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Gesellschaft sind von großer Wichtigkeit gemeinsame, verbindliche Institutionen und Ordnungen sowie gesamtgesellschaftlich anerkannte Verfahrens- und Spielregeln, denen die praktizierten Verhaltensweisen entsprechen sollten, die man als politischen Stil und in einem umfassenderen Sinn als politische Kultur bezeichnet. „Als besonders konsensgefährdend müssen angesehen werden Intoleranz und falsche Polarisierung, d. h. die Umdeutung von Gegnerschaft in Feindschaft; ferner der Missbrauch von Regeln und Institutionen des Zusammenlebens gegen ihren gemeinten Sinn; schließlich aber auch zu hohe Konsenserwartungen und die Neigung, Interessenkonflikte unnötigerweise zu Ordnungs- und Wertkonflikten zu steigern. Konsens muss bis zu einem gewissen Grad auch als Ergebnis freiheitlicher Politik betrachtet werden, als Ergebnis eines politischen Umgangs miteinander und mit den Institutionen nach Maßstäben wie Toleranz, Gerechtigkeitssinn, Einsicht in die Relativität politischer ‚Wahrheiten‘ “34. Hier sind Maßstäbe gesetzt für eine politische Kultur angemessenen Umgangs und der Austragung von Konflikten, insbesondere für die Findung von Kompromissen; Politik ist ja vor allem Kompromisshandeln. Eine offene Gesellschaft basiert auf einem verpflichtenden Minimalkonsens über demokratische Grundordnung, aber darüber hinaus auch auf einem möglichst breiten Konsens über praktische Verfahren streitiger Auseinandersetzung. Unter den Motiven für einen zivilisierten Meinungsstreit sind folgende besonders wichtig35:

      Ethikmotiv: Einhaltung ethischer Prinzipien und Mindeststandards. Politik soll verantwortungsvolles Miteinander beinhalten: Gemeint sind vor allem grundlegende gegenseitige Achtung der Streitpartner, „Eingehen“ auf den politischen Gegner, Zuhörenkönnen, Einhalten von Spielregeln, Fairness, Vermeidung von Formen persönlicher Herabsetzung und Demütigung; viele dieser Qualitäten sind auch Voraussetzung für die Zielerreichung der folgenden Kategorie;

      Effizienzmotiv: Vermeidung von Reibungsverlusten durch kultivierte Formen des Streitaustrags; Ziel sind rationale Debatte und bessere Entscheidungsfindung; gefordert sind Sachlichkeit, gute Begründungen, sprachliche Ausdrucksfähigkeit, begriffliche Klarheit, Trennung von Information und Wertung;

      Partizipationsmotiv: Wecken von politischem Interesse und Mitwirkungsbereitschaft, Vermeidung sog. Politikverdrossenheit, Verbesserung der Beteiligungschancen an politischer Willensbildung;

      Bildungsmotiv: Erfüllung kultureller Ansprüche der Hörer bezüglich Logik, Empirik, Ästhetik; Wunsch der Auditorien nach historischem, literarischem, naturwissenschaftlichem und sonstigem Wissen und nach der Vermittlung von Zeitdiagnose und politischem Orientierungswissen; Befriedigung der Ansprüche an sprachliche Form und gesamtrhetorische Darbietung;

      Persuasionsmotiv: Erreichen von Akzeptanz des Publikums durch Einsatz der breiten Palette glaubenerweckender Überzeugungsmittel; es geht hier um das eigentliche Redeziel, nämlich die Zustimmung des Publikums zu gewinnen;

      Identifikationsmotiv: Schaffung von mehr Gemeinsamkeit und sozialer Identität; Stiftung von Bindungen durch Ausschöpfen von Konsensressourcen, auch durch Anerkennung des politischen Pluralismus und eines hierfür notwendigen Minimalkonsenses für den Streitaustrag.

      Eine Erörterung der demokratischer Ordnung angemessenen Streitkultur wird sich zunächst einmal auf die Einhaltung des Regelkonsenses richten, der den demokratischen Verfassungsstaat trägt; es gibt und gab ja durchaus die Infragestellung des Mehrheitsprinzips und der Legitimität von rechtmäßig zustande gekommenen Entscheidungen aus angeblich übergeordneten Gründen, z. B. wegen eines notwendigen Schutzes der Menschen vor Folgen der Kernenergie, der „Nachrüstung“, der Gentechnologie usf., aber auch Reaktionen auf extremistische und insbesondere terroristische Aktivitäten mit der Forderung, liberale Freiheitsrechte und Konfliktregelungsmechanismen außer Kraft zu setzen. Zur Grundlage demokratischer Ordnung gehört immer ein fundamentales Misstrauen gegen alles Absolute, im Gegensatz zum totalen, transzendenten Anspruch des Glaubens: Politik ist immer unvollkommen, unzulänglich, entsprechend vorläufig, zielt auf Verbesserungen, aber nicht auf eine vollkommene Welt im Sinne von absoluten Heilswahrheiten; es gibt keine perfekten Lösungen, keine todsicheren Rezepte; die Ansprüche der Politik sind zeitlich und inhaltlich begrenzt. Die weit verbreitete Neigung von Vertretern aus Politik, Verbänden, Medien etc., ihren politischen Vorschlägen durch doktrinäre Ableitung aus der Verfassung den Charakter des Apodiktischen, Unbestreitbaren zu verleihen, ist zu bekämpfen, indem sorgfältig unterschieden wird zwischen einigen wenigen Wert- und Ordnungsfragen und Verfahrensprinzipien, die dem politischen Streit entzogen bleiben sollen, und politischen Gestaltungsvorschlägen, die, auf der Basis dieser Prinzipien entwickelt, der streitigen Betrachtung nicht entzogen sein dürfen. Die vorschnelle, wenig begründete Hochstilisierung von politischen Konflikten zu Verfassungs- und Rechtskonflikten gehört zur politischen Malaise, den politischen Gegner zu stigmatisieren und eigene Meinungen zu tabuisieren.

