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Winterwahn. Wolfe Eldritch
Читать онлайн.Название Winterwahn
Год выпуска 0
isbn 9783742779588
Автор произведения Wolfe Eldritch
Жанр Языкознание
Серия Weltengrau
Издательство Bookwire
Seine Großeltern waren in der Hungersnot nach dem Einbruch des Grau gestorben und sein Vater hatte die Erinnerung an sie und die schreckliche Zeit damals mit seinen Geschichten am Leben erhalten. Sie kamen zurecht, sie litten keinen Hunger und vor allem waren die Kinder gesund und kräftig. So ging es allen Familien in Frasin, denn auch wenn die Dorfgemeinschaft im Grunde nur aus verstreuten Gehöften bestand, hatte man doch einen Dorfplatz und ein Gemeindehaus, in dem man sich regelmäßig traf und besprach. Man half sich gegenseitig und rang dem harten Land so das Nötigste ab, um zu überleben. Daran hatte sich auch nichts geändert, als man die ersten Hühner hatte töten müssen. Natürlich schlachtete man des Öfteren Hühner. Diese hatte man allerdings verbrannt, was unter normalen Umständen als unverzeihliche Verschwendung gegolten hätte. Sie mochten einfältige Menschen sein, aber keiner von ihnen wäre so dumm gewesen, das Fleisch dieser verwachsenen Tiere zu essen.
Das alles hatte im Frühjahr 825 angefangen, wenn Miró sich recht erinnerte. Niemand hatte eine derartige Krankheit je beim Federvieh gesehen und die Besorgnis war groß gewesen. Man hatte sofort Tiere untereinander getauscht und ein paar neue Ställe gebaut, um nicht von einem Brutplatz abhängig zu sein. Von da an war es immer wieder vorgekommen, dass ganze Gelege Küken hervorgebracht hatte, die man sofort getötet und verbrannt hatte. Die Vorfälle wurden bald zur Gewohnheit und man nahm sie hin, wie man es in diesen harten Landen gewohnt war, Dinge hinzunehmen. Man ertrug sie und arbeitete noch ein wenig härter.
Im späten Herbst 825 hatte man dann auf dem Hof vom alten Krasiemir die erste Ziege getötet. Sie hatte merkwürdig verformte Hinterläufe und einen schiefen Brustkorb, am übelsten aber war die Geschwulst auf ihrer Stirn, gleich oberhalb der Augen. Es sah aus, als würde dem armen Tier ein drittes, entzündetes Horn wachsen. Ziegen waren schlimmer als Hühner. Ziegen gab es nicht so viele, sie wuchsen nicht so schnell wie Federvieh und ihr Fleisch und ihre Milch war kostbar. Als das Frühjahr 826 anbrach, waren schon die Hälfte der Ziegen und fast ein Drittel der Hühner tot. Manche behaupteten, dass sie die Tiere am Abend gesund und normal im Stall einschlossen und sie am nächsten Morgen mit diesen widerlichen Verwachsungen vorfanden und erschlagen und verbrennen mussten.
Der Boden im Grenzland gab nicht viel her, und das Überleben der Menschen hing zum größten Teil von der spärlichen Viehzucht ab. Hühner und Ziegen, besonders wohlhabende brachten es sogar fertig, sich ein paar Schafe oder gar Schweine zu halten. Solche Wohlhabenden gab es in Frasin nicht. Als im Sommer 826 die letzte Ziege verbrannt worden war, bekamen die Menschen ernsthaft Angst vor einer Hungersnot, aber da begann auch schon das Schlimmere. Der alte Krasiemir, der den am weitesten vom Dorfplatz abgelegenen Hof bewirtschaftete, wurde im Juni zum letzten Mal gesehen. Von ihm, seiner Frau und den beiden geistig etwas zurückgebliebenen Söhnen fand man nie wieder eine Spur. Im August verschwand der lange Milenko mitsamt seiner Sippschaft. Den ganzen Herbst und Winter über verbrachten die meisten Familien in Angst und Sorge.
Als der Schnee und das Eis vor dem kurzen Frühling zurückwichen und sie im Frühjahr die große Versammlung in der Halle abhielten, bemerkten sie, wie viele von ihnen fehlten. Sie machten sich auf und klapperten die Höfe einem nach dem anderen gemeinsam ab. Dabei stellten sie fest, dass von den siebzehn Gehöften von Frasin nur noch acht bewohnt waren. Alle anderen erwiesen sich als verwaist. Man fand keinen der Bürger und auch kein einziges Tier mehr. Die Ochsen, von denen sich jeder Hof je nach Wohlstand zwei bis sechs Paar hielt, waren ebenfalls verschwunden. Ziegen gab es ja nicht mehr, und ein Pferd hatte hier noch nie jemand besessen. Die sah man bestenfalls, wenn mal eine Patrouille der Tempelritter vorbeikam, was hier draußen vielleicht alle fünf Jahre einmal geschah.
Von da an war nichts mehr wie zuvor. Verzweiflung und Angst wandelten sich allmählich in Misstrauen und Feindseligkeit. Miró glaubte zu verstehen, dass viele der Menschen vor Angst ganz einfach langsam aber sicher verrückt wurden. Es gab keine Versammlungen mehr und man half sich auch nicht mehr gegenseitig. Im Juni verschwand der einarmige Droblio mitsamt seiner Familie und eine Woche später fand man den ältesten Sohn des nächstgelegenen Hofes auf einem nahen Feld. An seinem Tod war nichts Geheimnisvolles. Es war offensichtlich gewesen, dass ihm jemand erst eine Mistgabel in den Rücken gestochen und dann den Schädel zu Brei geschlagen hatte.
