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ich. Er nickte. «Ich weiß, aber die nächsten Wochen wirst du es mir danken. Komm erst mal rein.» Mein Vater schloss die Haustür auf und ich folgte ihm humpelnd, während der Maskaron uns weiter nachrief.

      Der Flur war nur sehr klein, aber das war bei Reihenhäusern ja meistens der Fall. Auf der linken Seite führte eine Tür ab zu einem kleinen, renovierungsbedürftigen Gäste-WC, geradeaus war keine Tür, sondern ein direkter Durchbruch in der Wand. Das dahinterliegende Wohnzimmer war einigermaßen hübsch und auch die angrenzende Küchenzeile sah in Ordnung aus. Alles war bereits eingerichtet und an seinem Platz. Ein großes Ecksofa bot genügend Platz für mehrere Personen, es gab einen alten, stuckverzierten Kamin an der gegenüberliegenden Wand, neben dem ein Esstisch mit vier Stühlen stand. Neben dem Sofa hatte mein Vater offenbar seine Arbeitsecke eingerichtet, jedenfalls stand da ein antik aussehender Schreibtisch, auf dem haufenweise Papier rumflog. Und die Wände waren so gut wie alle vollgestellt mit Bücherregalen. Ich hatte ganz vergessen, wie viele Bücher mein Vater besaß. Bei meiner Mutter hatte es bis auf Kochbücher und ein paar Ratgeber kaum Literatur im Haus gegeben.

      «Schaffst du es die Treppe rauf? Oder brauchst du Hilfe?» Mein Vater kratzte sich skeptisch am Hinterkopf. Er schien leicht überfordert zu sein.

      «Ich komm schon klar.» Irgendwie rang ich mir ein Lächeln ab und machte mich dann auf den Weg nach oben. Natürlich brauchte ich eine ganze Weile länger als sonst, weil ich nur den rechten Fuß belasten konnte und den linken wie ein Anhängsel nachziehen musste. Aber es war nicht ganz unmöglich.

      Geduldig folgte mir Rüdiger, bis wir im Obergeschoss ankamen. Hier gab es drei weitere Türen, von denen eine in ein etwas größeres, saniertes Badezimmer mit Badewanne und Dusche führte.

      «Die beiden Zimmer sind beide relativ gleich groß. Ich musste bei deinen Möbeln ein paar Abstriche machen, weil wir nicht so viel Platz haben. Ich hoffe, das macht dir nichts aus.» Rüdiger öffnete die Tür zu meinem Zimmer. ‚Ein paar Abstriche‘ war die Untertreibung des Jahres. Außer meinem Bett und meinem Kleiderschrank war nichts meiner Möbel mitgekommen. Jetzt war ich froh, dass ich mich doch für das 130er Bett entschieden hatte und nicht das 150er, das ich zuerst haben wollte, sonst wäre es vermutlich auch nicht mitgekommen. In der Ecke neben dem Bett stand ein kleiner Schreibtisch, den mein Vater offenbar irgendwo ausgegraben hatte.

      Der dunkelgraue Sessel, der bei meiner Mutter im Arbeitszimmer gestanden hatte, hatte ebenfalls einen Platz in meinem neuen Heim gefunden. Das Zimmer war eng, zugegeben. Aber es wirkte eigentlich ganz gemütlich, auch wenn es irgendwie komisch war, meine gewohnten Sachen an diesem fremden Ort zu sehen.

      «Das ist super, Paps. Danke.» Ich rang mir ein Lächeln ab und humpelte zum Sessel, um mich darauf niederzulassen. Der geblümte Stoff erinnerte mich an zu Hause und wehmütig strich ich mit den Fingern über das kleine Loch, das ich vor zwei Jahren aus Versehen dort reingerissen hatte.

      «Etwas Größeres gab es leider nicht», sagte mein Vater entschuldigend. «Wir mussten ja relativ kurzfristig was finden.»

      «Ich weiß, Pa. Das ist schon okay.» Ich nickte und sah zu ihm auf. Er sah müde aus. Vermutlich hatte er enorm Stress gehabt, die letzten Wochen. Immerhin hatte er eine Menge organisieren müssen, während ich im Krankenhaus gelegen hatte.

      «Gut, ich lass dich dann mal alleine. In einer Stunde gibt es Abendessen, ich ruf dich dann.» Er lächelte aufmunternd und zog die Tür hinter sich zu, ehe er runter ging.

      Seufzend warf ich den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke. Ich wollte nicht wieder hier sein. Definitiv nicht.

      Mein Vater hielt sein Versprechen und rief eine gute Stunde später nach mir. Obwohl ich nicht wirklich hungrig war, zwang ich mich dazu, eine Scheibe Brot runterzuwürgen und ein Glas Saft zu trinken.

      Anschließend verzog ich mich wieder in mein Zimmer und kuschelte mich in meinem Bett zusammen. Es roch nach zu Hause und ich musste mich zusammenreißen, um nicht schon wieder zu weinen. Damit hatte ich abgeschlossen. Keine Tränen mehr. Sie halfen nichts und sie machten mich nur noch schwächer und verletzlicher. Und das wollte ich nicht mehr sein.

