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Kopfschmerzen. Es war ein Druck, als würde jemand meinen Kopf zerquetschen wollen. Da mir das Wasser schon in der Nacht geholfen hatte, dachte ich, ich müsste vielleicht einfach nur wieder etwas trinken. Somit ging ich ins Bad und trank direkt vom Wasserhahn. Es war mir egal, ob ich mich bekleckerte. Ich wollte nur schnell diesen Schmerz in meinem Kopf loswerden. Leider brachte es mir dieses Mal keine Linderung. Der Schmerz war immer noch genauso schlimm wie vorher. Ich sackte vor dem Waschbecken zu Boden und versuchte nachzudenken, was ich tun konnte. Aber es gab nur eines, was mir dabei helfen konnte, mich besser zu fühlen: etwas zu essen.

      Ich hoffte darauf, dass der Pater bald kommen würde, um mir etwas hinzustellen. Doch als ich über seinen letzten Besuch nachdachte, war ich mir nicht sicher, ob er jemals wieder kommen würde. Vielleicht hat er die Schnauze voll von mir und lässt mich jetzt einfach verhungern, dachte ich. So etwas darf er nicht tun, schoss es mir durch den Kopf. Er ist schließlich ein Mann der Kirche. Selbst Gott würde ihm das nicht verzeihen. Oder vielleicht doch?

      Mühsam rappelte ich mich auf und kehrte zurück in mein Bett. Mir blieb nichts anderes übrig, als zu warten, bis er zu mir kam. Ich konnte ja nicht hinaus.

      Das Aufschließen meiner Zimmertür weckte mich auf, und ich sah, wie Pater Michael hereinkam. Sofort entdeckte ich das Tablett auf seinen Händen. Langsam kam er herüber und stellte es neben mein Bett. „Guten Morgen, Ada”, sagte er zaghaft. Er wirkte etwas verunsichert. Vielleicht tat ihm sein Benehmen von gestern leid, als er mir meine Zähne beinahe eingeschlagen hatte? Er beobachtete mich noch einen Moment, und ich wartete darauf, dass er noch etwas sagte. Statt Worten entrann seiner Kehle nur ein betrübter Seufzer. Und mit Erstaunen sah ich zu, wie er den Schlüssel zu meiner Schlafzimmertür auf die Bettdecke legte.

      Ich blickte fragend zu ihm auf. Es war das erste Mal seit Tagen, dass wir uns in die Augen sahen. Ohne ein Wort zu sagen, wandte er sich um und ging hinaus. In diesem Moment spürte ich, wie sehr wir uns entfremdet hatten. Ich konnte mich an das letzte Mal, als ich zu ihm etwas gesagt hatte, nicht mehr erinnern. Und er schien mir ebenfalls nichts mehr zu sagen zu haben. Aber ganz aufgegeben hatte er mich anscheinend noch nicht. Schließlich hatte er mir eine weitere Mahlzeit gebracht. Und er hatte mir meine Freiheit wiedergegeben. Dennoch nagte die Frage an mir, was das zu bedeuten hatte. Ich war froh und wahnsinnig dankbar für seine Geste, ja. Aber woher kam dieser plötzliche Sinneswandel?

      Während ich weiter nachgrübelte, vertilgte ich mit großem Appetit das Frühstück. Es war die beste Mahlzeit, die ich je gegessen hatte. Es war ein einfaches Sandwich mit Erdbeermarmelade gewesen, und es war einfach himmlisch! Schade, dass es nur ein Sandwich war. Ich hätte am liebsten eine ganze Packung Toastbrot mit Marmelade verdrückt. Aber es war wohl gesünder, wenn ich meinem entwöhnten Magen nicht gleich zu viel zumutete.

      Danach fühlte ich mich gleich viel besser. Der Zuckerschub hatte mir genug Energie geliefert, um aufzustehen und mich anzuziehen. Durch meine Essensverweigerung hatte ich mir die Schwangerschaftskilos wieder runtergehungert, sodass mir meine Kleidung immer noch passte. Der Pullover spannte nicht und die Jeans blieb nicht auf halbem Wege stecken, weil der Hintern zu breit und der Bauch zu rund waren. Selbst meine Schuhe glitten leichter über meine Füße als zuvor. Konnte man an dieser Körperstelle abnehmen? Nun ja, ich beschwerte mich nicht. Es gab wichtigere Dinge als überschüssiges Gewicht an den Zehen. Schließlich hatte ich mich dazu entschieden, zum Pater zu gehen, damit wir reden konnten. Er hatte einen versöhnenden Schritt auf mich zu gemacht. Nun war es an der Zeit, dass ich auf ihn zuging.

      7. Lauschangriff

      „Es zerbricht sie, dass sie das Kind weggeben musste. Ich wusste, dass es schwer werden würde. Aber dass es so schlimm wird, damit hatte ich nicht gerechnet. Sie weint oft fürchterlich. Ich hatte keine Ahnung, dass ein Mensch in der Lage ist, solche Töne von sich zu geben. Ihr Weinen…es war schrecklich…es war unmenschlich. Sie isst nicht, und sie trinkt nicht. Grundgütiger, ich habe sogar versucht, ihr etwas mit Gewalt hineinzuzwängen!” Pater Michael klang entsetzt und beschämt über sein eigenes Verhalten.

