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Eure Freundlichkeit, Deiro“, sagte sie mit einer erneuten Verbeugung an den Shohon gewandt. „Wünscht Ihr, dass ich jetzt spiele?“

      Als Helon nickte, ließ sie sich zwischen Mebilor und Rohin nieder, die einladend zur Seite gerückt waren, und schlug den Stoff zurück, der das Rehime schützte. Liebevoll ließ sie ihre Finger über das glattpolierte Holz wandern, bevor sie den Bogen zur Hand nahm. Nachdem sie das Instrument gestimmt hatte, spielte sie einige einfache Melodien, um ihre Finger geschmeidig zu machen. Die Töne schwangen sich auf wie unsichtbare Vögel und schraubten sich höher und höher in den abendlichen Himmel, ließen ihn mit ihrem Klang erstrahlen. Beiläufig registrierte Ishira, dass die Gespräche um sie herum nach und nach verebbten. Der Shohon saß entspannt da, eine Schale mit Mishuo im Schoß, und blickte versonnen vor sich hin. Beruk schaute zwar immer noch brummig drein, doch selbst er war still geworden. Mebilor wiegte seinen Kopf im Takt der Musik leicht hin und her und lächelte Ishira beifällig zu. Der einzige, dem sie anmerkte, dass er am liebsten aufgestanden und gegangen wäre, war Kiresh Yaren, auch wenn er sich bemühte, dies nicht allzu deutlich zu zeigen. Er hatte den Ellbogen in die Hand gestützt, die Finger an der Nasenwurzel, den Blick gesenkt. Ein uneingeweihter Betrachter hätte diese Geste vielleicht als Müdigkeit interpretiert, doch Ishira kannte ihn gut genug um zu wissen, dass er litt. Er war kein großer Musikliebhaber – zumindest nicht ihrer Musik. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, was ihm daran so missfiel. Obwohl es ihr eigentlich gleichgültig sein konnte, hätte sie ihn gern einmal zum Lächeln gebracht. Wie er mit heiterer Miene wohl aussehen würde?

      Gütige Ahnen, welche Gedanken hatten sich da bloß in ihren Kopf verirrt? Energisch schloss sie die Lider und vertiefte sich in ihr Spiel, bis sie die Vorstellung eines lächelnden Kiresh aus ihrem Geist verbannt hatte. Stattdessen konzentrierte sie sich auf die Idee, die ihr kurz zuvor gekommen war, und überschlug im Geiste deren Erfolgsaussichten. Wenn sie vorgab, die Aura eines Amanori zu spüren und dadurch bewies, dass sie ihr Wort hielt, konnte sie die Gohari vielleicht dazu bringen, ihr mehr Vertrauen zu schenken. Mit etwas Glück würden die Heerführer Kenjin die Fesseln nicht wieder anlegen lassen und ihm erlauben, sich frei zu bewegen. Andererseits war es nicht unbedingt ratsam, die Gohari grundlos in Alarmbereitschaft zu versetzen. Eine solche Fehlinformation konnte sie schnell ihre Glaubwürdigkeit kosten. Aber hatten sie und Kenjin überhaupt noch etwas zu verlieren?

      Plötzlich spürte Ishira im Magen eine leichte Vibration – wie eine innere Resonanz. War etwa tatsächlich eine der Echsen in der Nähe? Nein, es fühlte sich anders an. Eher wie die Energieströme innerhalb des Kristalls. Eine der Kristalladern musste ganz in der Nähe verlaufen, vielleicht sogar irgendwo unter ihnen.

      Nach und nach mischte sich in das Vibrieren der Energie ein anderes Wispern. Schwächer, dafür aber vielschichtiger – und irgendwie vertrauter. Oder sollte sie sagen: weniger fremdartig? Wie Stimmen unterschiedlicher Tonlagen. Sie glichen sich dem Fluss der Melodie an, bis sie mit ihm verschmolzen waren. Als hätten sich einzelne Fäden zu einem neuen, dickeren versponnen.

      „Was ist denn mit den Raikari los?“ raunte jemand.

      Irritiert öffnete sie die Augen. Einige der Söldner waren aufgestanden und starrten zu ihr herüber. Ein eigenartiges Gefühl der Zusammengehörigkeit überschwemmte Ishira, als hätte die Musik in ihr und diesen Männern etwas wachgerufen, das tief in ihnen geschlummert hatte. Mit derselben unerklärlichen Gewissheit erkannte sie in einem der Stehenden den Raikar wieder, den sie früher am Abend versehentlich angerempelt hatte, obwohl sie weder vorhin noch jetzt sein Gesicht sehen konnte.

      „Jetzt erzähl‘ mir einer, diese schwarzen Kerle haben etwas für Musik übrig“, brummte Beruk. „Als ob sie sich nicht auch so schon seltsam genug aufführen würden.“

      „Was ist so seltsam daran, Gefallen an Musik zu finden?“ gab Mebilor zurück.

