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eisgrau und zeigte keine Spur mehr von der Flachsfarbe seiner Jugend. Vom Haupthaar war nur noch ein schmaler Haarkranz übrig geblieben, den der Mann in unregelmäßigen Abständen kurzschnitt. Tiefe Falten zogen sich durch seine feisten Züge, und obgleich er einen halben Kopf kleiner war als Ragnar, wog er ohne Zweifel mindestens sechzig Pfund mehr. Er schob eine gewaltige Wampe vor sich her, war aber auch in den Schultern deutlich breiter als der Majordomus und wäre ohne Weiteres als Schmied durchgegangen. Der bullige Mann arbeitete seit fast vierzig Jahren hier, hatte als Bursche angefangen und leitete die Küche von Krakesten seit zwanzig Jahren so resolut wie ein echter Souverän.

      »Dachte schon, du bist in der vornehmen Stadt verschollen«, knurrte er und hob dann die Stimme mit einem finsteren Blick zu den beiden Jungen. »Raus mit euch, macht eine Pause, aber seht zu, dass ihr wieder da seid, bevor es Nachmittag wird.«

      Während die Gehilfen ohne einen Laut hinaushuschten, reichten sich die beiden ungleichen Männer die Arme. Die Bewegungen des beleibten Kochs waren träge, aber als sie sich gegenüberstanden, sah Ragnar das gewohnte, vitale Funkeln in den blassgrünen Augen des alten Weggefährten. Sie kannten sich seit Kindertagen, waren Freunde geworden und bis heute geblieben. Korhonen stammte im Gegensatz zu Ragnar nicht aus einer Huskarlarfamilie. Er hatte als junger Bursche das Küchenmesser anstatt des Schwertes gewählt, es sich aber nicht nehmen lassen, zumindest eine Saison am Wall zu dienen. In den Tagen seit dem Tod der jungen Lady war der ruppige Koch der Einzige gewesen, in dem Ragnar Rückhalt gefunden hatte.

      »War verlockend, sich einfach in der Stadt niederzulassen und so zu tun, als ginge mich die ganze Scheiße hier nichts mehr an«, grinste er müde.

      »Als ob. Ausgerechnet du, der nur für seine Arbeit lebt«, gab der Koch zurück. »Lass uns runtergehen.«

      Ohne eine Erwiderung abzuwarten, drehte er sich um und watschelte auf eine beschlagene Tür in einer Ecke der Küche zu.

      »Du hast die Jungs doch schon weggeschickt, und da willst du noch mit mir in den Keller?«, erkundigte sich Ragnar, während er dem Freund folgte. Der blieb stumm und öffnete die Tür mit einem der über zwei Dutzend Schlüssel, die in unterschiedlichster Form und Länge an einem eisernen Ring an seinem Gürtel baumelten.

      Fast schob er den Majordomus durch die Öffnung und folgte ihm dann, wobei seine Fettrollen beinahe an den Türrahmen stießen. Rasch zog er das Türblatt hinter ihnen zu. Dann drehte er den Schlüssel im Schloss, ließ ihn samt Ring stecken und sie gingen die enge, aus Bruchsteinen gemauerte Treppe hinab. Drei kleine Öllampen erhellten den Gang nur spärlich, eine weitere am Boden der Stufen schaffte es kaum, das Dunkel in dem Kellergewölbe um mehr als einen Schritt weit zu vertreiben. Der Koch entzündete noch eine Lampe, und der Raum wurde von schummrigem, warmem Licht bescheiden ausgeleuchtet. Hier befanden sich Regalreihen voller Vorratssäcke, Kisten stapelten sich mannshoch und Fässer in allen möglichen Größen lagen oder standen herum. Korhonen zog einen Hocker hinter einem Regal hervor und ließ sich mit einem leisen, erleichterten Ächzen darauf sinken. Ragnar schaute sich kurz um, zog sich dann eine Kiste aus grobem Holz heran und nahm vorsichtig auf dem Behälter Platz.

      »Ich hatte auf einen Bericht gehofft, über die Zeit in der ich weg war«, meinte Ragnar, »aber ist es schon so schlimm, dass wir uns hier unten verstecken müssen?«

      »Ich weiß nur, dass die beschissenen Wände hier mittlerweile Ohren haben«, sagte Korhonen mürrisch. »Und das ich die meinen gerne noch eine Weile behalten würde. Mitsamt dem Kopf, an dem sie angewachsen sind. Es wird jeden Tag ärger mit diesem verdammten Scheißpack und sie werden auch ständig unverschämter.«

      »Nemmer und seine Bande? Ich dachte, die treiben sich nur am Eingang und im Westflügel herum.«

      »Tun sie auch, jedenfalls der harte Kern, wenn man es so nennen will«, nickte der Koch. »Aber es werden ja immer mehr und so langsam wird es, fürchte ich, wirklich gefährlich. Mach doch mal einen Rundgang, wenn wir hier fertig sind, einen durch die ganze Burg, meine ich. Und dann achte darauf, wie viele von den Wachen du noch kennst. Nemmer und seine Lumpenfreunde verlassen ihre Posten in der Nähe des Jarls nicht mehr, vermutlich aus Angst, dass ihn doch noch jemand zur Vernunft bringt. Das sind vielleicht zwei Dutzend, würde ich sagen. Der Bodensatz aus allen Truppen unter Waffen. Gemeine alte Drecksäcke, wie der lange Sören und solche notorischen Verrückten wie Karl Einauge aus Skogholm. Diese Art Leute halt.«