      Ich stand an der geschlossenen Tür zu seinem Büro und belauschte sein Gespräch. Ich war mir nicht sicher, ob er telefonierte oder Besuch hatte. Erschrocken zuckte ich zusammen, als er nach kurzem Schweigen wieder sprach. „Sie hat davon gesprochen wegzugehen. Sie will alles aufgeben und hinter sich lassen, was sie begonnen hat. Ich habe sie in ihr Schlafzimmer gesperrt. Ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte”, bedauerte er sein Vorgehen.

      Es wurde wieder still, und ich stellte mir sein trauriges und bekümmertes Gesicht vor, während er am Telefon seinem Gesprächspartner lauschte. Aber dann ertönte eine zweite Stimme hinter der Tür. Es war Mister Hawk, der die ganze Zeit still zugehört hatte, während der Pater berichtete, was in den letzten Tagen geschehen war. „Und wie geht es dir bei alledem?”, wollte mein ehemaliger Nachbar wissen.

      In dem Zimmer blieb es lange ruhig, als der Pater über seine Antwort nachdachte. „Es geht mir kaum besser. Ich liege oft nachts wach und weine und trauere um mein Kind. Nun muss ich auch noch um Ada trauern. Mir zerreißt es das Herz, sie so zu sehen. Sie ist doch sonst immer so stark gewesen, Bernard.” Seine Stimme brach bei dem letzten Wort weg. Ich hörte ein leises Schniefen.

      „Michael, sie ist stark. Ihr seid es beide”, erwiderte Mister Hawk.

      Der Pater lachte verächtlich. „Ich bin nicht so stark wie du und Ada glauben.”

      Ich hörte den Schmerz und die Enttäuschung in seiner Stimme. Auf einmal kam ich mir furchtbar egoistisch vor, weil ich mich nie bemüht hatte, ihm zu helfen, und nur an meinen eigenen Verlust gedacht hatte. Nicht einen Gedanken hatte ich daran verschwendet, dass auch er darunter leiden könnte. Und nun machte er sich Vorwürfe, war enttäuscht von sich selbst und schämte sich für die Dinge, die er getan hatte, um mir zu helfen.

      „Wenn es so weitergeht, werde ich sie gehen lassen”, fügte Pater Michael mit einem Seufzen hinzu. Er klang gefasster und entschlossen.

      Mir stockte der Atem, und mein Herz machte einen Hüpfer. Er würde mich tatsächlich gehen lassen?

      „Du liebst diese Frau, Michael. Das würdest du nicht übers Herz bringen”, bemerkte Mister Hawk.

      „Ja, ich liebe sie über alles! Mehr als alles andere auf dieser Welt. Aber soll ich zusehen, wie sie sich zu Tode hungert, weil sie sich nach ihrem Baby sehnt und ich es ihr verweigere?” Ich hörte, wie sein Stuhl knarrte, und Schritte erklangen hinter der Tür. Sie waren nervös und unruhig. Mit Sicherheit lief der Pater in seinem Büro auf und ab. „Sie hat sich so sehr verändert. Ich vermisse ihre Stimme, ihr Lachen. Aber nun ist nur noch Stille hier. Wo ist nur das fröhliche Mädchen hin, das mich zum Lachen bringen konnte und das mein Herz eroberte?”, fragte er, aber er erhielt keine Antwort von seinem Gesprächspartner. Aber ich hatte eine!

      Aufgebracht stieß ich die Tür auf. Mit Schwung knallte sie gegen die Wand und kam mir wieder entgegen. Ich stoppte sie mit meiner Hand. Pater Michael stand vor dem Wandteppich mit dem Abbild der Heiligen Maria, Mutter Gottes, und sah mich mit offen stehendem Mund und großen Augen an. Mister Hawk saß auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch des Paters. Seine Hände lagen mit verschränkten Fingern auf dem Gehstock, von dem ich wusste, dass er ihn in Wirklichkeit nicht brauchte. Mit seinen wässrigen Augen blickte er mich aufmerksam an. Er wirkte nicht überrascht, mich hier zu sehen. Es war unheimlich. Als wenn er wüsste, dass ich hinter der Tür gestanden und gelauscht hatte.

      „Ada”, hauchte Pater Michael überrascht und trat auf mich zu. Abrupt blieb er stehen, als er erkannte, wie fuchsteufelswild ich war.

      „Du willst wissen, wo das Mädchen ist, in das du dich verliebt hast?”, fragte ich und funkelte ihn wütend an. Er starrte mich nur an, immer noch fassungslos über mein Auftreten, und wahrscheinlich bereute er seine Entscheidung, dass er mich doch nicht wieder eingeschlossen hatte. „Dieses Mädchen gibt es nicht mehr, Michael! Es ist in dem Moment gestorben, als du ihm das Kind weggenommen und es in sein Zimmer gesperrt hast wie eine Gefangene! Du wolltest doch, dass ich erwachsen werde. Und um dich zu zitieren: Ich bin nicht dein Kasper, der dich unterhält!”, warf ich ihm an den Kopf, so wie er es einst mit mir getan hatte.

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