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das Seitenfenster auf sein Päckchen. Es musste heute raus, er hatte schon viel zu lange gewartet, um es in die Stadt zu bringen. Der Inhalt konnte ihn in den Knast bringen, sowohl hier in Namibia als auch in Deutschland, wo er es hinschicken wollte. Aber andererseits, war es sehr viel Geld wert.

      Er ging um den Toyota herum und holte das Werkzeug aus dem Kofferraum. Er war erleichtert, als er feststellte, dass es dort war, wo es hingehörte. Auch wenn der Radmutternschlüssel und der Wagenheber schon sehr spröde und rostig aussahen, war es nicht immer selbstverständlich, dass es noch im Auto lag. Das Reserverad war unterhalb des alten Pick-ups angebracht und so musste Lemalian auf dem Rücken unter sein Auto kriechen. Auch hier hätte es gut sein können, dass es kein Rad mehr gab. Aber es war da, wo es sein sollte. Die Verbesserung seines Gemütszustandes hielt aber nur kurz an, denn er erkannte, weshalb es noch niemand gewagt hatte, das Rad zu klauen. Es war über die Jahre so fest gerostet, dass es auch nicht half, als er mit beiden Armen an dem Radschlüssel riss. Der Hebelweg, den er hier aufbauen konnte, war ohnehin nicht so groß. Er robbte weiter in Richtung Fahrerkabine, so dass er jetzt die Füße unter dem Rad hatte.

      Er zog die Beine an und trat beherzt gegen den Schlüssel. Es gab ein lautes ratschendes Geräusch und die Schraube löste sich.

      Geschafft, dachte er sich. Hoffentlich klappt es bei den anderen fünf Schrauben auch.

      Jedes Mal musste er zurück unter das Rad rutschen und den Schlüssel wieder ansetzen, dann wieder hoch und erneut dagegen treten. Bei jeder Wiederholung löste sich die jeweilige Schraube, wobei er es schaffte, zwei komplett abzureißen.

       Egal, ich werde eh bald reich sein. Wenn das Päckchen angekommen ist, wird man mich mit Geld überhäufen.

      Der Schweiß rann ihm über sein Gesicht und vermischte sich mit dem Staub. Er spürte, wie es langsam unter einer dicken Kruste zu verschwinden drohte. Er robbte an der Seite heraus und begab sich auf die Knie. Mittlerweile hatte er das Gefühl, als wäre er komplett ausgetrocknet. Erst jetzt bemerkte er, wie durstig er war.

      »Komm schon, zieh das durch. In der Stadt kannst du dir gleich ein schönes kaltes Bier gönnen.« Er sprach laut zu sich selbst.

      Er griff unter den Pick-up, zog das Rad heraus und lehnte es an den Toyota.

      Auf der Ladefläche lagen noch ein paar Holzreste, die er vor kurzen für die Heizung aus der Stadt besorgt hatte. Er nahm ein Stück herunter und legte es unter den Wagenheber, damit dieser nicht im Sand verschwinden konnte. Er nahm den Hebel in die Hand und kurbelte das Auto langsam nach oben. Das Rad hing jetzt in der Luft und er begann es abzuschrauben. Die Radmuttern ließen sich erstaunlich gut drehen, so dass er den kaputten Reifen sehr schnell abbauen konnte. Er rollte es zur Seite, ließ es in den Sand fallen und griff dann nach dem Reserverad.

      Er zog gerade die dritte Radmutter an, als er hinter sich ein Geräusch hörte. Es war nichts Lautes oder Auffälliges, aber es gehörte in diesem Moment einfach nicht hierher. Seine Nackenhaare stellten sich auf und sein Gefühl sagte ihm, dass er in Gefahr war.

      Er zählte von drei an rückwärts und drehte sich mit einem Ruck um die eigene Achse. Sein Herz fing an zu rasen und sein Blut kochte. Alles um ihn herum wurde schlagartig ausgeblendet. Die Geräusche verstummten und es gab nur noch ihn und den Löwen, der direkt vor ihm stand und mit seinen wachen Augen auf jede Bewegung von Lemalian lauerte. Ihre Blicke trafen sich, doch keiner von beiden zeigte eine Regung. Sie waren wie versteinert.

      Lemalian ging in Gedanken seine Optionen durch. Noch nie hatte er einem Löwen so nahe gestanden. Nicht einmal im Zoo hätte er es gewagt so dicht an den Käfig zu treten, wie er jetzt vor dem Raubtier stand. Er wusste, dass er keine Chance haben würde, auch nicht mit dem Radmutternschlüssel, den er noch in seiner Hand hielt. Aber vielleicht würde es den Löwen verwirren, wenn er nach ihm schlagen würde und gab ihm die Möglichkeit die Flucht nach hinten zu wagen.

      Er hielt die Luft an und riss die Hand nach oben, um auszuholen. Der Löwe reagierte augenblicklich und machte einen Satz nach vorne. Lemalian erschrak und verlor das Gleichgewicht. Sein linkes Bein rutschte weg und er kippte zur Seite. Er krallte sich so sehr an dem Werkzeug fest, dass er es nicht schaffte, den Sturz mit den Händen abzufangen.

