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versehen mit der Frage, ob es richtig sei, jemanden wie mich einfach zu entlassen. Grünspan schien daran zu zweifeln. Ich ebenfalls. Was soll’s? Ein neues Leben lag vor mir. Eine neue Existenz. Nur: Welche? Die Werbebranche vielleicht? Ich könnte auch als Berater für Filme arbeiten.

      Die Tage nach meiner Entlassung verbrachte ich zu Hause und las. Immerhin würde mich jetzt niemand an einen Tatort rufen. Dann, plötzlich und unerwartet, klingelte das Telefon. Dummerweise war es gerade früh am Morgen und ich schlief noch. Wenn ich etwas hasse... aber das kennen Sie ja schon. Vom Telefon geweckt zu werden gehört jedenfalls auch dazu.

      „Hier ist Beatrice Braun“, sagte eine weibliche Stimme. „Ist da Harry Rhode?“

      Ich brummte etwas.

      „Ich möchte Sie engagieren, meinen Bruder zu suchen.“

      „Warum denn das?“

      „Er ist verschwunden.“

      „Wieso ich? Nehmen Sie sich doch einen Privatdetektiv!“

      „Sind Sie kein Privatdetektiv?“

      „Nein.“

      „Sie waren doch bis vor kurzem bei der Polizei.“

      „Ja. Als Detektiv braucht man eine Lizenz.“

      „Dann beschaffen Sie sich eine. Ich komme heute um vier bei Ihnen vorbei.“

      „Okay.“ Ich legte auf. Okay? Wieso okay? Ich war kein Detektiv. Langsam rollte ich mich herum. Obwohl... Ich musste zugeben, dass die Idee etwas für sich hatte!

      Mit einem Kater wachte ich spät am Morgen, etwa gegen 13.14 Uhr, auf. Das brachte mich zu der Feststellung, dass ich mich nicht an meinen Entschluss gehalten hatte, wie zu der zweiten Feststellung, dass ich mich besser an meinen Entschluss gehalten hätte. Während ich in die Küche schlurfte erinnerte ich mich düster an einen Alptraum, den ich in den frühen Morgenstunden gehabt hatte. Jemand hatte mich darin für einen Fall engagieren wollen. Als Privatdetektiv. Wie romantisch. In Amerika wurden alle entlassenen Polizisten Privatdetektive. Oder Straßenkehrer. Nein, die wurden Sicherheitsdienstler bei irgendwelchen Firmen, genau. Das andere war nur in der Schwarzen Serie so. Dennoch musste ich mir eingestehen, dass mich die Idee faszinierte. Andererseits hatte ich nicht die geringste Ahnung, wie man als Privatdetektiv arbeitete. Hmm, Leute beschatten, photographieren, alles haarklein aufschreiben. Also quasi das, was auch die Polizeiarbeit ausmachte – und was ich nie gemacht hatte!

      Aber dann gab es noch andere Probleme, von meinen Kopfschmerzen einmal abgesehen. Wie kam man an Klienten? Wer hatte heutzutage Interesse an einem Privatermittler? In Phillip Marlowes Zeiten, ja, da funktionierte es gut, aber in unserer heutigen modernen Welt? Marlowe wurde zwar oft von den Verbrechern selbst engagiert, aber was sollte das schon? Bei ihm konnte man wenigstens eine romantische Arbeitseinstellung feststellen.

      Und wie lief das heute? Und überhaupt: in Deutschland? Wenn ein Land Privatdetektive brauchte, dann Amerika. In Deutschland war nicht das Pflaster für die einsamen Wölfe. Ein einsamer Wolf war ich. Das stellte ich nicht erst fest, als ich bei einem Schwindelanfall in meiner Küche fast gegen den Kühlschrank knallte. Dieser verdammte Alkohol! Eigentlich hatte ich ja die richtigen Voraussetzungen für einen Privatdetektiv. Keine Arbeit, keine liebende und sorgende Frau und einen handfesten Kater. Ich beschloss, wenn nicht Fräulein Rausch bis zum Abend angerufen und sich mit mir verabredet hatte, mich um eine Lizenz als Privatermittler zu bemühen. Bis dahin verbrachte ich den Tag im Bett und pflegte meine Kopfschmerzen.

      Ringend riss mich das Telefon aus meinem Halbschlaf. Ich griff nach dem Hörer und murmelte etwas hinein. Keine Antwort. Ich versuchte es noch einmal. Ich sah auf die Uhr. Es war 16 Uhr. Und es war die Türklingel. Mühsam erhob ich mich und schlurfte zur Haustür. Da ich in meinen Sachen geschlafen hatte, brauchte ich mir nichts überzuziehen. Als ich die Tür langsam öffnete, fand ich davor eine junge hübsche modisch gekleidete Frau vor, wahrscheinlich eine Avonberaterin. Oder gab’s die inzwischen gar nicht mehr? Nein, wahrscheinlich wusste niemand mehr mit dieser Anspielung etwas anzufangen!

