Скачать книгу

Schüler hielten sogar in ihren Gesprächen inne und fingen an zu tuscheln, als ich an ihnen vorbei kam.

      Ich schob die Hände in die Taschen meiner Jeans und versuchte mir meine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen. Dann endlich erreichte ich die Eingangstür und verschwand im Inneren des Gebäudes. Ich konnte nicht behaupten, dass sich hier viel verändert hätte. Selbst die meisten Gesichter kannte ich noch, auch wenn ich mich nicht unbedingt an die dazugehörigen Namen erinnern konnte.

      «Louise?!», kreischte irgendjemand, als ich gerade auf der Treppe war. Erwartungsvoll drehte ich mich um und sah stirnrunzelnd zu dem Mädchen runter, das mir jetzt nachgelaufen kam. Sie sah noch genauso aus wie vor fünf Jahren. Sie trug sogar die gleichen albernen Zöpfe, die mit elf vielleicht noch ganz niedlich ausgesehen hatten, aber sicherlich nicht mehr mit 16. Ihre großen Glubschaugen starrten hinter einem Brillengestell hervor. Ihre stämmigen Beine steckten in einer ausgewaschenen, ausgebeulten Jeans und in dem Pullover hatte ich das letzte Mal ihre große Schwester stecken gesehen.

      Nur die Sommersprossen auf ihrer Nase hatten sich von der Anzahl her etwa verdoppelt.

      «Dora?»

      «Louise!», strahlte sie. Ich seufzte leise und ging weiter die Treppe nach oben. Sie lief mir hartnäckig hinterher. «Das ist total stark, dass du wieder hier bist. Ist ja echt eine Ewigkeit her, Mensch!» Dass sie sich wirklich darüber freute, mich wiederzusehen, bereitete mir Sorgen. Denn ich war zum Schluss nicht wirklich besonders nett zu ihr gewesen und hatte jegliche Kontaktversuche von ihr abgeblockt. Da sollte man doch meinen, sie hätte in der Zwischenzeit vielleicht andere Freunde gefunden.

      «Und voll toll, dass du jetzt in meine Klasse gehst!» Sie strahlte gut gelaunt. «Na los, komm schon, ich zeig dir erst mal alles. Aber eigentlich kennst du dich ja hier aus, oder?» Sie kicherte albern und ich war mir nicht ganz sicher, ob ich froh über ihren Enthusiasmus sein sollte. Ich kam mittlerweile eigentlich ganz gut allein zurecht.

      In meiner Klasse waren dreizehn Schüler, was wirklich beängstigend wenig war. In der sechsten Klasse waren wir immerhin zwanzig gewesen. In meiner Schule in Hannover waren es 32. Aber dreizehn war der absolute Horror. Als neues, altes Gesicht fiel ich da sofort auf.

      Ich ignorierte das ständige Starren und ließ mich in der letzten Reihe nieder, weil mir dann immerhin niemand auf den Rücken glotzen konnte und sich die Leute umdrehen mussten, um mich anzusehen. Das würde wenigstens während des Unterrichts niemand tun.

      Doras Platz war ganz vorne bei den Strebern, sodass ich kurzzeitig Ruhe hatte. Ich starrte demonstrativ aus dem Fenster und versuchte die Blicke der anderen zu ignorieren. Aus den Augenwinkeln sah ich mir meine Mitschüler näher an. Die meisten erkannte ich wieder. Bis auf einen Jungen, dessen Gesicht so mit Pickeln entstellt war, dass ich nicht genau sagen konnte, wer tatsächlich darunter steckte. Ich wollte eigentlich nur die Schulzeit möglichst schnell hinter mich bringen, ohne mit irgendjemandem reden zu müssen, aber offenbar schien mir das nicht vergönnt.

      «Hey, Louise!», grinste mich ein Kerl an, der vor fünf Jahren noch genauso dämlich ausgesehen hatte. Nur, dass seine Stupsnase jetzt in einem relativ erwachsenen Gesicht saß und absolut lächerlich wirkte. «Ist ja stark, dass du wieder hier bist!» Gott, wie hieß der noch? «Äh, ja. Geht.»

      «Und? Bleibst du jetzt für immer hier?!»

      «Auf keinen verfickten Fall.» Eher würde ich mich erhängen. «Glubschi, oder?!», fiel mir sein Name wieder ein. Gott, jetzt wusste ich auch, wieso ich ihn nicht gleich erkannt hatte. Es fehlte diese monströse Brille, mit denen seine Augen ausgesehen hatten wie Golfbälle. Er verzog das Gesicht. «So nennt mich schon lange keiner mehr. Ich trag jetzt Kontaktlinsen. Ich bin Daniel.»

      «Schön», nickte ich und wandte mich ab, als glücklicherweise unser Klassenlehrer den Raum betrat. Herr Aschermann sah noch genauso aus, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Damals hatte ich nur Mathe bei ihm gehabt, jetzt war er auch noch mein Klassenlehrer. Er musterte mich skeptisch mit seinem psychopathischen Blick, kratzte sich am Bart und rückte seine Hornbrille zurecht. «Louise, richtig?», lächelte er mitfühlend. Das war fast noch schlimmer als das ständige Starren. Wenn ich auf eins verzichten konnte, dann war das Mitleid. Er musterte mich mit schief gelegtem Kopf.