      Eine wesentliche Frage ist, inwieweit sich bei uns ein demokratischer Kultur angemessener Argumentations- und Diskutierstil und insbesondere eine gewaltfreie Konfliktaustragung herausgebildet haben. Demokratische Ordnung als rationale Form der Politik erfordert ja in gewissem Maße wechselseitige Toleranz, Gesprächsbereitschaft und Verstehenwollen, rationale Urteilsfindung und verständigungsorientiertes Handeln, schließt damit übertriebene Gegnerschaft, Wirklichkeitsverweigerung, Radikalisierung aus; zu denken ist hier an Beschimpfungen, Diffamierungen, Politik als Boxkampf, Schwarz-Weiß-Malerei, unzulässige Vereinfachungen und apodiktischen Behauptungsstil, Katastrophen- und Verschwörungsrhetorik, Sendungsbewusstsein und messianisches Denken, Sensationslust. Wesentliche Defizite politischer Kommunikationskultur lassen sich beschreiben mit den Begriffen der Extremisierung, Hostilisierung, Moralisierung, Tabuisierung, Skandalisierung und Katastrophierung; solche Phänomene gewaltbesetzten Streits gefährden die Herausbildung von Gemeinsamkeiten und Konsensressourcen.

      Die in der Diskussion über politische Rhetorik meistverbreiteten Begriffe wie Public Relations, politische Werbung, Propaganda, die sich ja auf alle Versuche beziehen, durch Kommunikation die Meinungen, Attitüden, Verhaltensweisen von Zielgruppen zu beeinflussen, tragen wenig zur Bestimmung der Gewaltrhetorik bei, am ehesten lässt sich diese als spezifische Form der Demagogie verstehen mit ihren Appellen an Instinkte und Vorurteile, ihren Tendenzen zu Hetze und Lüge, der groben Vereinfachung der Sachverhalte, der Darstellung der Problemlösungen als Meinung aller Gutgesinnten. Auch wäre der Schopenhauer’sche Begriff der eristischen Dialektik einigermaßen zutreffend; hier handelt es sich um eine Kunstlehre, um in einem Disput „per fas et nefas“, d. h. mit erlaubten und unerlaubten Mitteln, als derjenige zu erscheinen, der sich im Recht befindet. Hierfür steht ein Arsenal von rhetorischen Strategemen zur Verfügung, die nicht der Wahrheitsfindung dienen, sondern dem Erfolg im Meinungsstreit. Allerdings handelt es sich bei der Gewaltrhetorik um eine spezielle Strategie oder besser: um einen besonderen Typus von Strategie.

      Auch der Begriff der Manipulation führt im Rahmen unserer Fragestellung nicht viel weiter, weil ein „konsumentenfreundlicher Verkauf“ der „Ware Politik“ eine zentrale Funktion jeder politischen Rhetorik darstellt und bestimmte manipulative Techniken erfordert, wie sie schon der Begriff nahelegt: auf andere zu seinem eigenen Vorteil einwirken; bewusster und gezielter Einfluss auf Menschen ohne deren Wissen und oft gegen deren Willen; absichtliche Verfälschung von Informationen; undurchsichtige Kniffe; Anpassung der Politik an Verständnisse und Bedürfnisse der Zuhörer; unauffällige Beeinflussung der Handlungsmotivationen von Individuen, die frei und im eigenen Interesse zu handeln meinen; Konditionierung durch moderne Werbetechniken; Bedürfnisse und Wertmaßstäbe der Einzelnen dem Ziel der Manipulation gefügig machen. An Strategien sind hier vor allem zu nennen: Trivialisierung; Stereotypisierung, Klischierung; Standardisierung; Formalisierung; Bipolarisierung; Personalisierung; als wesentliches Merkmal der Manipulation wird häufig genannt die Anwendung von Begriffen mit beträchtlicher Variationsbreite und einem hohen Maß an Elastizität, die vielfältige positiv besetzte Konnotationen erlauben, wie Glück, Liebe, Natur, Wohlfahrt etc., also an emotionale Identifikationen appellieren und so Zustimmungsbereitschaft fördern. Aber das ist geradezu die Kernaufgabe politischer Rhetorik, nämlich Glauben zu finden mit diesen Praktiken der Gewaltlosigkeit, die also die von uns entwickelten Formen gewaltbesetzten Sprechens vermeiden.

      Auch kann es im Rahmen unserer Fragestellung nicht um weit verbreitete Verstöße gegen Sprach- und Sprechnormen gehen wie z. B. Unverständlichkeit, Unklarheit, Vieldeutigkeit, Formelhaftigkeit,

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