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die flehentlich meinen Namen rief und mich bat, zurückzukommen. Aber ich wollte nicht. Und er folgte mir auch nicht.

      8. Eine Standpauke vom Feinsten

      Meine Hände zitterten, und mein Herz raste, weil ich so wütend über die Dinge war, die der Pater gesagt hatte. Hatte er ernsthaft geglaubt, dass mich die Ereignisse nicht verändern würden? Dass mich das Geschehene nicht prägen würde? Aufgebracht lief ich in meinem Schlafzimmer umher. Ich brabbelte vor mich hin und schimpfte und meckerte so laut, dass ich nicht mitbekam, wie jemand in mein Zimmer trat. Erst als die Tür krachend ins Schloss fiel, fuhr ich herum und starrte auf den alten Mann, der dort stand.

      „Was wollen Sie hier? Hat er sie geschickt?”, fuhr ich ihn an und verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust.

      „Nein, Pater Michael hat mich nicht geschickt. Es war mein Vorschlag, mit dir zu reden. Denn auf ihn willst du ja nicht hören, Mädchen”, gab er mir zur Antwort. Langsam kroch er über den Boden und näherte sich mir.

      „Sie sollten gehen, Mister Hawk. Denn ich werde auch nicht auf Sie hören! Es ist mir egal, was Sie zu sagen haben!”

      Missbilligend schnalzte er mit der Zunge. „Ich weiß, dass es dir egal ist. Dir ist alles egal! Ich bin dir egal. Pater Michael ist dir egal. Und die Welt da draußen ist dir auch egal! Du bist sehr selbstsüchtig, Ada”, bemerkte er und wedelte mit erhobenem Zeigefinger herum.

      Seine Worte verschlugen mir die Sprache. Ich japste nach Luft bei dieser Beleidigung. Ich und selbstsüchtig??! „Wie können Sie es wagen? Ich habe gerade erst mein Kind verloren!”, schrie ich ihm wütend entgegen.

      Plötzlich setzte er sich wieder in Bewegung und kam auf mich zugeeilt. Ich konnte gar nicht so schnell gucken, wie er bei mir war und mir eine schallende Ohrfeige verpasste! Mein Kopf flog zur Seite, und ich glotzte ungläubig die Tür zu meinem Badezimmer an. Ich hielt mir die brennende Wange und wandte meinen Blick wieder Mister Hawk zu. Fassungslos sah ich ihn an.

      „Auch Pater Michael hat sein Kind verloren! Hast du auch nur einmal darüber nachgedacht, wie es ihm dabei geht? Nein. Natürlich nicht! Wieso auch? Es ist dir egal, dass er um das Baby weint und nun auch um dich. Du denkst nur daran, was du brauchst, um glücklich zu sein. Aber was er braucht, daran denkst du nicht! Er könnte dir den Trost spenden, den du benötigst, und du könntest das Gleiche für ihn tun. Ihr solltet für einander da sein, damit diese Wunden, die dieselben sind, verheilen können”, blubberte er mich voll, ohne einmal Luft zu holen. Sein Gesicht war ganz rot angelaufen, weil er sich so in seinen Vortrag hineingesteigert hatte. „Reiß dich gefälligst zusammen! Sei für ihn da. Hilf ihm!”, fügte er energisch hinzu.

      Aber seine Rede zeigte Wirkung. Erst durch sie hatte ich begriffen, was ich getan hatte - oder besser gesagt nicht getan hatte. Der alte Mann hatte absolut Recht. Ich war eine egoistische, blöde Kuh, und ich schämte mich dafür. Während ich vor Selbstmitleid fast ertrank, hatte ich vergessen, wer Pater Michael ist und was er einst für mich gewesen war. Aber nun erinnerte ich mich wieder daran: Er war mein Engel, der mich retten würde.

      9. Lass mich dir helfen

      Mister Hawk hatte mein Zimmer schon vor einiger Zeit verlassen. Aber ich konnte mich nicht rühren. Vor Entsetzen über mich selbst war ich wie gelähmt und konnte nicht aufhören, über seine Worte nachzudenken. War es Pater Michael in der vergangenen Zeit wirklich so schlecht ergangen? Hatte er wirklich um unser Kind geweint und sehnte sich ebenfalls danach, es in den Armen zu halten? Und hatte ich wirklich solche Macht über ihn, dass er mich tatsächlich gehen lassen würde, um meinem Kind nahe zu sein und meine Aufgabe zu vergessen?

      Als ich durch die Tür zu seinem Büro trat, blendete mich das helle Tageslicht, das durch das Glas ins Zimmer einfiel. Der wundervolle Wandteppich war nach oben gehoben worden. Pater Michael stand regungslos vor der Tür zu meinem Garten und starrte hinaus.

      „Hi”, sagte ich.

