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zur „Arbeitsgemeinschaft Nord-West“ als Gegengewicht zu München zusammen. Goebbels übernahm hierbei den Posten des Geschäftsführers.105

      In diesem Zusammenhang wurde es ihm immer wichtiger, Hitler auf seiner Seite zu wissen. In seinem Tagebuch sprach er sich selbst Mut zu, indem er sich einredete: „Hitler steht zwischen beiden Meinungen. Aber er ist im Begriff ganz zu uns herüberzukommen. Denn er ist jung und versteht das Opfern.“106

      Einen Monat später musste er allerdings, nachdem er am 27. September zum Geschäftsführer des Gaues Rheinland-Nord gewählt worden war, mit schlechten Nachrichten zurechtkommen:

      „Brief von Straßer. Hitler traut mir nicht. Er hat über mich geschimpft. Wie weh mir das tut. Wenn er am 25.X. in Hamm mir Vorwürfe macht, dann gehe ich. Ich kann das nicht auch noch ertragen. Alles opfern, und dann noch Vorwürfe von Hitler selbst. In München sind Lumpen am Werke: Dummköpfe, die keinen Kopf neben sich dulden. Weil sie im Verhältnis zu ihm allzuleicht als Dummköpfe erkannt würden. Deshalb der Kampf gegen Straßer und mich. (…) Könnte man einmal auf zwei Stunden mit Hitler allein sein. Dann müßte sich alles klären.“107

      Goebbels machte es sich einfach, indem er Hitlers Unmut dem schlechten Einfluss seiner Umgebung anlastete, denn dann musste er sich nicht eingestehen, dass sie tatsächlich zum Teil unterschiedliche politische Vorstellungen hatten.

      Anders als Hitler differenzierte Goebbels zwischen Bolschewismus und Kommunismus. Den ersteren bezeichnete er als eine nationale Sache, lediglich den letzteren verurteilte er als jüdisch-international und lehnte ihn daher ab. Auch sah er in der künftigen Außenpolitik des Reiches – im Gegensatz zu Hitler - Russland als Verbündeten. Besonders im Zusammenhang mit den Verhandlungen in Locarno, die am 5. Oktober 1925 begonnen hatten, fürchteten die Elberfelder eine „Kampffront“ des Westens gegen Russland und sprachen sich dagegen aus.108

      In seinem Tagebuch äußerte sich Goebbels immer wieder zuversichtlich, dass sich alle Missverständnisse klären würden, sobald er Hitler nur persönlich zu Gesicht bekäme. Die vorhandenen Differenzen vollkommen verdrängend, schrieb er, nachdem er Hitlers Mein Kampf zu Ende gelesen hatte: „Wer ist dieser Mann? Halb Plebejer, halb Gott! Tatsächlich der Christus, oder nur der Johannes?“109 Hierbei kommt die religiöse Dimension seiner Führersehnsucht gut zum Ausdruck. Er konnte sich nicht entscheiden, ob Hitler als politischer Führer nun mit einem christlichen Propheten oder mit Christus selbst zu vergleichen ist. Sagte er den Erlöser voraus oder brachte er sogar dem Volk die Rettung?110 Tatsächlich tendierte er bereits zu diesem Zeitpunkt immer mehr zum Letzteren.

      Im Rahmen seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der „Arbeitsgemeinschaft Nord-West“ beschäftigte Goebbels die Umgestaltung des Parteiprogramms. In letzter Konsequenz hofften er und Strasser das Parteiprogramm von 1920 ersetzen zu können, das sie für unzulänglich und reformbedürftig hielten.111 Goebbels nahm sich vor, Hitler wegen des Parteiprogramms zur Rede zu stellen: „Wir müssen an Hitler herankommen. (…) Das Programm, die geistigen und wirtschaftlichen Grundlagen, alles das ist noch so ungeklärt; - bei mir nicht, umso mehr bei den anderen. Damit macht man keine Revolution.“112

      Anders als zunächst erhofft, begegnete Goebbels Hitler erst wieder am 4. November 1925 in Braunschweig. Obwohl es auch hier nicht zu einer Klärung der programmatischen Streitfragen kam, zeigte sich Goebbels von seinem „Führer“ gänzlich hingerissen:

      „Wir fahren mit dem Auto zu Hitler. Er ist gerade beim Essen. Schon springt er auf, da steht er vor uns. Drückt mir die Hand. Wie ein alter Freund. Und diese großen, blauen Augen. Wie Sterne. Er freut sich, mich zu sehen. Ich bin ganz beglückt. (…) Dann spricht er hier noch eine halbe Stunde. Mit Witz, Ironie, Humor, Sarkasmus, mit Ernst, mit Glut, mit Leidenschaft. Alles hat dieser Mann, um König zu sein. Der geborene Volkstribun. Der kommende Diktator.“113

