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geendet hatte und sich seitdem in einem Flügel der Burg verschanzt. Es schien niemanden mehr zu kümmern, was aus dem Jarltum wurde. Die beiden befreundeten Jarle waren ahnungslos und, wie er wohl wusste, selbst mit dem Druck belastet, den die Delegationen der Kirche ausübten.

      Auf dem Jarl av Falksten lastete außerdem doppelte Gram. Erst war seine Schwiegertochter gestorben, dann hatte er die Kunde der Ermordung seiner Tochter bekommen. Er war gerade noch rechtzeitig zur Beisetzung da gewesen und am nächsten Tag gleich wieder abgereist. Sein Sohn war aufgrund des Todes der eigenen Gattin noch immer wie gelähmt und der Gefahr, die durch die Anwesenheit der Kirche herrschte, allein kaum gewachsen. Wie sich gezeigt hatte, galt das auch für Ragnars Herren, den jungen Bjorn av Krakebekk. Der hatte sich freilich mit einem Schlag von jeglichem äußeren Druck befreit. Was der Jarl in seinen Gemächern jetzt tat, wusste er nicht. Er kam nicht mehr zu ihm durch, und das im wahrsten Sinne des Wortes.

      Ein kleiner Kreis aus Kriegern unter einem einzelnen Hauptmann riegelte den Jarl vollständig von der Außenwelt ab. Das galt auch für den alten Majordomus selbst. Es war ihm unverständlich, wie der Jarl ausgerechnet diesem mistigen Schwein sein Vertrauen schenken konnte. Olaf Nemmer war ein Huskarlar in den mittleren Dreißigern, ein dreifacher Veteran des Walls und ein respekteinflößender Kämpfer. Er war stark, mutig und entschlossen in der Schlacht. Darüber hinaus war er ein faules, versoffenes Stück Dreck mit dem Charakter einer tollwütigen Ratte.

      Mit seiner Brutalität sparte er weder an den Kameraden noch an Unschuldigen, ob Frauen oder Kindern. Seine Gemahlin war vor zehn Jahren jung gestorben und nicht wenige waren davon überzeugt, dass sie unter der Behandlung ihres Mannes einfach aufgegeben hatte. Eigene Kinder hatten sie, den Göttern sei es gedankt, keine gehabt. Von da an lebte Nemmer nur noch für den Dienst, wenn man es so nennen wollte. Ragnar hatte bislang nur herausfinden können, dass er maßgeblich an dem blutigen Abschlachten beteiligt gewesen war, das zu den Köpfen auf den Zinnen geführt hatte. Das passte natürlich ins Bild, und vermutlich verwechselte der verwirrte Geist des Jarls die Freude an sinnloser Gewalt dieses Bastards mit Loyalität.

      Wie dem auch war, Olaf Nemmer befehligte jetzt einige Dutzend Männer, darunter Huskarlar und Karls, welche die absolute Macht über die unmittelbare Umgebung des Jarls ausübten. Niemand wurde zu ihm vorgelassen und er verließ den Flügel, in den er sich zurückgezogen hatte, seit Wochen nicht mehr. Er verkroch sich vor der Welt. Dummerweise drehte sich diese Welt jedoch weiter, und es würde nicht mehr lange dauern, bis die Bluttat so weite Wellen schlug, dass ein Sturm losbrach. Ein Sturm, der die meisten Bürger des Jarltums und der gesamten Insel völlig unerwartet treffen würde, wenn nicht bald etwas geschah.

      In Krakeborg, wo Ragnar die meiste Zeit seit dem Tod der Herrin verbracht hatte, ahnte kaum jemand etwas von diesen Vorgängen. Man wusste natürlich von der Ermordung der Lady, nahm aber darüber hinaus an, der Herr befände sich in Trauer und habe sich deswegen von der Welt zurückgezogen. Die Angehörigen der Delegation der Kirche vermisste so oder so niemand. Vermutlich ging man davon aus, dass sie sich mit dem Jarl auf der Burg befanden. Was in gewisser, morbider Art und Weise ja auch den Tatsachen entsprach. Ihre Köpfe waren immerhin noch da.

      In der Hauptstadt ging das Leben seinen gewohnten Gang, wie auch sonst überall im Jarltum. Ragnar hatte dafür gesorgt, dass alle Informationen bei ihm zusammenliefen. Ganz so, als sei der Herr auf dem Festland. Das war ohne Probleme vonstattengegangen. Zum einen kannten und respektierten ihn alle Verantwortlichen, zum anderen wusste man sich ohnehin nicht anders zu helfen, da der Jarl für niemanden zu sprechen war. Wenn man den Wachen, die ihn abschotteten, Schreiben überreichte, nahmen sie diese lapidar entgegen. Er vermutete, dass sie anschließend in einem Ofen landeten. Ob der Jarl überhaupt noch Interesse an Dingen der Außenwelt hatte oder nicht, vermochte er nicht zu sagen. Es war ebenso gut möglich, dass er sich gleichermaßen im Suff wie ihm Wahnsinn wälzte, oder aber sich vor Scham ob seiner Taten versteckte.

