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anscheinend die Worte, um den Satz zu beenden.

      „Ich finde es grausam, jemanden für ein Verbrechen zu töten. Wieso können sie nicht einfach im Gefängnis bleiben?“, wende ich ein.

      „Meines Wissens habe ich dir das bereits mehrmals erklärt, aber wie es scheint, bist du in dieser Hinsicht schwer von Begriff, Tochter.“ Na vielen Dank aber auch. „Nun, dann noch ein letzter Versuch: Sie wurden verurteilt, da Beliar und ich – als Hauptgeschädigte – ihren Tod fordern“, erklärt mir mein Vater ungeduldig.

      „Ihr fordert ihren Tod und ich fordere Gnade“, verkünde ich.

      „Raven, das wird mich nicht umstimmen und Beliar ebenso wenig. Es wird nur das Unausweichliche weiter verzögern“, stößt mein Vater grimmig aus. Was soll ich sagen, ich bin sein schlimmster Alptraum – und ebenfalls unausweichlich.

      Okay Strategiewechsel. „Bitte Vater, hab Erbarmen“, flehe ich förmlich, während ich mein Um-den-Finger-wickel-Gesicht aufsetze, das als Kind meistens funktioniert hat.

      Er hat es durchschaut und lächelt amüsiert, daraufhin wird er wieder ernst. „Zieh dein Gnadengesuch zurück, Tochter. Du wirst nichts damit erreichen“, herrscht er mich an. Na toll, das klappt also auch nicht mehr.

      Tja, ich sehs mal so, vielleicht erreiche ich einen Tag, den sie länger am Leben bleiben. Ich weiß nicht, obwohl sie mir so viel Kummer und Schmerz zugefügt haben, will ich nicht, dass sie sterben. Das ist falsch.

      Nun mach ich wieder das, was Mädchen am besten können – nämlich zicken. Völlig in meinem Element stemme ich trotzig die Hände in die Hüften und stoße ein entrüstend ruhiges „Nein“ aus.

      Mein Vater malmt die Zähne aufeinander und befiehlt einem seiner Männer, nach dem er rufen ließ: „Hol Beliar her.“ Als der Kelte weg ist, ergänzt er: „Wir müssen das Gnadengesuch dieses sturen Frauenzimmers diskutieren.“

      „Wie der Vater, so die Tochter“, spotte ich lächelnd. Er muss sich sichtlich im Zaum halten, mich nicht übers Knie zu legen und mir den Hintern zu versohlen.

      Warte mal, jetzt check ich es erst, Beliar kommt hierher. Toll, klassisches Eigentor, sag ich nur. Hoffentlich hält das Glücksgefühl noch eine Zeitlang an, sonst wird das hier echt hässlich werden.

      „Komm mit, Tochter“, fordert mein Vater forsch.

      „Wo gehen wir hin?“, frage ich.

      „In den Kerker. Du wolltest doch noch vor der Hinrichtung ein paar Fragen an die Gefangenen richten“, informiert er mich.

      „Der geplanten Hinrichtung“, korrigiere ich ihn. „Das ist noch keine beschlossene Sache.“

      Mein Einwand entzieht ihm ein ärgerliches Knurren. Okay, ich sollte jetzt lieber die Klappe halten – zu meiner eigenen Sicherheit, versteht sich.

      Jede Treppenstufe zieht mich noch weiter runter – also besser gesagt meine Gefühlswelt. Meine Brüder steigen hinter mir in das Verlies hinab, aber das trägt nur minimal zu meinem Wohlbefinden bei.

      Vor der Zelle zögere ich. Artis bemerkt mein Unbehagen und erklärt: „Dir kann nichts passieren. Das lass ich nicht zu.“ Irgendwie beruhigt mich das kaum, denn ich hab keine Angst um mich. Eher vor den Gefühlen, die das Wiedersehen auslösen wird.

      Als die Zellentür aufgeht und ich in Tiberius‘ blutverschmiertes Gesicht sehe, fällt mir die Kinnlade runter. Seine Arme sind unnatürlich verdreht und er hat fast keine Zähne mehr im Mund. Das weiß ich so genau, weil er mich angrinst. Okay, jetzt fällts mir wieder ein, warum ich das Mittelalter hasse.

      Mein Vater drückt mich auf einen Stuhl an einem Tisch gegenüber meinem Onkel.

      Sein „Hallo, Süße“ reicht schon, um mir einen Schlag ins Gesicht zu verpassen. Ich bin wie gelähmt, Tränen fluten meine Augen und laufen ohne mein Zutun über mein Gesicht.