      »Ich dachte, den hat man vor zwei Jahren aufgeknüpft«, sagte Ragnar. »Seit wann ist der denn hier? Und der lange Sören dient doch an der Brücke.«

      »Einen Scheiß hat man«, erwiderte Korhonen grimmig, »und Sören ist seit fünf Tagen hier. Den hat Nemmer genauso herholen lassen, wie das andere Gesindel. Der Mann hat hier inzwischen mehr zu sagen, als für irgendjemanden gut wäre. Ihn selbst vermutlich eingeschlossen. Nicht, dass ich einen Dreck auf seinen Hals gebe. Ich habe keine Ahnung was der Jarl überhaupt noch von dem, was hier vor sich geht, mitbekommt. Du hast ja wohl bemerkt, das Nemmer nach und nach die Huskarlar in die Hauptstadt geschickt und mit Karls aus dem ganzen Jarltum ersetzt hat.«

      »Sicher. Irgendwelche von seinen Saufkumpanen nehme, ich an. Olaf Nemmer ist ein Scheißkerl, aber er ist nicht dumm. Durch die Macht, die der Jarl ihm gegeben hat, wittert er natürlich Morgenluft. Gib so einem Kerl Befehlsgewalt, und er tut alles, um sie zu behalten.«

      »Ganz genau. Nur nimmt das hier langsam wirklich bedrohliche Züge an. Ich weiß von mindestens zwei Männern, von denen ich angenommen habe, dass Nemmer sie in die Stadt geschickt hat, weil sie ihm unbequem waren. Gute Männer, die seit über zehn Jahren in der Wache gedient haben. Nun habe ich aber durch einen alten Bekannten, der eine Taverne im Norden von Krakeborg betreibt, erfahren, dass man sie da seit Monaten nicht mehr gesehen hat. Sie sind verschwunden, einfach so. Ich habe das dumme Gefühl, dass sie auch nie wieder auftauchen werden.«

      »Hast du das jemandem gemeldet?«, setzte Ragnar an, beantwortete sich dann aber die Frage selbst. »Nein, natürlich nicht, wem auch.« Er fuhr sich mit einer Hand über die Augen. Verdammt, er war dieser Dinge so müde.

      »Eben«, nickte der Koch mit einem dünnen Lächeln. »Ich hätte es dir melden können, aber du hast hier inzwischen auch nicht viel mehr zu melden als ich. Die Einzigen, die uns noch ernst nehmen, sind die Bediensteten. Außer der Bande beim Westflügel habe ich seit Tagen nur ein paar Karls als Wachen gesehen und ich habe nicht ein einziges verdammtes Gesicht erkannt. Mach den Rundgang, Ragnar, das war mein Ernst. Ich habe das dumpfe Gefühl, dass Olaf Nemmer inzwischen der inoffizielle Kommandant der bewaffneten Kräfte auf Burg Krakesten ist. Der Jarl könnte erschlagen in seinem eigenen Blut verfaulen und keiner von uns würde es merken. Nemmer lässt niemanden zu ihm vor. Ich habe es versucht. Der Jarl will keinen Menschen sehen, das ist alles, was man von denen zu hören bekommt. Sie lassen sich Bier, Wein und gebratenes Fleisch kommen, fressen und saufen wie die Schweine und jagen jeden zum Teufel, der dem Westflügel zu nahe kommt. Und es gibt niemanden mehr, der ihnen in die Quere kommen könnte.«

      »Eine verdammte Schande, dass der Jarl einen Lumpen wie Nemmer zu seinem Sprachrohr gemacht hat«, sagte Ragnar düster. »Selbst wenn ich einen Thane herholen würde, hat der auf der Burg des Jarls auch nicht viel zu melden. Das ist eine solche dumme, verfahrene Situation, als ob der Tod der Herrin nicht schlimm genug wäre. Von dem irrsinnigen Massaker, das der Herr angerichtet hat, ganz zu schweigen.«

      »Hier herrscht im Moment tatsächlich der Wahnsinn«, stimmte Kohornen ihm zu. »Und das muss aufhören, und zwar bald. Wir gehen alle vor die Hunde, wenn wir keine Lösung finden. Ich weiß nicht, was wir tun sollen. Das letzte öffentliche Wort des Jarls hat Nemmer die Autorität gegeben, die er jetzt in Anspruch nimmt. Es läuft alles auf eine direkte Konfrontation hinaus. Das Hauptproblem ist einfach, dass der Jarl nach dem, was er mit den verdammten Pfaffen gemacht hat, völlig unberechenbar ist. Der kann inzwischen genauso verrückt sein wie sein götterverdammter Urgroßvater. Ich traue hier niemandem mehr außer dir.«

      Ragnar erschauderte bei den Worten des Kochs. Sein götterverdammter Urgroßvater, Nantes das Tier. Wohl der Einzige vor achtzig Jahren in der großen Schlacht gegen den König gefallene Norselunder, der von keiner Seele betrauert worden war.

      »Ich verspüre jedenfalls wenig Lust, mich an einem

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