Скачать книгу

blieb unberührt.

       Während sie noch in ihrer Blindheit rasend um sich

       schlugen, trat eine Frau in den Saal, die war so schön,

       wie sie kein Sterblicher je gesehen. Doch war sie so

       gramgebeugt, daß sie dem Tode nahe schien. Das eine

       Mal schrie sie laut auf, dann sank sie wieder ohnmächtig

       zu Boden, darauf begann sie sich zu zerfleischen

       und ihre Haare zu raufen. Und siehe, die Leiche

       des Herrn wurde auf einer Bahre vorübergetragen,

       Kerzenträger gingen ihr voraus und Klosterfrauen,

       dann folgten Geistliche mit Meßbüchern und Weihrauchkesseln.

       Herr Iwein hörte die Wehklagen, und

       die Prozession zog vorüber, um die Bahre aber drängte

       sich eine staunende Menge, denn das Blut floß klar

       und purpurn aus den Wunden des Toten. Das war der

       sichere Beweis, daß der, welcher den Tod des Schloßherrn

       veranlaßt hatte, sich noch hier im Saale befinden

       mußte. Von neuem begann das Suchen und Schlagen,

       doch Herr Iwein rührte sich nicht. Die Frau aber

       schrie wie eine Wahnsinnige: »Ach Gott! Soll man

       den Mörder, den Schurken nicht finden, der meinen

       guten Herrn umgebracht hat. Guten? Den Besten der

       Guten! Hat sich ein Geist oder der leidige Feind unter

       uns gemengt, bin ich behext, daß meine Augen ihn

       nicht sehen? Ein Feigling ist er, wenn er mir nicht

       steht, er, der gegen meinen Herrn so mutig war.

       Wahrlich, er kann nicht von dieser Welt sein, wenn er

       meinem unvergleichlichen Herrn standhielt.« Dann

       trugen sie die Leiche hinaus und begruben sie. Die

       Menge wurde schließlich des Suchens müde und zerstreute

       sich. Nun trat die Jungfrau wieder zu Iwein.

       »Herr«, sagte sie, »wie ein Jagdhund nach einem Rebhuhn

       oder einer Wachtel spürt, so haben sie jeden

       Winkel abgesucht. Das muß Euch in Furcht gesetzt

       haben!« »Das ist richtig,« antwortete Iwein, »aber

       nichtsdestoweniger möchte ich durch ein Fenster den

       Leichenzug da draußen beobachten.« So sagte er, aber

       in Wahrheit kümmerte er sich weder um die Leiche

       noch um den Zug, sondern er sprach es, weil er die

       Herrin der Stadt schauen wollte. Lunete führte ihn an

       ein Fensterchen, durch welches er die schöne Frau erspähen

       konnte, welche immer noch ihrem toten Gatten

       nachtrauerte: »Euch, lieber Herr, kam nie ein Ritter

       gleich an Ehren weder noch an feiner Sitte. Freigebigkeit

       war Eure Freundin und Mut Euer Gefährte. Unter

       der Schar der Heiligen möge, teurer Herr, Eure Seele

       weilen.« Dabei zerriß sie immer wieder mit den Händen

       ihr Gewand, dergestalt, daß Iwein sich nur mit

       Mühe zurückhalten ließ, sie daran zu hindern. Lunete

       mahnte ihn nochmals, ruhig und besonnen zu bleiben,

       dann ging auch sie, um an der Leichenfeier teilzunehmen.

       Inzwischen hatte aber die Frau, ohne es zu wissen,

       einen Rächer für den Tod ihres Gatten gefunden, und

       zwar einen stärkeren als sie selbst jemals hätte finden

       können: Amor hatte nämlich für sie Rache genommen,

       dadurch, daß er Iwein durch die Augen in das

       Herz getroffen hatte. Hierdurch hatte Herr Iwein eine

       Wunde erhalten, die nie wieder heilen sollte. Je länger

       Iwein die Frau durch das Fenster beobachtete, desto

       mehr verliebte er sich in sie und desto schöner erschien

       sie ihm. Gewiß, er wußte, daß sie ihn wegen

       der Tötung ihres Gatten hassen müsse, aber eine Frau

       hat mehr als tausend Gefühle. Vielleicht wird sich das

       Gefühl, daß sie zur Zeit hegt, noch einmal ändern?

       Sicher wird es das, ohne »vielleicht« und er wäre töricht,

       wenn er zuvor verzweifeln wollte, Gott gebe

       nur, daß es bald wechsle. Während er noch in solchen

       Gedanken befangen war, kehrte Lunete zurück, um

       ihm Gesellschaft zu leisten, ihn zu trösten und zu zerstreuen.

       »Herr Iwein,« redete sie ihn an, »wie ist es

       Euch inzwischen ergangen?« »Nach Gefallen!« erwiderte

       er. »Nach Gefallen? Wie? Kann es einem nach

       Gefallen ergehen, wenn man zum Tode geholt werden

       soll?« »Gewiß, meine liebe Freundin,« entgegnete er,

       »ich möchte jetzt nicht sterben, denn was ich sah, hat

       mir sehr gefallen und gefällt mir noch und wird mir

       immer mehr gefallen!« »Lassen wir das,« sprach Lunete,

       »ich verstehe sehr wohl, worauf dieses Wort

       zielt, ich bin nicht so einfältig. Aber jetzt kommt,

       damit ich Eure Befreiung bewerkstellige. Heute Nacht

       noch oder morgen früh sollt Ihr in Sicherheit sein.«

       »Oho,« versetzte er, »ich will nicht wie ein Dieb davonschleichen.

       Mit mehr Ehren werde ich von dannen

       ziehen, wenn alles Volk draußen auf der Straße versammelt

       ist, als wenn ich nächtlicherweile mich aus

       dem Staube mache!«

       Die Jungfrau erinnerte sich sehr wohl an Iweins

       Worte, und da sie sehr gut mit ihrer Herrin stand, so

       benutzte sie die nächste Gelegenheit, um die Sache

       zur Sprache zu bringen. »Herrin,« sprach sie, »es

       wundert mich sehr, daß Ihr Euch so sinnlos gebärdet;

       glaubt Ihr denn, den Herrn durch Eure Tränen zurückzugewinnen?

       « »Ach,« entgegnete jene, »ich wünschte,

       ich stürbe vor Schmerz!« »Warum?« »Um ihm

       nachzufolgen!« »Ihm nach ...? Davor bewahre Euch

       Gott, vielmehr gebe er Euch wieder einen ebenso

       guten Gemahl, der auch ebenso tapfer ist.« »Einen so

       trefflichen kann er mir nicht wiedergeben!« »Einen

       besseren wird er Euch geben, wenn Ihr ihn nehmen

       wollt, das will ich Euch beweisen.« »Geh, schweig!

       Einen solchen werde ich nie finden!« »Doch, Herrin,

       wenn Ihr wollt. Denn, sagt mir doch – um Vergebung

       –, wer soll Euren Boden schützen, wenn König

       Artus herkommt, der, wie Ihr wißt, nächste Woche

      

Скачать книгу