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blieb kurz liegen, atmete tief durch, konzentrierte sich auf seine Aufgabe, die Nachricht des Alchimisten zu überbringen. Das hätte ihm noch gefehlt, dass ihm der schwere Leuchter mitsamt der Kerze auf den Kopf gefallen wäre und dabei eventuell seine Kutte in Brand gesteckt hätte.

      Er rappelte sich wieder hoch, nahm die Treppe erneut in Angriff, ohne zu fallen diesmal und stürmte weiter nach oben. Zu der brennenden Lunge kamen nun auch noch die Schmerzen von dem Sturz dazu. Sein Kopf pochte und sein Knöchel fühlte sich an, als wäre er leicht verstaucht.

      Es warteten noch weitere drei Etagen auf ihn und damit drei weitere lange und hohe Treppen, bis er in den Räumlichkeiten des Abtes angekommen war. Die anderen Mönche, an denen er vorbei lief, schauten ihm mit fragenden Blicken hinterher. Warum er so schnell lief, was denn wohl so dringend war, dass Marcus nicht in dem gewöhnlichen Tempo ging.

      Er hetzte weiter, ließ seine Mönchsbrüder unbeachtet stehen, machte sich auch keine Gedanken darüber, was sie denken mochten.

      Marcus war einer der vier Mönche des Monasterium Diabolica Naturae, die dem Alchimisten als Gehilfen dienten und hatte heute, an diesem denkwürdigen Tage, seinen Dienst gerade erst angetreten, als dieser die entscheidende Entdeckung machte.

      Der Alchimist war ein beinahe sechzigjähriger Griesgram, stets mürrisch und schlecht gelaunt, aber auf seinem Gebiet einer der besten seiner Zeit, wenn nicht gar der Beste überhaupt. Und am heutigen Tage hatte er es vollbracht. Es war ein langer Weg gewesen, dieses Ziel zu erreichen, doch nun war es soweit. Deswegen rannte Marcus sich die Lunge aus dem Hals, denn der Abt musste unbedingt sofort hiervon unterrichtet werden.

      Das Monasterium Diabolica Naturae befand sich noch im Bau, war bei Weitem noch nicht fertiggestellt. Es wurde im Auftrage des derzeit amtierenden Papstes Honorius erstellt. Honorius war ein Verfechter des Monotheletismus, der Zweinaturenlehre. Doch hatte Honorius so seine eigenen Gedanken und Ideen hierzu. Er war der festen Meinung, dass es sich um eine Dreinaturenlehre handeln müsse.

      So gab er bereits kurz nach seiner Amtseinführung den Auftrag dieses Kloster zu bauen, im Geheimen. Niemand sollte erfahren, dass es das gibt.

      Die Mönche mussten bevor sie hier ihren Dienst antraten ein Gelübde ablegen, durften niemals darüber reden. Andernfalls drohte ihnen das Inferno, die Entsagung zu Gott und schlimme Foltern. Eine weitere Sicherheitsstufe war, dass nur ausgewählte Mönche, nachdem sie denn einmal hier waren, das Kloster verlassen durften. Und das dann auch nur für Besorgungen, oder andere Aufträge, die ihnen übertragen wurden.

      Das Kloster wurde ganz bewusst auf dem Gipfel des Gran Paradiso erbaut. Ein Gipfel der nur mit allergrößten Mühen erreicht werden konnte. Damit erhoffte man sich, dass es niemals entdeckt werden würde. Die Katakomben reichten tief in den Berg hinein. Der Bau begann bereits nur ein halbes Jahr nach der Amtseinführung des Papstes, im Sommer des Jahres 626 n.Chr., dauerte nun schon über zwölf Jahre an. Doch die heutige Entdeckung würde ihr Übriges dazu beitragen, das die Mönche den Bau schneller voran treiben würden und sich die Existenz des Klosters im Grundsatz bestätigte.

      Dazu kam, dass es dem Papst, wie sie erfahren haben, in letzter Zeit gesundheitlich nicht so gut ging. Ein Grund mehr, die Information über den erreichten Erfolg so schnell wie nur möglich weiter zu tragen. Der Abt musste dann entscheiden, wie die Nachricht zum Pontifex nach Rom gelangen sollte.

      Marcus kam an den Gemächern des Abtes an. Er bekam kaum noch Luft, verlor jedoch keine Zeit und klopfte wild an die schwere Tür. „Rigidius! Rigidius, seid ihr da?“, rief er, immer noch völlig atemlos, so laut er konnte. Nichts regte sich.

      Marcus wollte gerade erneut anklopfen, als sich die Tür schwerfällig und langsam zu öffnen begann, die Scharniere quietschten dabei. Hinter dem größer werdenden Spalt kam der Abt zum Vorschein. „Was gibt es denn?“, fragte er missgelaunt, da die Art der Störung doch sehr ungewöhnlich und unüblich war. „Marcus, warum atmest du so schwer?“

      „Der Alchimist, unser allseits geschätzter Junos, er hat es geschafft. Er hat sie einfangen können. Er hat den Weg zur Bannung gefunden!“, sprudelte es aus Marcus heraus.