      Während er zu Boden fiel, konnte er den weißen Bauch des Löwen sehen, der über ihn hinweg glitt. Seine großen Pfoten samt Krallen trafen auf das Metall der Tür und es gab ein lautes kreischendes Geräusch, als diese sich dort einbohrten. Lemalian reagierte blitzschnell und rollte sich unter den Pick-up. Er lag reglos da und hielt die Luft an. »Vielleicht hat er mich aus den Augen verloren.« Er spürte, wie ihn die Panik beschlich. Er saß in der Falle. Wenn der Löwe unter das Auto kroch, würde er sein Leben verlieren, so viel stand fest.

      Das Raubtier löste seine Krallen aus der Tür und seine Vorderpfoten landeten wieder im Sand. Es verharrte ein paar Sekunden. Lemalian stellte sich vor, wie der Löwe den Kopf nach links und rechts drehte und nach ihm suchte. Nach einer schieren Unendlichkeit setzte der Löwe langsam eine Pfote vor die Andere. Er verschwand jedoch nicht, sondern umkreiste langsam das Fahrzeug. Lemalian versuchte, sich zu drehen, so dass er immer auf einer Höhe mit dem Tier war. Er wollte es nicht riskieren, dass der Löwe ihn entdeckte und er in einer ungünstigen Lage war. Er wollte schnell auf der entgegengesetzten Seite davon eilen, falls er seinen Kopf unter das Auto steckte.

      Er hatte das Gefühl, dass das Tier genau wusste, wo er sich befand. »Wahrscheinlich spielt er mit mir und wird gleich zum Ende kommen.« Er war mittlerweile auf der Beifahrerseite angelangt und blieb wieder stehen. Lemalian hielt erneut die Luft an und wartete. »Bitte geh. Verschwinde einfach und lass mich in Ruhe.«

      Der Löwe drehte sich um und ging einen Schritt zurück. Lemalian atmete auf und sah im nächsten Moment, wie er kehrtmachte und sich duckte. Wieder trafen sich ihre Blicke und dieses Mal wartete der Löwe nicht ab, was passieren würde, sondern sprang mit einem Satz unter den Pick-up. Lemalian schlug mit dem Radmutternschlüssel zu und traf den Löwen direkt auf die Nase. Dieser schüttelte sich, was ihm die Chance gab sich auf der rechten Seite des Autos herauszurollen. Er sprang auf und öffnete die Fahrertür. Mit einem Satz landete er auf dem Sitz und drehte den Zündschlüssel um. Der Löwe kam ebenfalls unter dem Toyota hervor und bäumte sich zur nächsten Attacke auf. Die rechte Pfote traf auf das Seitenfenster, das sofort zersprang. Lemalian schlug erneut mit dem Radschlüssel zu und traf dieses mal den Kopf des Tieres. Der Löwe schreckte kurz zurück und Lemalian trat auf das Gas. Der Pick-up schüttelte sich, immerhin stand er noch aufgebockt auf dem Wagenheber. Die anderen drei Räder gruben sich in den Sand und mit einem Mal machte der Wagen einen Satz nach vorne. Er hatte kurz die Sorge, dass sich das Rad lösen könnte, weil es nur mit drei Schrauben festgemacht war, aber es hielt. Er trat das Gaspedal durch und schon bald hatte er die geteerte Hauptstraße erreicht. Erst jetzt fing er wieder an, sich zu beruhigen.

      Er bekreuzigte sich dreimal hintereinander und nahm sich vor, statt nur einem Glas, gleich ein ganzes Fass in der Kneipe zu bestellen. Aber erstmal musste er zur Post.

      Die drei Besucher saßen wie erstarrt auf ihren Stühlen, während sie aufmerksam der Geschichte von Lemalian lauschten. Er hatte die Angewohnheit seine Erzählungen immer mit vielen Gesten und Betonungen wiederzugeben und diejenigen, die ihm zuhörten, damit zu fesseln.

      Der Junge hatte schon so oft gehört, wie sein Vater gegen den Löwen kämpfte, aber noch nie davon, dass er ein Päckchen in die Stadt bringen wollte, um reich zu werden, oder dass er dadurch ins Gefängnis kommen könnte. Die Geschichte hatte immer damit begonnen, dass sein Vater in die Stadt fahren wollte, so wie er es jeden Dienstag tat.

      Er war ein bisschen enttäuscht, denn bisher dachte er immer, dass sie keine Geheimnisse voreinander hatten, bis auf das Eine.

      Sein Vater erzählte ihm nicht, wieso er jeden Dienstag und Donnerstag, früh in die Stadt fuhr und erst sehr spät abends wieder nach Hause kam. Natürlich wollte er es wissen, aber er bekam nie eine Antwort. Sie waren die besten Freunde, aber jetzt schien es so, als wenn er den vier Männern mehr vertraute als ihm. Am liebsten wäre er vom Dach heruntergeklettert und hätte seinem Vater die Meinung gegeigt, aber er durfte ja nicht mal hier draußen sein. Er wollte ihn am nächsten Morgen zur Rede stellen und ihn nach dem

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