      Seufzend lehnte ich mich an die Wand und sehnte mich nach meinem Fernseher. Ich befürchtete fast, mein Vater hatte ihn absichtlich zurückgelassen. Er selbst hielt nicht viel vom Fernsehen und hatte kein solches Gerät im Haus.

      Stattdessen machte ich also Musik an und ließ irgendeine Hardcoreband durch mein Zimmer schreien, während ich lustlos meinen Kleiderschrank öffnete und mir eine schwarze Jeans und ein schwarzes Kapuzenshirt für morgen rauslegte. Ich hatte den Arzt dazu überreden können, wirklich nur meinen Fuß einzugipsen und nicht mein halbes Bein, sodass ich immerhin normale Jeans darüber anziehen konnte und nicht auf die Jogginghose zurückgreifen musste, die ich im Krankenhaus getragen hatte.

      Obwohl es noch keine neun Uhr durch war, machte ich mich bettfertig und ging schlafen. Da ich immer noch erschöpft und kraftlos von den letzten Wochen war, fiel es mir nicht allzu schwer einzuschlafen. Aber ich schlief unruhig und wachte mehrmals nachts auf, wo ich mich dann in einer ungewohnten Umgebung wiederfand.

      Irgendwann um kurz nach sechs gab ich es schließlich auf, humpelte ins Bad und wickelte einen Plastikmüllsack um meinen Gips, ehe ich unter die Dusche stieg.

      Mein Vater stand um kurz nach Sieben bereits in der Küche, weil er es offenbar als seine Pflicht ansah, mir Frühstück zu machen.

      «Soll ich dir ein Spiegelei machen? Oder Brötchen holen? Was frühstückst du denn sonst immer so?»

      «Müsli oder Brot oder so reicht mir völlig», lächelte ich matt. Rüdiger schien erleichtert zu sein und holte fünf verschiedene Sorten Müsli aus den Schränken. Ich löffelte eine Schüssel Früchtemüsli aus, ehe ich mir eine Flasche Wasser und einen Apfel in den Rucksack stopfte.

      «Mein Rad steht draußen, oder?», fragte ich meinen Vater, der noch am Tisch saß und in die Zeitung blickte. Als ich ihn ansprach, sah er auf. «Ich kann dich eben hinfahren!», schlug er vor.

      «Ich krieg das schon irgendwie hin, denke ich. Aber danke.» Die Schule war direkt um die Ecke, aber das war in diesem Ort sowieso alles. Ich könnte Hoya vermutlich sogar mit dem Rad einmal komplett umrunden und würde dafür keine Stunde brauchen. Es wäre absolut lächerlich, wenn mich mein Vater mit Auto bringen würde. Gipsfuß hin oder her. Außerdem brauchte ich den Fahrtweg, um mich seelisch auf das vorzubereiten, was danach auf mich zukommen würde.

      «Ganz, wie du willst», lächelte mein Vater. «Viel Spaß in der Schule.»

      Den würde ich ganz bestimmt nicht haben. Aber der Tag würde vorübergehen. So wie alle anderen auch. «Danke, Pa.» Ich zwang mich zu einem Lächeln. Es fühlte sich verkrampft und irgendwie falsch an, aber ich war mittlerweile ganz gut darin, es einigermaßen überzeugend rüberzubringen.

      Sobald ich aus dem Haus war, entspannte ich meinen Kiefer, zog mir die Kapuze über den Kopf und weit ins Gesicht und schob mir meine Sonnenbrille auf die Nase.

      «Großer Gott», kommentierte gleich die dämliche Fratze über der Tür sarkastisch. «Seit wann ist denn der Gothiclook wieder in Mode?»

      Ich ignorierte ihn und zwang mich dazu, mich nicht nochmal umzudrehen, um ihm einen feindseligen Blick zuzuwerfen, sondern humpelte stattdessen zielstrebig den Weg zu meinem Fahrrad entlang.

      Irgendwie schaffte ich es mit dem Gips auf den Sattel und die Pedale, und sobald ich erst einmal am Fahren war, lief es eigentlich sogar ganz gut. Nur das Abbremsen an Ampeln war kompliziert. Ich schaffte es innerhalb von fünfzehn Minuten zur Schule. Wenn ich den Gips los war, würde ich vermutlich sogar nur noch halb so lange brauchen.

      Sobald ich auf dem Schulhof war, hefteten sich die ersten Blicke an mir fest. So etwas wie Anonymität gab es in Orten wie diesen nicht, und dass die durchgedrehte Tochter von Rüdiger Engel wieder hergezogen war, hatte bereits längst vor meinem Erscheinen die Runde im ganzen Kaff gemacht. Ich hatte damit gerechnet. Ich hatte mich seelisch darauf vorbereitet. Aber das Glotzen ging mir trotzdem ziemlich auf die Nerven.

      Ich schob mein Rad zum Fahrradständer und kettete es dort an, ehe ich

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