An dem Tag hatte Miró beschlossen, seinen Hof aufzugeben. Er entschloss sich, so schnell wie möglich wegzugehen, solange noch Zeit dazu war. Um seine Fantasie war es nicht sonderlich gut bestellt, aber er war nicht dumm. Er konnte sich ohne weiteres ausmalen, wie die letzten Tage von Frasin aussehen mochten, und das hatte er vor, sich und seiner Familie zu ersparen. Außerdem war er selbst von abergläubischer Angst zerfressen. Was auch immer all die Menschen und Tiere holte, konnte nicht natürlichen Ursprungs sein. Er hatte sich niemals vorstellen können, den Besitz zu verlassen, der sich seit Generationen vom Vater an den Sohn weitergegeben wurde. Es war ein kümmerliches Stück Land, aber es hatte immer ausgereicht, seinen Vorfahren ein anständiges, wenn auch von Armut bestimmtes, Leben zu ermöglichen. Wie leicht ihm die Entscheidung letztendlich fiel, war ein deutliches Zeichen seiner Verzweiflung.
Sie hatten ihren größten Wagen mit allem vollgepackt, das irgendwie von Wert war. Viel war es nicht gewesen, aber zumindest waren die letzten beiden Ernten verhältnismäßig reichlich ausgefallen, und sie hatten einen beruhigenden Vorrat an Nahrung zur Verfügung. Es hatte ja auch nur zu dem einige Tagesreisen entfernten Dorf Brosteni gehen sollen, und nicht bis zur nächsten Ordensburg der Tempelritter, die jetzt ihr Ziel darstellte. In dem kleinen Nachbarort lebte Bozenas Familie, oder vielmehr das, was davon noch übrig war. Die Eltern seiner Frau waren gestorben, als sie selbst noch ein Kind war, und auch sonst war ihre Sippe nicht gerade vom Schicksal verwöhnt worden. Immerhin war es ihrem Onkel nach dem Tod seiner Frau gelungen, mit den beiden Söhnen den bescheidenen Hof zu halten, den sie am Rande des Ortes besaßen. Dieses Gehöft sollte ursprünglich die Zufluchtsstätte, und mit etwas Glück die neue Heimat, ihrer Familie werden. Sie hatten die beiden Ochsen in den frühen Morgenstunden angespannt und waren lange vor Tagesanbruch aufgebrochen.
Die Straßen in dieser Gegend waren, um es milde auszudrücken, in einem erbärmlichen Zustand. Das waren sie schon zu den Zeiten vor dem Grau gewesen, obwohl da noch vereinzelt Kleinhandel betrieben worden war. Inzwischen war es im Grunde gleichgültig, zu welcher Jahreszeit man reiste. Jede Fahrt war eine kleine Katastrophe. Sie brauchten vier Tage, bis sie das Dorf erreichten und jedes Nachtlager war ein Alptraum aus Kälte und Dunkelheit. Trotzdem bestand Miró darauf, dass sie regelmäßig rasteten, anstatt der Bitte von Bozena nachzugeben und den Wagen mit ihr abwechselnd und ohne eine Pause durchfahren zu lassen. Sie fürchtete sich vor der Dunkelheit, dem Kältetod und eventuell herumstreifenden Wölfen. Er aber sorgte sich um das Leben seiner Ochsen, denn wenn die zusammenbrachen, war ihnen der Tod so gut wie sicher. Da er sich durchsetzte, waren die Tiere bei ihrer Ankunft in Brosteni noch bei guter Gesundheit, was sich als wahrer Segen herausstellte.
Sie erreichten den Ortsrand am frühen Mittag. Der Himmel war verhangen und aus dem stahlgrauen, zerwühlten Meer aus Wolken fiel feiner Regen. An diesem Tag war die Kälte schon beinahe winterlich, aber durch den fehlenden Wind besser zu ertragen als an den vorhergegangenen. Im Stillen hatte Miró befürchtet, die Dorfgemeinschaft hier in einer ähnlichen Verfassung vorzufinden, wie die in Frasin. Angespannt, verängstigt und gefährlich misstrauisch. Zunächst war er erleichtert darüber, dass alles so ruhig war. Es schien, dass sich rein gar nichts seit seinem letzten Besuch vor fast zwei Jahren verändert hatte. Noch immer lag der große Dorfplatz still und von einem guten Dutzend alter Kiefern gesäumt im Zentrum der zehn Gehöfte, die den Kern des Ortes ausmachten. Weiter draußen befanden sich über zwanzig kleinere Höfe, zu denen auch der von Bozenas Familie gehörte. Sie waren kreisförmig um den Platz verteilt, in dessen Mitte sich eine niedrige aber geräumige Halle befand, die sowohl zur Versammlung der Bewohner, wie auch als Marktplatz diente. Oder vielmehr gedient hatte.
Die Erleichterung über die ruhige und unaufgeregte Atmosphäre schlug bald in Unglauben und schließlich in Schrecken und Verzweiflung um. Sie suchten den ganzen Tag über nach einer lebenden Seele, verbrachten letztendlich eine grauenvolle Nacht in der verwaisten Halle und brachen am nächsten Morgen auf, sobald sie wieder die Straße erkennen konnten. In Brosteni gab es nichts mehr für sie. Für keinen Menschen und kein Tier,