      Der Bashohon schnaubte. „Aus Eurer Sicht vermutlich nichts. Aber seht sie Euch doch an, wie sie da stehen: so ein Verhalten ist doch nicht normal.“

      Der Heiler zuckte mit den Schultern. „Darüber, was für einen Krieger ‚normal‘ ist, möchte ich mir kein Urteil anmaßen.“

      Um Rohins Mundwinkel und die einiger anderer Telani zuckte es bereits wieder verdächtig. Augenscheinlich genossen sie die Wortgefechte zwischen Mebilor und dem Bashohon. Ishira war hingegen alles andere als nach Lachen zumute. Was war das gerade gewesen? Kälte kroch ihr Rückgrat entlang und ließ sie unbewusst die Schultern hochziehen. Bevor das Zittern ihre Hände erreichte, ließ sie den Bogen sinken – und zerschnitt damit das unsichtbare Gespinst zwischen ihr und den Raikari. Die fünf Söldner standen noch einen Augenblick reglos da, bevor sie sich wieder setzten. Ishira entspannte sich etwas. War die Aufmerksamkeit der Männer doch nur ihrer Musik geschuldet gewesen? Hatte sie sich den Rest eingebildet?

      Erst als sich die Heerführer für die Nacht zurückzogen, erinnerte Ishira sich wieder an ihren Plan. Die Raikari hatten ihn gründlich durchkreuzt.

      KAPITEL II – Er kann lachen

      In aller Frühe stand Yaren auf, um den Bau der Rampen zu beaufsichtigen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er noch früher aufstehen können. In letzter Zeit schlief er nicht besonders gut, obwohl er nicht mehr so oft von Alpträumen heimgesucht wurde wie früher. Dafür tauchte in seinen Träumen immer häufiger seine Schutzbefohlene auf. Es beunruhigte ihn, dass sie solchen Einfluss auf ihn ausübte.

      Leise griff er nach seinen Sachen, um Ishira nicht zu wecken. Durch den Stoff, der ihre beiden Schlafstellen voneinander trennte, zeichnete sich schwach ihre schlafende Silhouette ab. Sofort spürte Yaren wieder das leichte Ziehen in den Lenden, das ihn schon gestern Abend erfasst hatte. Er atmete tief durch. Warum um alles in der Welt hatte er sich von Helon dazu überreden lassen, das Zelt auch unterwegs mit ihr zu teilen? Wie hatte er die Situation dermaßen unterschätzen können? Obwohl er mit seiner Schutzbefohlenen zahllose Nächte unter freiem Himmel verbracht hatte, war es im Zelt etwas gänzlich anderes. Vielleicht war es die Intimität des umschlossenen Raumes, die das aufgezwungene Beisammensein immer stärker zur quälenden Versuchung werden ließ. Vielleicht lag es aber auch daran, dass er sich verändert hatte. Tief in seinem Innern war etwas in Aufruhr geraten.

      Als er gerade dabei war, seine Waffen in den Gürtel zu schieben, hörte er, wie hinter ihm der Vorhang zurückgeschlagen wurde. Langsam drehte er sich um. Ishira lugte schüchtern zu ihm herüber und wünschte ihm einen guten Morgen. Ihre leicht schräg stehenden blauen Mandelaugen, die den Verstand eines Mannes verwirren konnten, waren noch verschleiert vom Schlaf. „Ihr habt gestern von einem Wasserfall gesprochen, Deiro“, sagte sie. „Bestünde unter Umständen die Möglichkeit, dort zu baden?“

      Ungewollt wanderte sein Blick von ihren Augen zu ihrem schwarzen Haar, das ihr schwer über die Schultern fiel. Es hatte in den vergangenen Tagen immer mehr von seinem seidigen Glanz verloren und war jetzt stumpf und strähnig. Der kleine Zuber, den er ihr, wenn sich die Gelegenheit bot, ins Zelt stellte, war augenscheinlich nicht geeignet, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Daher konnte er verstehen, warum sie baden wollte. Dennoch sprachen diverse Gründe dagegen. Zum einen sollte er Helons Einverständnis einholen, zum anderen wollte er sich nicht mit Ishira belasten, zumal er nicht einschätzen konnte, wie die Raikari auf ihre Gegenwart reagieren würden. Doch anstatt ihren Wunsch abzuschlagen, hörte er sich sagen: „Wenn du mitkommen willst, beeil dich.“

      Ishira sprang so eifrig auf, dass sie sich den Kopf beinahe an der niedrigen Firststange stieß. „Ich bin fertig.“

      Yaren fuhr sich resigniert durch die Haare und merkte dabei, dass er vergessen hatte, sie aufzustecken. Götter, dieses Mädchen würde ihn noch seinen Ruf kosten!

      Die Lagerfeuer waren zu glimmenden Haufen heruntergebrannt und die kühle Morgenluft roch nach Asche und Zedernholz. Während Yaren mit seiner Schutzbefohlenen im Schlepptau durch das stille Lager stapfte, verfluchte er sich selbst für seine Nachgiebigkeit. Hatte er noch nicht genug am Hals, dass er sich hatte breitschlagen lassen, sich auch noch um Ishira zu kümmern? Säuerlich fragte er sich, wie er eigentlich zu seiner neuen Aufgabe gekommen war, Aufpasser für die Raikari zu spielen. Das fiel nicht unbedingt in seinen Zuständigkeitsbereich

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