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Aus dem Zwielicht schälten sich die Umrisse der Pferde. Ein Stück weiter hinten waren die Umasus zu erahnen. Für die Nacht wurden die Tiere zusammengetrieben und angepflockt, damit sie nicht weglaufen konnten oder nachtaktive Raubtiere anlockten. „Du brauchst deine Stute nicht zu satteln“, sagte er zu Ishira. „Bis zum Ufer kannst du laufen.“ Ohne Pferd würde sie nicht weit kommen, falls sie vorhatte, sich aus dem Staub zu machen, obwohl er nicht glaubte, dass sie ohne ihren Bruder fliehen würde. Aber warum ein Risiko eingehen? Die paar Schritte zu Fuß würden ihr nicht schaden. Natürlich hätte er sie auch hinter sich auf Bokan reiten lassen können, aber er wollte dem dummen Gerede der Kireshi keine neue Nahrung liefern.

      „Guten Morgen, Yaren“, grüßte ihn eine vertraute Gestalt. Etan war heute zur Wache eingeteilt. „Du bist früh auf. Wieder ein Erkundungsritt?“ Dann fiel sein Blick auf Ishira. „Nein, wohl nicht.“

      In seine Stimme hatte sich ein Unterton geschlichen, der Yaren missfiel, aber da er ihn nicht recht einordnen konnte, beschloss er, ihn fürs erste zu ignorieren. „Ich soll dafür sorgen, dass die Raikari möglichst schnell die Rampen fertigbauen, damit wir weiterziehen können.“

      Sein Waffengefährte verzog mitleidig das Gesicht. „Um diese Aufgabe beneide ich dich nicht. Ich bin ehrlich gesagt froh, wenn ich nicht in ihrer Nähe sein muss. Sie sind mir nicht geheuer. Ich weiß gern, woran ich bin, und die Raikari kann ich beim besten Willen nicht einschätzen. Ich habe versucht, etwas aus ihrem Kouran herauszubekommen, aber das war verlorene Liebesmüh. Der ist so verschlossen wie eine Jungfrau. Und seine Leute scheinen ja überhaupt nicht mit uns reden zu wollen.“

      Tatsächlich waren die Raikari wortkarge Gesellen, was Yaren allerdings nicht störte. Was gab es schon zu sagen? Er zuckte mit den Schultern, während er seinem Braunen das Zaumzeug anlegte. „Hauptsache, sie tun ihre Pflicht.“ Wenn sie wirklich so gute Krieger waren, wie der Marenash behauptet hatte, waren sie ihm willkommen. Sie würden jeden Mann brauchen, wenn sie auf die Drachen trafen. Darüber hinaus war ihm das Verhalten der Söldner gleichgültig, solange sie sich an die Regeln hielten. Doch Etan war schon als Junge neugierig gewesen und besaß zudem ein gewisses Talent dafür, sich die Informationen zu beschaffen, die er haben wollte. Kein Wunder, wenn es ihn wurmte, dass seine Versuche diesmal ins Leere gelaufen waren.

      „War es Helons Idee, das Mädchen mitzunehmen, oder deine?“ erkundigte Etan sich, als Yaren gerade den Sattel festzurrte.

      „Weder noch“, gab er kurz angebunden zurück. Er verspürte nicht die geringste Neigung, seinem Waffengefährten irgendetwas zu erklären. Entschlossen griff er nach dem Zaumzeug, bevor Etan weitere Fragen stellen konnte.

      Gerade als er seinen Fuß in den Steigbügel setzen wollte, hielt ihn eine kultivierte Stimme zurück. „Kiresh Yaren? Erlaubt, dass ich Euch begleite.“

      Wer wollte ihn denn noch alles begleiten? Konsterniert wandte Yaren sich nach dem Sprecher um und war nicht besonders überrascht, den Kouran der Raikari zu sehen. Wenn man vom Dämon sprach… Wie üblich war das Gesicht des Söldnerführers hinter der ledernen Maske verborgen. „Ihr wollt die Arbeiten persönlich überwachen?“ erkundigte Yaren sich.

      Ralan bel Arraks Blick ruhte auf der Inagiri, kehrte jedoch bei Yarens Frage zu dessen Gesicht zurück. „Eigentlich möchte ich mit Euch sprechen. Oder sagen wir, beides. Ich habe meine Männer bereits vorausgeschickt.“

      Yaren nickte und wartete höflich, bis der Kommandant sein Pferd gesattelt hatte, bevor er aufsaß. Seite an Seite verließen sie das Lager in Richtung Fluss. Kurz bevor sie in den Wald eintauchten, warf Yaren einen Blick zurück. Ishira folgte ihnen in geringem Abstand. Da sie nur langsam ritten, hatte sie keine Schwierigkeiten, mit den Pferden Schritt zu halten.

      Neben ihnen ragten die mächtigen Stämme der Zedern auf, deren rotbraune Färbung an Rost erinnerte. Viele von ihnen waren auf der Schattenseite bemoost. In den Zweigen sangen Vögel und die Luft trug den Duft von Harz und frischem Grün. Es war geradezu lächerlich friedlich dafür, dass jederzeit die Drachen angreifen konnten.