      Hitler erkannte ziemlich schnell, dass Goebbels nicht nur als ideologischer Kopf des Strasser-Flügels über außergewöhnlich intellektuellen Fähigkeiten verfügte und ein brillanter Propagandist war, sondern dass er darüber hinaus ihn wie kein anderer verehrte und so wahrnahm, wie er gesehen werden wollte: als den Gesandten einer höheren Macht. Dabei lechzte Goebbels nach Liebe und Anerkennung und so nahm Hitler sich seiner an, indem er ihm seine Aufmerksamkeit schenkte und ihm schmeichelte,114 ihn geradezu verführte. Goebbels schien die Gegenwart seines „Führers“ zu berauschen. Schnell vergaß er, dass über die gegensätzliche Programmatik keinerlei Aussprache stattgefunden hatte und politische Fragen allgemein noch nicht besprochen wurden. Er fürchtete kaum etwas mehr als eine Zerstörung seiner seelischen Bindung an Hitler. Nach ihrer dritten Begegnung in Plauen am 22. November 1925 hielt Goebbels fest:

      „Ich komme an. Hitler ist da. Meine Freude ist groß. Er begrüßt mich wie einen alten Freund. Und umhegt mich. Wie lieb ich ihn! So ein Kerl! Und er erzählt den ganzen Abend. Ich kann nicht genug hören. Eine kleine Versammlung. Ich muß auf seinen Wunsch zuerst sprechen. Und dann redet er. Wie klein ich bin! Er gibt mir sein Bild. Mit einem Gruß ans Rheinland. Heil Hitler! (…) Ich möchte Hitler als Freund haben. Sein Bild steht auf meinem Tisch. Ich könnte es nicht ertragen, an diesem Mann verzweifeln zu müssen.“115

      Zum Weihnachtsfest schickte ihm Hitler ein in Leder gebundenes Exemplar von Mein Kampf mit Widmung für die „vorbildliche Art Ihres Kampfes“. Goebbels war hingerissen.116 Liest man die Tagebucheintragungen, so macht es den Eindruck, als hätte er sich in Hitler geradezu verliebt.117 Die nachgewiesene Führersehnsucht und die in diesem Zusammenhang erfolgte Erwählung Hitlers zeigen auf, dass Goebbels keinesfalls als Opportunist ein Anhänger Hitlers wurde.118

      III. Die Bamberger Führertagung

      Am 22. November 1925 wurde nach Hitlers Genehmigung die „Arbeitsgemeinschaft Nord-West“ nunmehr auch offiziell gegründet. Die Mitglieder dieser beauftragten unter anderem Kaufmann119 und Goebbels, den die Umgestaltung des Parteiprogramms bereits beschäftigt hatte, bis Mitte Dezember einen Entwurf für ein neues Parteiprogramm vorzulegen.120 Zwar ist das von Goebbels entworfene Programm nicht überliefert, sicherlich kamen aber hierbei seine sozialistischen Ideen zum Ausdruck. In der Außenpolitik plädierte er wohl für eine Annäherung an Russland.121

      Am 24. Januar 1926 kamen in Hannover die norddeutschen Gauleiter zusammen, um über das zukünftige Parteiprogramm zu diskutieren. Das, was in Hannover schließlich verabschiedet wurde, deklarierte man als Material für eine in Aussicht genommene Revision des 25-Punkte-Programms. Die Versammlung beschloss des Weiteren einstimmig, die für Juni geplante Volksabstimmung über die entschädigungslose Enteignung der deutschen Fürsten zu unterstützen – eine Entscheidung, die den Ansichten in München vollkommen widersprach, bemühte sich Hitler doch um Bürgertum und Wirtschaft.122

      Die Versammlung in Hannover richtete sich jedoch keineswegs gegen Hitler. Die „Arbeitsgemeinschaft“ beabsichtigte nicht, sich von der NSDAP abzuspalten.123 Goebbels fühlte sich keinesfalls als Teil einer Anti-Hitler-Front, die ja auch nicht existierte. Vielmehr hoffte er seinen „Führer“ für den Sozialismus zu gewinnen. Er wollte ihn vom Einfluss seiner falschen Berater befreien. Obwohl er Anfang Februar feststellte, dass Hitler wütend wegen des Programms sei, wartete er voller Zuversicht auf die „Entscheidung“ von Bamberg.124 Dorthin hatte Hitler am 14. Februar 1926 eine Führertagung einberufen, um einige „wichtige Fragen“ zu besprechen. Tatsächlich sah er in einem neuen Programm eine Bedrohung für seine Autorität.125 Davon nichts ahnend, notierte Goebbels in seinem Tagebuch: „Wir werden in Bamberg die spröde Schöne sein und Hitler auf unser Terrain locken. In allen Städten bemerke ich mit heller Freude, daß unser, d.h. der sozialistische Geist marschiert. Kein Mensch glaubt mehr an München. Elberfeld soll das Mekka des deutschen Sozialismus werden.“126

      Allzu bald wurde Goebbels, der am 13. Februar in Bamberg mit Strasser zusammentraf, aus seiner „Traumwelt“ herausgerissen. Das Bild, das er sich von Hitler zurechtgelegt hatte, entsprach keinesfalls der Realität. Goebbels war von Hitlers Rede auf der Tagung schockiert:

      „Ich

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