      „Was willst du damit sagen?“, fragte Rigidius misstrauisch.

      „Er hat es geschafft!“, wiederholte Marcus nur, als wenn damit alles gesagt war, was es zu sagen gab. Rigidius starrte ihn nur ungläubig an. „Ist es wahr? Wirklich wahr? Es ist tatsächlich passiert, sagst du? Nun, dann komm! Ich will mir selber ein Bild davon machen. Und kein Wort zu niemanden!“

      Gemeinsam schritten Rigidius und Marcus hinab in die Katakomben des Klosters, durch die Gruft bis hin zu dem Alchimisten und seinem Laboratorium. Dort angekommen hob Junos den Kopf, strich sich die langen weißen Haare aus dem Gesicht. Als er sah, dass der Abt ihm höchstpersönlich die Ehre erwies, strahlte er, beflügelt durch seinen Erfolg, über das ganze Gesicht. Die tiefen Falten verzogen sich in grotesker Weise, so dass man kaum erkennen konnte, dass es sich dabei um ein Lächeln handelte.

      „Guten Abend Junos. Marcus sagt, Ihr habet das Ziel erreicht!“ Rigidius stand da und schaute sich um. Es sah aus wie immer.

      „Ja, mein Herr“, erwiderte Junos. „Begleitet mich.“, forderte dieser den Abt auf ihm in einen der hinteren Räume zu geleiten. Marcus blieb stehen und wartete. Er wusste, dass er dort in den geheimen Hinterräumen des Laboratoriums keinen Zutritt hatte. Es war das Allerheiligste des Meisters der Magie. Niemand, außer dem Alchimisten selbst, hatte dort Zutritt, ausgenommen der Abt. Aber selbst er nur in Begleitung des Alchimisten.

      Junos öffnete die schwere Tür, die aus dem Stein des Berges gehauen war und ließ dem Abt respektvoll den Vortritt.

      Rigidius war gespannt auf das Ergebnis. Junos schritt zu seinem Tisch, auf dem einige Gefäße standen, in denen sich unterschiedlich gefärbte Flüssigkeiten befanden.

      „Nun, dann berichtet!“, forderte der Abt den Alchimisten auf. „Ja, natürlich, sofort.“ Junos stellte die Gefäße in eine andere Reihenfolge. Ob dies etwas zu bedeuten hatte, erschloss sich Rigidius nicht.

      „Ich hatte schon vor der Zeit von Honorius meine Forschungen an der Bindung begonnen, müsst ihr wissen. Durch die Aufgabe, die mich dann hierher geführt hat, fiel es mir selbstverständlich leichter voran zu kommen, weil ich mehr Zeit aufbringen und mich ausschließlich darauf konzentrieren konnte.“, begann Junos.

      „Es hat einige Zeit gedauert. Die Schwierigkeit lag hauptsächlich darin, den richtigen Zeitpunkt herauszufinden. Das war nicht so einfach, weil mir auch die notwendigen Mittel fehlten. Meine Theorie über das WIE habe ich relativ früh bestätigen können. Doch nun, am heutigen Tage, konnte ich endlich den genauen Zeitpunkt, das WANN, definieren.“

      Junos machte eine kleine Pause, strich sich dabei durch seinen langen, grauen Bart. Rigidius wartete geduldig, bis sein Alchimist fortfuhr.

      „Hilfreich waren natürlich auch die zur Verfügung stehenden Mittel, die ich vorher eben nicht hatte.“

      Die Mittel. Das waren todkranke Menschen, die in Massen zum Kloster gebracht wurden, damit Junos genügend Material bekam für seine Forschungen. Diese Menschen stammten aus den größeren in der Nähe gelegenen Ortschaften. Aus Italien, aber auch aus den angrenzenden Ländern, der Schweiz und Frankreich. Es waren Bettler aus den dunkelsten Gassen, Verbrecher jeglicher Art aus den tiefsten Verliesen. Menschen eben, die keiner vermissen würde.

      „Bei dem WIE...“, fuhr Junos fort. „... da halfen mir alle möglichen Tinkturen, die ich vorher an Tieren erproben konnte und mit denen man die Herzgegend, als auch die Nase von innen und außen einreiben muss. Eine Auswahl der Tinkturen seht Ihr hier auf meinem Tisch. Doch das WANN hatte mir Kopfzerbrechen bereitet, bis heute. Ich habe endlich den genauen Zeitpunkt herausfinden können. Es war nicht leicht und es bedarf einer absolut exakten Handlung in genau diesem Moment.“

      „Nun kommt bitte zur Sache und lasset mich nicht weiter im Unklaren“, forderte Rigidius ihn auf.

      „Selbstverständlich mein Abt. Also, der Zeitraum, in dem es geschehen muss, ist so minimal, dass man sich keinen Fehler erlauben darf. Es muss exakt nach dem letzten Atemzug passieren, kurz

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