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Dennoch wird selbst in Biographien über Adolf Hitler und Joseph Goebbels lediglich am Rande und äußerst punktuell auf die Beziehung der beiden zueinander eingegangen.4 Eine Ausnahme bildet Erwin Barths veröffentlichte Dissertation.5 Anhand der Tagebücher, Reden, Artikel und sonstiger Aufzeichnungen Joseph Goebbels` setzt er sich mit der Mythisierung Hitlers durch Goebbels auseinander, die er als einen entscheidenden Faktor für den Erfolg der Nationalsozialisten in den letzten Jahren der Weimarer Republik ansieht.

      Weiterhin beachtenswert sind die beiden Darstellungen von Claus-Ekkehard Bärsch, die mittels eines psychobiographischen und religionspsychologischen Ansatzes die ideologischen Komponenten von Joseph Goebbels untersuchen.6 Mit der „Führersehnsucht“, die hierbei nachgewiesen wird, beschäftigen sich des Weitern Ian Kershaw in seiner Abhandlung über den „Hitler-Mythos“7 sowie Kurt Sontheimer, der das antidemokratische Denken in der Weimarer Republik im Gesamten dokumentiert und eingehend analysiert hat.8

      Thomas Friedrichs in seinem Werk „Die missbrauchte Hauptstadt“ aufgeworfene These, Goebbels sei bei wirklich entscheidenden strategischen Fragen von Hitler nie zu Rate gezogen worden,9 wird eingehend überprüft werden. Es stellen sich die Fragen: Inwieweit stilisierte sich Goebbels zum engsten Vertrauten Hitlers, ohne dieser tatsächlich zu sein? Welche Rolle in der NSDAP wurde ihm von Hitler zugeteilt?

      Im Jahre 2006 wurde die Edition sämtlicher vorhandener Goebbels-Tagebücher abgeschlossen. Die bereits 1987 fragmentarisch publizierten handschriftlichen Aufzeichnungen, die für die hier zu behandelnde Zeit von Bedeutung sind, wurden neu und vor allem vollständig herausgegeben. Somit können in dieser Arbeit die zwischen 2004 und 2006 erstmals veröffentlichten und daher noch in der Forschung weniger beachteten Tagebuchpassagen im Hinblick auf das sich dort bietende Hitlerbild beleuchtet werden. Die nun neu zugänglichen Tagebucheintragungen betreffen folgende Zeitabschnitte: 17. Oktober 1923 bis 26. Juni 1924, 31. Oktober 1926 bis 14. April 1928 sowie 21. August 1931 bis 31. Dezember 1931. Da die ursprünglich verfügbare Tagebuchüberlieferung des Jahres 1932 zum Teil stark gestört ist, wurde in der Forschung ersatzweise das den nationalsozialistischen Machtkampf verherrlichende Dokument „Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei: eine historische Darstellung in Tagebuchblättern“10 zur Interpretation herangezogen. Dieses Goebbels-Buch deckt den Zeitraum zwischen dem 1. Januar 1932 und dem 1. Mai 1933 ab. In der folgenden Arbeit werden jedoch die seit 2006 vollständig publizierten Original-Tagebucheintragungen der stilistisch und inhaltlich nachgebesserten Version vorgezogen.

      Um Goebbels` Haltung gegenüber Hitler nachvollziehen zu können, wird in dieser Darstellung zunächst auf die Herkunft und Mentalität des späteren Berliner Gauleiters eingegangen. Die Arbeit endet mit seiner Ernennung zum Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda am 14. März 1933, dem Tag, an dem Goebbels` Annahme, dass nur an der Seite Hitlers sein Weg in die Zukunft erfolgen könne, sich zu bewahrheiten schien.

      I. Joseph Goebbels` Führersehnsucht

      Joseph Goebbels wurde am 29.10.1897 als Sohn des Buchhalters Fritz Goebbels und dessen Ehefrau Maria Katharina in Rheydt am Niederrhein geboren. Er wuchs in einem katholischen Elternhaus mit vier Geschwistern auf. Im Kleinkindalter erkrankte er an einer Knochenmarkentzündung, die zu einer Lähmung im rechten Bein führte. In der Folge entwickelte sich das Bein allmählich zum Klumpfuß. Diese körperliche Benachteiligung suchte Goebbels zeitlebens durch geistige Überlegenheit zu kompensieren. Bereits in der Schulzeit hatten seine Behinderung und die als nicht standesgemäß empfundene Herkunft seinen Ehrgeiz angestachelt.11

      Von der vaterländischen Euphorie ergriffen, meldete er sich zu Beginn des Ersten Weltkrieges als Freiwilliger. Wegen seiner Gehbehinderung wurde er jedoch als wehruntauglich abgelehnt – die Felderfahrung konnte er somit später nicht mit Hitler teilen. Im Jahre 1917 machte er Abitur. Von 1917 bis 1921 studierte er Germanistik, Altphilologie und Geschichte.