      Er könnte sich vor einer Woche in seinem Schlafgemach erhängt haben, und du Narr würdest es nicht wissen, dachte er kopfschüttelnd. Eines war jedenfalls sicher, nämlich das Nemmer und seine Bande mit dem Status quo völlig zufrieden waren. Der Hauptmann hatte nach und nach die übelsten Kerle um sich geschart, die er aufzutreiben vermocht hatte. Inzwischen zählten auch schon einige Karls zu seinem Wachtrupp, die im Grunde nichts auf der Burg zu suchen hatten. Dafür fehlten einige bekannte Gesichter aus den Reihen der Huskarlar. Als Ragnar sich vorsichtig danach erkundigte, brachte er in Erfahrung, dass Nemmer sie in die Hauptstadt abbeordert hatte. Auf die gleiche Weise waren die Karls in die Burg gelangt. Er vermutete, dass es sich um Saufkumpane des Hauptmannes handelte. Er schien seine neu gewonnene Macht leidlich auszunutzen, um sich mit einer Gruppe aus Kriegern zu umgeben, die nur ihm gegenüber loyal waren. Eine eigene kleine Garde von tödlichen Lumpenhunden.

      Es gab nichts, was er direkt dagegen tun konnte. Sein eigener Rang war nur vage definiert und zählte bei diesen Männern nichts. Ohne die Unterstützung des Jarls, oder gar gegen seine Anweisungen, konnte er nichts unternehmen. Er handelte im Grunde genommen schon die ganze Zeit über seine Befugnisse, indem er sich überhaupt um alle Belange kümmerte, die man aus reiner Verzweiflung an ihn herantrug. Durch den Tod der Herrin und die Isolation des Jarls von der Außenwelt war ein Machtvakuum entstanden. Der Teil davon, den er ausfüllte, war dazu geeignet, einige Zeit zu überdauern.

      Der ständig größere werdende Teil, den Nemmer und seine Bande beanspruchten, vergrößerte nur das Unheil, das durch die Tat des Jarls über ihnen allen dräute. Und diesen Männern schien es völlig egal zu sein, was in einem Monat oder einem Jahr mit ihnen und Norselund geschah. Entweder die Tragweite dessen, was hier passiert war, kümmerte sie nicht, oder sie waren zu dumm, um sie zu verstehen.

      In jedem Fall war es an der Zeit zu handeln, so sehr Ragnar die einzige Möglichkeit, die er noch sah, auch wiederstrebte. Er hatte lange mit sich gerungen, vielleicht zu lange. Aber er sah keinen anderen Ausweg mehr. Inzwischen glaubte er auch nicht, dass es überhaupt möglich war, die Lage noch weiter zu verschlimmern, als sie sich in Bälde entwickelt haben würde. Wenn ihn seine Loyalitäten nicht hätten zweifeln lassen, wäre sein Entschluss schon lange vorher gefallen. Das Tagesgeschäft, das an ihm hängenblieb, hatte ihn zusätzlich abgelenkt, doch schließlich hatte er sich zu einer Entscheidung durchgerungen. Jetzt musste er nur noch vorsichtig sein und das Schriftstück, das er vergangene Nacht aufgesetzt hatte, sicher auf den Weg bringen. Vorsicht war dieser Tage auf und um Krakesten selbst für die Menschen eine bittere Notwendigkeit, die ihr ganzes Leben hier verbracht hatten.

      Er ließ den Obstgarten hinter sich zurück und betrat er den Seitenflügel der Burg, um sich zielstrebig auf den Weg zur Küche zu machen. Die Gänge waren menschenleer und es herrschte eine ungewöhnliche Ruhe. Von außen wie von innen schien der größte Teil von Krakesten in einer Art unheilvollem Schlaf zu liegen. Vielleicht übertrug er seine düsteren Gedanken auch nur auf seine Umgebung. Von dem Betreten des Gartens bis zum Erreichen der schweren Eisenholztür, die zur Burgküche führte, begegnete er keiner Menschenseele. Auch keiner einzigen Wache. Die neue Garde, wenn man sie denn so nennen wollte, bewachte das Haupttor und riegelte den Westflügel mitsamt dem Jarl hermetisch ab. Der Rest der Festungsanlage schien sie nicht zu interessieren.

      Während er die Tür aufdrückte, fragte sich Ragnar, ob sich in seiner Abwesenheit überhaupt noch jemand um so etwas wie eine funktionierende Wacheinteilung gekümmert hatte. Er durchmaß einen fünf Schritte langen, schmalen Gang und stand dann mitten in der großen Burgküche. Es gab noch zwei kleinere, unter anderem auch in dem abgeschotteten Westflügel. Diese hier war jedoch für die Versorgung der gesamten Burg zuständig und das alleinige Reich von Harald Korhonen.

      Der gewaltig anzuschauende Koch saß denn auch gerade auf dem massiven Lehnstuhl, der wie ein Thron mittig an der dem Eingang gegenüberliegenden Wand aufgebaut war. Das Möbelstück stand auf einem kleinen Podest, von dem aus man den vollständigen, zwanzig Schritte durchmessenden Raum überblicken konnte, selbst wenn zwei Dutzend Gehilfen darin arbeiteten. Im Moment waren nur zwei anwesend, junge Burschen, deren Gesichter noch keinen richtigen Bartwuchs aufwiesen. Einer fegte den Boden, der andere putzte einen Kessel, der so groß war, dass sein halber Oberkörper darin verschwand. Korhonen steckte sich den Rest eines Stückes Käse in den Mund, kaute kurz, schluckte und erhob sich von seinem Stuhl. Ragnar trat näher und lächelte unwillkürlich.

      Der

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