      Er zuckte beim Klang meiner Stimme zusammen, und ich sah, wie er mit den Händen in seinem Gesicht herumfummelte. Dann erst drehte er sich zu mir herum, und mir wurde bewusst, was er gerade getan hatte. Er hatte sich die Tränen weggewischt, die seine Augen immer noch feucht glänzen ließen, und rote Flecken leuchteten auf seinen Wangen. Mit großen Augen sah mich der Pater an. Er zwang sich zu einem Lächeln, was aber nur kurz währte.

      „Michael, ich…”, begann ich, konnte aber nicht weitersprechen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Es tat mir einfach alles so leid. Vorsichtig trat ich näher und blickte zu ihm auf. „Ich weiß nicht, was…”, versuchte ich es erneut, aber mir stiegen plötzlich Tränen in die Augen, und meine Stimme brach weg. Hinter dem feuchten Schleier sah ich, wie Pater Michael auf mich zukam und die Hand an meine Wange hob.

      „Ist schon gut, Ada. Du brauchst nichts zu sagen”, flüsterte er und strich mit dem Daumen über meine Haut.

      Sein unendliches Verständnis und seine Güte trafen mich so unerwartet wie eine Lawine. Alle Dämme in mir stürzten ein, und ich löste mich in Tränen auf. Ganze Sturzbäche flossen aus meinen Augen, und ich schluchzte hemmungslos. Pater Michael zog mich in seine Arme und hielt mich fest. Ich vergrub mein Gesicht in dem Stoff seiner Soutane. So dicht an ihn gelehnt, nahm ich den Geruch seines Eau de Toilettes wahr und fühlte mich sofort wieder heimisch. Hier gehörte ich hin. In Pater Michaels Arme.

      Mein Körper wurde von den heftigen Schluchzern geschüttelt. Aber ich spürte auch, dass er zitterte. Ich schlang meine Arme um ihn und streichelte über seinen Rücken. Ich umarmte ihn fester und fester. Aus uns beiden brach alle Trauer und Wut heraus, die sich in den vergangenen Tagen angestaut hatte.

      Wir standen lange in dem Büro und ließen unseren Gefühlen freien Lauf. Als wir uns beruhigt hatten, lösten wir uns voneinander und wischten uns gegenseitig unsere tränennassen Gesichter ab. Es war eine einfache Geste, aber sie steckte so voller Zuneigung. Wir mussten beide darüber lächeln. Etwas, was wir schon seit langer Zeit nicht mehr getan hatten. Und im ersten Moment fühlte es sich ungewohnt und fremd an, als wären unsere Gesichtsmuskeln eingerostet.

      „Michael, es tut mir alles so leid. Ich war so furchtbar selbstsüchtig und herzlos. Ich -”, begann ich mich zu entschuldigen.

      Aber Pater Michael legte mir einen Finger auf die Lippen und brachte mich zum Schweigen. „Ich weiß. Es tut mir auch leid. Es tut mir leid, dass ich dir nicht den Trost spenden konnte, den du gebraucht hättest. Es tut mir leid, dass ich so grausam zu dir war, als ich dich zum Essen zwingen wollte. Ich war grob und hart zu dir”, sagte er. Beschämt ließ er den Kopf hängen und schüttelte seinen dunklen Haarschopf. „Manchmal wünschte ich, ich könnte alles ungeschehen machen, damit wir von vorn anfangen können”, murmelte er.

      „Michael”, flüsterte ich. Ich wollte, dass er mich ansah, aber er weigerte sich hartnäckig. Also legte ich ihm einen Finger unter das Kinn und hob seinen Kopf hoch, damit er mich anblickte. In seinen schwarzen Augen schimmerten erneut Tränen. „Du hast alles richtig gemacht”, versicherte ich ihm, denn genau so war es gewesen. Nur ich war diejenige gewesen, die sich hatte dämlich benehmen müssen.

      „Ich möchte für dich da sein, Ada”, hauchte er. Es war hörbar, dass es ihm schwerfiel zu sprechen. Nach einem kurzen Räuspern fuhr er fort. „Ich möchte dir aufhelfen, wenn du hinfällst. Ich möchte dich wärmen, wenn dir kalt ist. Ich möchte deine Tränen trocknen, wenn du weinst. Ich möchte dich nur lächeln sehen und niemals traurig. Ich bin da, wenn du jemanden brauchst, der dir zuhört. Wenn du Angst hast, will ich dich beschützen. Und wenn es dir schlecht geht, will ich für dich sorgen. All das möchte ich für dich tun, weil ich dich liebe. Aber du musst es auch zulassen.” Seine Worte jagten mir einen warmen Schauer über den Rücken. Vor Rührung fing ich wieder an zu weinen. Krampfhaft versuchte ich dagegen anzukämpfen, und ich spürte, wie meine Lippen zitterten. Pater Michael umfasste meine Wange und streichelte sie beruhigend. „Du hast vielleicht in der Vergangenheit gelernt, mit allem allein zurechtzukommen. Aber so etwas geht nicht. Nicht immer kann man die Dinge allein bewältigen. Gott hat uns zueinander

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