      Das Kriegsende und die Niederlage trafen Goebbels, wie Millionen anderer Menschen in Deutschland auch, völlig unvorbereitet. Die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft, verbunden mit dem Glauben an eine „wahre Volksgemeinschaft“, wurden zunichte gemacht.12 Als am 19. Januar 1919 die Wahlen zur deutschen Nationalversammlung stattfanden, wählte er gemäß der Tradition seines katholischen Elternhauses die Bayerische Volkspartei. Zu diesem Zeitpunkt fühlte er sich den Deutschnationalen am nächsten, konnte aber nicht für sie stimmen, da sie in Bayern – Goebbels studierte in Würzburg – nicht angetreten waren.13

      Interessanterweise scheint, im Gegensatz zu Goebbels, Hitler zu dieser Zeit noch keineswegs völkisch orientiert gewesen zu sein. Als der bayerische Ministerpräsident und USPD-Politiker Kurt Eisner am 21. Februar 1919 von dem Weltkriegsleutnant Anton Graf von Arco auf Valley ermordet wurde, solidarisierte sich Goebbels mit dem Mörder. Hitler dagegen erfreute sich nicht an Eisners Tod. Erhalten gebliebene Filmaufnahmen bezeugen seine Teilnahme am Begräbnis. Während der Bayerischen Räterepublik ließ er sich zum Soldatenrat wählen und hatte wohl mit den Mehrheitssozialdemokraten sympathisiert.14 Erst im Zusammenhang mit der Bekanntgabe der verheerenden Versailler Friedensbedingungen im Mai 1919, als die Angst vor dem Übergreifen der „bolschewistischen Weltrevolution“ von neuem entfacht wurde, wechselte Hitler ins Lager der Konterrevolution über und distanzierte sich von seiner „linken“ Vergangenheit.15

      Während seines Studiums wandte sich Goebbels von der katholischen Kirche ab.16 Unter dem Einfluss seines ehemaligen Schulkameraden Richard Flisges begann er sich im Jahre 1919 mit dem Sozialismus auseinander zu setzen.17 Bald sympathisierte er mit diesem. Seine „proletarischen“ und „antikapitalistischen“ Tendenzen bildeten sich heraus. Die innere Zerrissenheit und Haltlosigkeit, die mitunter zu schweren Depressionen führten, hatten ihn den Spagat zwischen dem rechtskonservativen Lager und dem Sozialismus vollführen lassen. Er war auf der Suche nach einer Orientierung.

      Im Wintersemester 1919/20 studierte Goebbels in München. Die Deutsche Arbeiterpartei (DAP) und Hitler nahm er zu diesem Zeitpunkt nicht wahr. In den Erinnerungsblättern, die er im Sommer 1924 seinem im Oktober 1923 begonnenen Tagebuch voranstellte und in denen er seine Lebensgeschichte von seiner Geburt an bis zu jenem Oktober festhielt, werden sie im entsprechendem Abschnitt mit keinem Wort erwähnt.18 Die DAP, die am 24. Februar 1920 in Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) umbenannt werden sollte, war eine von vielen nationalistisch-antisemitischen, antimarxistischen und antiliberalen Gruppen, die im Gefolge der politischen und gesellschaftlichen Erschütterungen nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg entstanden war. Hitler, der nach der Zerschlagung der Bayerischen Räterepublik im Auftrag des Münchener Reichswehrgruppenkommandos als antimarxistischer Agitator bei Soldaten eingesetzt wurde, hatte am 12. September 1919 im Auftrag seiner Dienststelle eine Versammlung der DAP besucht und war ihr kurz darauf beigetreten. Etwa drei Wochen nachdem Goebbels sein Zimmer in München bezogen hatte, hielt Hitler am 16. Oktober 1919 erstmals auf einer Versammlung der Deutschen Arbeiterpartei eine Rede.19

      Im Frühjahr 1921 begann Goebbels seine Doktorarbeit zu schreiben. Sein Selbstwertgefühl steigernd, fungierte der Doktortitel als Kompensation für seine körperlichen und sozialen Defizite. Zeit seines Lebens sollte er sich mit seinem Titel anreden lassen.20

      Goebbels verfasste die Dissertation innerhalb von vier Monaten. Er beschäftigte sich hierbei mit Wilhelm von Schütz, einem Dramatiker der romantischen Schule aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In der Dissertation offenbarte sich Goebbels` sehnlichster Wunsch nach einem Führer, einem „Genie“.21 In Hitler, der im Juli 1921 den Parteivorsitz der NSDAP übernommen hatte, sah er dieses „Genie“ jedoch noch nicht. Allerdings war Hitler zu diesem Zeitpunkt lediglich ein „Bierkelleragitator“, eine Lokalgröße, die ansonsten weitgehend unbekannt war.22

      Die Sehnsucht nach einem Führer, die sich bei Goebbels manifestierte, war keine Besonderheit in der Weimarer Republik. Viele Deutsche in allen politischen Lagern standen dem Weimarer System von Anfang an mit großen Vorbehalten gegenüber. Liberalisierung, Parlamentarisierung und Demokratisierung hatten in Deutschland verspätet eingesetzt und verknüpften sich 1918/19 mit dem Schock der für viele unerwarteten Niederlage. Der militärische Zusammenbruch

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