      „Hat es dir die Sprache verschlagen, Mädchen?“, fragt mich Tiberius.

      „Ja“, gestehe ich, reiße mich aber sogleich zusammen. „Weißt du etwas über meine Mutter?“, hauche ich mit zugeschnürter Kehle.

      „Und wenn es so wäre, wieso sollte ich dir verraten, was ich weiß?“, aus seinem Munde macht dann alle Hoffnungen zunichte, er könnte mir sagen, wer ich wirklich bin. Ich nicke und stehe auf. Hier drin ist es irgendwie gerade unerträglich eng und stickig.

      An der Tür hält er mich mit den Worten „Es gab ein Gerücht“ zurück.

      Ich wende mich ihm wieder zu, da fährt er fort: „Man munkelte, es war kein Hexer, der deiner Mutter Gewalt angetan hat.“ Was?

      „Was sollte er sonst gewesen sein?“, frage ich irritiert.

      „DER TEUFEL“, brüllt er lachend. Mein Vater befreit mich aus der Schockstarre und zieht mich aus der Zelle.

      „Willst du immer noch, dass ich Gnade walten lasse?“, fragt er mich vor der Tür, aber ich ignoriere ihn. Wie kann er ihn nur so zurichten? Das ist barbarisch.

      Gemeinsam betreten wir Nadars Zelle. Er sieht noch übler aus, als Tiberius. Wieder muss mich mein Vater zum Stuhl schieben und mich darauf drücken. Mein Gehirn funktioniert nicht. In meiner Panik fixiere ich Nadar, der lächelt.

      „Du bist das Schönste, was ich seit Langem zu Gesicht bekommen habe“, erklärt er. Erneut bahnen sich Tränen einen Weg über meine Wangen.

      „Weißt du etwas über meine Mutter?“, stoße ich monoton aus. „Hast du sie vielleicht gesehen, in einer deiner Visionen?“

      Er lacht so laut auf, dass ich zusammenzucke. Mein Vater legt mir seine Hand auf die Schulter, damit ich mich beruhige.

      „Ja, aber ich nehme es mit ins Grab“, fährt er mich speiend an.

      „Bitte sag mir, was du weißt, Nadar“, flehe ich förmlich.

      „Wieso sollte ich das tun?“, raunt er mit zusammengekniffenen Augen.

      Die Antwort kommt prompt über meine Lippen: „Weil du mich liebst. Du warst immer an meiner Seite – bereits als Kind. Hast mich beschützt. Du warst der Rabe, der mich stets begleitet hat. Der immer da war, wenn ich traurig war.“

      Sein Blick ist unergründlich. „Es war der Auftrag meines Vaters, sonst nichts“, stellt er kaltherzig fest.

      „Nein, ich habe deine Gefühle gespürt, als du in der Form des Raben warst. Darin war tiefste Zuneigung verwoben“, argumentiere ich.

      „Du hast das gespürt, was ich dich spüren hab lassen“, stößt er mürrisch aus. So etwas in der Art habe ich mir bereits gedacht. Das war also auch nur Illusion, so wie seine Gestalt. Einen Versuch war es trotzdem wert.

      Ich nicke erschöpft und will bereits aufstehen, da sagt er: „Ich habe eine Vision von dir erhalten.“

      „Du sagtest, du siehst mich nicht in deinen Vorahnungen“, hinterfrage ich seine Aussage.

      „Das tue ich auch nicht. Diese Vision war anders. Ich glaube, sie ist für dich bestimmt. Als wäre ich nur der Bote“, erklärt er.

      „Was hast du gesehen?“, will ich wissen.

      „Was hast du im Austausch dafür anzubieten?“, fragt er überlegen lächelnd. Mein Blick sucht den meines Vaters, der keine Anstalten macht, die Begnadigung anzubieten, also gestehe ich: „Nichts. Ich habe gar nichts anzubieten.“

      „Ich will einen Kuss. Einen letzten Kuss, Raven“, meint er doch tatsächlich. Meine Brüder haben lautstark die Luft eingezogen.

      Junus raunt: „Das ist ein Trick. Er wird sie töten.“

      „Willst du es sehen oder nicht?“, fordert mich Nadar heraus. Scheiße, was mach ich denn jetzt?

      „Ich will es sehen“, stelle ich fest.

      „Nein. Was, wenn er dir ein Trugbild einpflanzt oder dich wieder manipuliert.

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