      «Sind Kopfbedeckungen im Unterricht nicht verboten?», rief einer der Idioten aus der Reihe vor mir. Ich war mir nicht ganz sicher, aber ich meinte, er hieß Kai und offenbar gehörte er jetzt der Fraktion mit den tiefsitzenden Baggyhosen an, die lächerlich um seine schmächtigen Beinchen schlotterten. Aber er hielt sich offenbar für ganz groß.

      «Ja, das stimmt. Tut mir leid, Louise. Und nimm die Sonnenbrille bitte auch ab.» Herr Aschermann sah mich auffordernd an, während alle Köpfe sich jetzt zu mir umdrehten. Widerwillig zog ich mir die Kapuze vom Kopf, senkte die Augenlider und nahm die Sonnenbrille ab.

      Als ich wieder nach vorne sah, versuchte ich die gaffenden Visagen zu ignorieren. Offenbar brachte der Anblick meiner Augen noch immer einige aus dem Konzept. Dabei waren sie eigentlich nicht einmal besonders aufregend, sie hatten lediglich einen sehr seltenen, intensiven Farbton. Ich hatte nichts gegen meine Augenfarbe. Ich hatte sie sogar mal sehr schön gefunden. Damals, als alle Leute mir dafür Komplimente gemacht hatten. Außergewöhnlich. Besonders schön. Mein ehemals bester Freund hatte immer gesagt, meine Augen wären wie gebrochenes Eis. Bis ich angefangen hatte, Dinge zu sehen. Und danach waren es immer nur noch die ‚psychopathischen Augen der Irren‘ gewesen.

      Selbst Herr Aschermann glotzte mich einen Moment fassungslos an, eher er sich laut räusperte und zur Kreide griff. «Gut. Fangen wir mit dem Kapitel von letzter Woche wieder an.»

      Die Gesichter wandten sich allmählich alle wieder ab und ich senkte die Augen und starrte den Rest des Tages nur noch auf mein Pult. In den Pausen verkroch ich mich wieder hinter dem Schutz meiner Sonnenbrille und der Kapuze und saß mit Dora zusammen auf dem Pausenhof herum. Sie redete die ganze Zeit, was mir ganz recht war. Sie brauchte keinen Partner für eine Konversation und ich war froh darüber, nichts sagen zu müssen.

      «Louise? Hörst du mir zu?!» Sie stupste mich gegen die Schulter und erschrocken fuhr ich hoch. «Was?»

      «Ob du Lust hättest, mit mir ins Kino zu gehen! Montags ist Kinotag, da kostet‘s nur drei fünfzig Eintritt!»

      «Äh.» Ich starrte sie irritiert an und dachte daran, wie sich mein Vater freuen würde, wenn ich ihm erzählte, dass ich mit einer Schulfreundin ins Kino gehen würde. «Klar, wieso nicht», seufzte ich also und hoffte inständig, dass irgendetwas Anständiges lief.

      «Echt? Das ist ja super!» Und schon sprudelte sie wieder von Neuem los.

      Ich war erleichtert, als es endlich zum Ende des Schultages klingelte und ich mich auf den Weg nach Hause machen konnte. Ich freute mich auf ein paar Stunden Ruhe, ehe mein Vater nach Hause kam und mich wegen der Schule aushorchen würde.

      Aber irgendwie hatte ich verdrängt, dass in Orten wie diesen die Geschäfte noch richtig Mittagspause machten. Mein Vater war also bereits zu Hause und stand in der Küche, als ich den Flur betrat und die Tür hinter mir zuzog.

      «Na, wie war's?», fragte er neugierig und blickte um die Ecke. «Ich hoffe, du isst Spaghetti? Ich dachte, damit kann ich nichts falsch machen, oder?»

      «Klar, klingt super», nickte ich und schmiss meine Schultasche in die Ecke, ehe ich ins Wohnzimmer schlurfte und mich am Esstisch niederließ.

      «Und? Hast du noch jemanden wiedererkannt?» Rüdiger grinste gut gelaunt und häufte mir massig Spaghetti auf den Teller.

      «So lang ist das jetzt auch wieder nicht her, Paps», murmelte ich und schob mir eine Gabel voll davon in den Mund. Ich aß viel, obwohl ich nur wenig Appetit verspürte. Aber solange ich was im Mund hatte, konnte ich schließlich schlecht erzählen und ich wollte auch nicht die Hälfte des Tellers stehen lassen. Tapfer kämpfte ich mich also durch die riesige Portion und sehnte mich fast schon nach den winzigen Rationen aus dem Krankenhaus.

      Nach dem Essen musste mein Vater wieder zurück in den Buchladen und ich verzog mich auf mein Zimmer. Eine halbe Stunde lang starrte ich auf meine Hausaufgaben, ehe ich

Скачать книгу