      Falls Yaren geglaubt hatte, Ralan würde sofort auf den Punkt kommen, hatte er sich geirrt; der Befehlshaber der Raikari machte keine Anstalten, das Gespräch zu eröffnen. Oder vielleicht wollte er auch nicht sprechen, solange das Mädchen in Hörweite war. Yaren musterte den Mann unauffällig von der Seite. Ralan war etwa so groß wie er selbst und besaß die durchtrainierte Statur eines Kämpfers. Zugleich hatte er etwas Aristokratisches an sich. Selbst wenn Yaren seinen Namen nicht gewusst hätte, hätten Stimme und Haltung eine adlige Herkunft nahegelegt. Gewiss wurde kein Aristokrat ohne triftigen Grund zum Söldner. Bel Arrak – Ralans Familienname sagte Yaren nichts, aber es gab in Gohar zu viele Adelsfamilien – die meisten von niederem Rang –, um sie alle zu kennen. Dennoch war ihm etwas an den Zügen des Kouran vage vertraut vorgekommen, obwohl er sicher war, dass er den Mann vor seiner Ankunft im Feldlager nie getroffen hatte. Aber vielleicht täuschte er sich auch; schließlich hatte er Ralans Gesicht nur einen kurzen Moment lang gesehen.

      Vor ihnen hörte Yaren das Rauschen und Gluckern des Flusses. Er maß nur gut zwei Wagenlängen in der Breite, doch die Strömung war stark. Es würde nicht ganz ungefährlich sein, ihn mit den Wagen zu durchqueren, da das Wasser in der Mitte schätzungsweise bis zu den Radnaben reichte. Aber wenn sie die Rampen so weit wie möglich ins Wasser hineinzogen, hatten die Wagen nur ein kurzes Stück durchs Bachbett zu fahren.

      Die frischen Schnittstellen der Baumstümpfe stachen wie Narben aus dem grünen Untergrund hervor. Darum herum lagen abgeschlagene Äste und abgeschälte Rinde auf dem Boden. Wie Ralan gesagt hatte, waren seine Leute bereits an Ort und Stelle und warteten inmitten der gefällten Bäume auf Anweisungen. Yaren war erstaunt, wie still die Söldner sich verhielten. Die Gohari hätten sich zwanglos im Gelände verteilt und miteinander geplaudert oder sich aus Spaß einen Kampf geliefert, um die Zeit totzuschlagen. Nicht so die Raikari. Sie standen bewegungslos in Reih und Glied wie die Ehrenwache vor dem Palast des Marenash. Als sie den Hufschlag der Pferde hörten, wandten alle wie auf Kommando den Kopf. Yaren erklärte Ralan, was er vorhatte. „Ich schätze, es ist besser, wenn Ihr Euren Leuten selbst sagt, was sie tun sollen“, schloss er.

      Ralan nickte und befahl einem Teil seiner Männer, die Stämme der bereits gefällten Bäume glatt zu schlagen, zum Fluss zu rollen und so miteinander zu vertäuen, dass sie eine Rampe bildeten, die das Gewicht der schweren Geschützwagen zu tragen imstande war. Die andere Hälfte der Raikari schickte er zum gegenüberliegenden Ufer, um dort die zweite Rampe zu bauen.

      Yaren wandte seinen Blick nach links. Etwa fünfzig Schritte entfernt stürzte das Wasser in mehreren nebeneinander liegenden Fällen über die steile, bemooste Felswand in ein flaches Becken, dessen Steine so glatt geschliffen waren wie ein gemauertes Bad. Auf schmalen Vorsprüngen wucherte Farn. Auf einer Seite des Beckens formte eine Handvoll dichter Büsche einen natürlichen Sichtschutz. Yaren musterte das Ufer. Als er sicher war, dass kein wildes Tier im Unterholz lauerte, drehte er sich zu seiner Schutzbefohlenen um, die geduldig hinter ihm wartete. „Du kannst Baden gehen. Ich werde aufpassen, dass sich dir keiner der Raikari nähert. Aber sei trotzdem vorsichtig. Es könnte hier Schwarzvipern und anderes giftiges Getier geben.“

      „Ich werde achtgeben“, versprach sie.

      Yaren beobachtete, wie sie hinter den Büschen verschwand. Bevor sich eine unsittliche Vorstellung in seinen Geist schleichen konnte, lenkte er Bokan zu Ralan zurück. Der Söldnerführer hatte sich eine Stelle gesucht, von wo aus er seine Männer auf beiden Seiten des Flusses im Blick hatte. Eine Weile sah Yaren den Raikari ebenfalls zu. Die Söldner scheuten sich nicht vor harter Arbeit, so viel stand fest. Und sie verfügten über bemerkenswerte Körperkräfte. Scheinbar mühelos rollten sie die Stämme zu zweit oder dritt ans Ufer, ohne Anzeichen von Erschöpfung zu zeigen. Was Yaren jedoch beinahe noch mehr beeindruckte, war der ungewöhnliche Einklang, mit dem die Männer agierten. Ihre Bewegungen gingen Hand in Hand, wobei ihre Verständigung untereinander keiner Worte bedurfte. Jeder schien auch so zu wissen, was von ihm erwartet wurde. Aber diese stumme Übereinstimmung hatte auch etwas Unheimliches. Das erinnerte Yaren an etwas. „Eure Leute haben gestern Abend für Aufsehen gesorgt“, ergriff er die Initiative.

      Ralan wandte den Kopf. „Da Ihr es ansprecht: Das

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