fußspitzen hängen.
»Also, was tun Sie jetzt?«
»Ich bleibe hinter der Absperrung und warte bis zur Pressekonferenz.«
Der Satz war genaugenommen eine wörtliche Wiederholung ihrer Anweisung vom allerersten Zusammentreffen und klang fast wie auswendig gelernt. Seinen Blick hob er nicht.
»Sehr gut! Ich verspreche, Ihnen als Erstes mitzuteilen, wenn es etwas für die Presse gibt.«
Arndt Aasman nickte schnell mit leicht angezogenen Schultern und stellte sich brav hinter die Absperrung. Er würde, solange sie vor Ort war, keinerlei Ärger mehr machen.
Inge Westerhus drehte sich um und musste abermals den Kopf schütteln. Ob es Mitleid, Sympathie oder auch Sorge war, die sie für ihn empfand, konnte sie nicht sagen. Tatsache aber war, dass er zum festen Bestandteil von Husum gehörte und irgendwie auch aus ihrem dienstlichen Alltag nicht mehr wegzudenken war.
Nachdenklich setzte sich Inge Westerhus auf ihren Bürostuhl und legte die spärlichen Notizen der vorangegangenen Besprechung mit dem Oberstaatsanwalt vor sich auf den Schreibtisch.
Kein LKA!, gingen ihr die Worte von Heinrich Quedlin durch den Kopf. Als sie äußerte, die junge, noch nicht identifizierte Frau könne entweder einem grausamen Ritualmord zum Opfer gefallen oder aber das erste oder zumindest das einzig bisher gefundene Opfer eines psychisch gestörten Täters mit Potential für weitere Taten sein, war Quedlin zunächst nervös und verunsichert dagesessen. Es schien, als wolle er etwas derart Schreckliches in seinem Zuständigkeitsbereich nicht wahrhaben. Als er dann die behutsam vorgetragene Theorie, die auch Alice Peters in Betracht gezogen hatte, immer mehr hinterfragt hatte und dabei untypischerweise sogar fast aggressiv wurde, war Inge Westerhus klar, wie er über die Ermittlungen in diese Richtung dachte: Der Fall sollte bis auf Weiteres durch die Kräfte vor Ort bearbeitet werden. Zum einen seien ihm die Rückschlüsse zu voreilig und lediglich durch das Tatbild eines einzelnen Opfers begründet. Und außerdem sei die Hauptkommissarin schließlich in der forensischen Psychologie geschult. Er hatte natürlich Recht: Sie hatte entsprechende Kurse und Weiterbildungen im Bereich des Profiling gemacht, aber sie war die Einzige hier in Husum, die über diese eigentlich als rudimentär zu bezeichnende Ausbildung verfügte. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass sie bisher in ihrem Wirkungsbereich noch nicht die Gelegenheit hatte, irgendwelche praktische Erfahrung zu sammeln. Immerhin hatte Quedlin ihr zugestanden, sich Unterstützung