      „Verzeihung, ich lebe allein, ich habe kein Interesse an Toilettenartikeln für Damen“, wollte ich gerade sagen und die Tür wieder schließen, als sie sagte: „Harry Rhode? Ich bin Beatrice Braun, wir haben telefoniert!“

      Hatten wir das? Hatte ich ein Rendezvous? Unwahrscheinlich, ich kannte die Frau ja nicht mal. Moment – Beatrice Braun. BB. Mein Traum... war kein Traum!

      „Treten Sie doch bitte ein“, murmelte ich und ließ sie vorbei, versuchend, meine Gedanken zu ordnen. „Sie suchen also Ihren Bruder!?“ Es macht auf einen Klienten einen guten Eindruck, wenn man sich an alles erinnert, was man gesagt bekommen hat. Zumindest nehme ich das an.

      „Er ist... verschwunden“, sagte sie und sah sich um, ob sie sich irgendwo niederlassen konnte. Ich bot ihr meinen Sessel am Fenster an und sie sank dankbar hinein, während sie in bewundernswerter Selbstbeherrschung meine Spielzeugsammlung ignorierte.

      „Ja, das sagten Sie. Entschuldigen Sie, dass wir uns nicht in meinem Büro“-(-?-) „unterhalten können.“

      „Sie haben ein Büro“-???-? „?“

      „Nein. Deshalb die Entschuldigung.“ Ich setzte mich in meinen Fernsehsessel, stellte fest, dass ich zwar den Fernseher, nicht aber sie sehen konnte, erhob mich, drehte den Sessel, setzte mich und sah sie an. „Wie kommen Sie gerade auf mich?“

      „Sie sind Harry Rhode. Ich habe viel über Sie gelesen. Sie waren ein guter Polizist. Ich glaube, Sie können meinen Bruder finden. Über die Privatdetektive, die im Branchenverzeichnis stehen, weiß ich gar nichts.“ Das war eine zufrieden stellende Antwort. Sah man davon ab, dass ich mich in der Branche überhaupt nicht auskannte, gefiel mir der Job. „Seit wann ist er denn verschwunden?“

      „Seit Donnerstag.“

      Heute war Freitag. „Sind Sie da nicht etwas voreilig?“

      „Seit letztem Donnerstag.“

      „Hmm. Könnte er nicht einfach eine kleine Tour machen? Versumpfen? Sich amüsieren? Etwas in der Richtung?“

      „Er hat mir das hinterlassen“, sagte sie und reichte mir einen kleinen Bogen Papier, der einmal gefaltet war. Sie hatte blondes Haar, trug wenig Make-up und benutzte ein zurückhaltendes Parfum. Sie war ein wenig jünger als ich. Ich faltete den Zettel auseinander und las ihn. Es war eine Art Abschiedsbrief.

      Liebe Beatrice,

      ich habe genug von diesem spießigen Leben. Ich brauche Abwechslung. Aus diesem Grund ziehe ich mich zurück und versuche, mich selbst zu finden. Hoffentlich verstehst Du mich. Es gibt einen Weg, den ein Mann alleine gehen muss, den er nur alleine gehen kann. Wahrscheinlich wirst Du nie wieder etwas von mir hören. Trauere nicht um mich, ich muss das tun.

      In Liebe

      Dein Claus

      „Wenn er nicht erst 7 ist, ist dagegen wohl nichts einzuwenden, oder?“ meinte ich und reichte ihr den Bogen.

      „Er würde nie so einfach weggehen!“

      „Sind Sie sicher, dass er nur Ihr Bruder ist?“

      „Er ist mein Bruder!“ Ihre Augen wurden klein. „Nicht mein Geliebter, falls Sie das denken!“

      In der Tat schwebte mir etwas Derartiges vor.

      „Herr Rhode, ich weiß, dass er nicht einfach so verschwinden würde. Und da ist noch etwas: Er hat nichts von seinen Sachen mitgenommen. Nicht einmal seinen Inhallator.“ Ich sah sie fragend an. „Er leidet unter Asthma.“

      In dem Fall plante er tatsächlich ein neues Leben – eins nach dem Tod. „Ich darf dem wohl entnehmen, dass Sie den Verdacht hegen, dass Ihr Bruder nicht freiwillig gegangen ist, sondern entführt wurde.“

      „Ja.“ Sie nickte.

      „Hätten sich die Entführer dann nicht schon gemeldet?“

      „Ich weiß nicht.“ Sie schüttelte den

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